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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Kette von Ursachen und Wirkungen auf, sie erkennt dieselbe also doch an, und
damit, daß sie als Folge der natürlichen, causalen Entwickelung eingesehn wird,
ist der immanente Zweck noch keineswegs aufgehoben. Es ist die Immanenz
gleichsam nur weiter zurückgeschoben; es sind alle späteren Bildungen hinein¬
gelegt in die Urzelle. in das erste Moner, oder das, was man als das erste
organische Wesen annehmen mag. Es hat in diesem Urwesen der Keim zu
der ganzen organischen Welt gelegen; -- nicht durch Zufall kann diese ent¬
standen sein, sondern durch Nothwendigkeit, durch den von innen heraus nach
dem ehernen Causalitätsgesetz. d. h. nach Nothwendigkeit wirkenden Zweck,
muß sie sich entwickelt haben.

Auch die kleinen Abweichungen in den Individuen, die sich für die äu-
Wen Verhältnisse als passend bewähren und sich vererbend nun immer
zweckmäßigere Bildungsformen hervorbringen, sie sind doch nicht Zufällig¬
keiten , sondern auch sie müssen ihre Ursache in den vorangegangnen Gene¬
rationen haben, wie die Anhänger Darwin's selbst am ersten zugeben werden.
Wären diese Abweichungen dem Zufall anheimgestellt gewesen. und hingen
sie nicht ab von immanenten Gesetzen, so wäre wahrscheinlich nichts Zweck¬
mäßiges entstanden, denn der unzweckmäßigen Organisationen kann man sich
unendlich viel mehr denken, als der zweckmäßigen. Jetzt müssen wir aber
nach Darwin sogar so weit gehen, zu sagen, daß die organische Welt in
ihrem jeweiligen'-Zustande die vollkommenste ist. d. h. die. welche sich den äuße-
Verhältnissen unter allen denkbaren Fällen am besten angepaßt hat, da
das Gleichgewicht zwischen äußeren Bedingungen und der Organisation der
Wesen stets erreicht wird. Also nicht nur die Entwickelung, sondern auch die
Entwickelung zum Besten ist in der Selectionstheorie eingeschlossen. und
^ehe Lehre muß hier zu demselben Resultate kommen, wie der Optimismus
Letbnizens.*)

Das Einzelne und das Ganze mußte vorgebildet sein, sonst hätte es
"icht entstehen können, vorgebildet mußte es sein, wie der Baum mit vielleicht
tausendjähriger Entwickelung vorgebildet ist in dem Samenkorn, aus dem er
entstanden; die äußeren Umstände treten hinzu und helfen dieser und jener
Möglichkeit zur Verwirklichung, unterdrücken andererseits diese und jene
Anlage, aber kein Ast. kein Blatt, keine Zelle kann sich bilden, wozu die
Möglichkeit und die Anlage nicht gegeben wäre.'

So ruht und schläftdas späteste in dem Frühesten, das Früheste wird
sum spätesten. Wir haben beim Baum wie bei der ganzen Welt das große,
freilich schwer auszudenkende zu dem aber der Gedanke
Mir Nothwendigkeit drängt. Dieses j'<5r"^ ^"rec"?' ist weiter nichts als



') S. du Bois-Reymond, Leibnizische Gedanke" in der neueren Natmwissenschcisl,

Kette von Ursachen und Wirkungen auf, sie erkennt dieselbe also doch an, und
damit, daß sie als Folge der natürlichen, causalen Entwickelung eingesehn wird,
ist der immanente Zweck noch keineswegs aufgehoben. Es ist die Immanenz
gleichsam nur weiter zurückgeschoben; es sind alle späteren Bildungen hinein¬
gelegt in die Urzelle. in das erste Moner, oder das, was man als das erste
organische Wesen annehmen mag. Es hat in diesem Urwesen der Keim zu
der ganzen organischen Welt gelegen; — nicht durch Zufall kann diese ent¬
standen sein, sondern durch Nothwendigkeit, durch den von innen heraus nach
dem ehernen Causalitätsgesetz. d. h. nach Nothwendigkeit wirkenden Zweck,
muß sie sich entwickelt haben.

Auch die kleinen Abweichungen in den Individuen, die sich für die äu-
Wen Verhältnisse als passend bewähren und sich vererbend nun immer
zweckmäßigere Bildungsformen hervorbringen, sie sind doch nicht Zufällig¬
keiten , sondern auch sie müssen ihre Ursache in den vorangegangnen Gene¬
rationen haben, wie die Anhänger Darwin's selbst am ersten zugeben werden.
Wären diese Abweichungen dem Zufall anheimgestellt gewesen. und hingen
sie nicht ab von immanenten Gesetzen, so wäre wahrscheinlich nichts Zweck¬
mäßiges entstanden, denn der unzweckmäßigen Organisationen kann man sich
unendlich viel mehr denken, als der zweckmäßigen. Jetzt müssen wir aber
nach Darwin sogar so weit gehen, zu sagen, daß die organische Welt in
ihrem jeweiligen'-Zustande die vollkommenste ist. d. h. die. welche sich den äuße-
Verhältnissen unter allen denkbaren Fällen am besten angepaßt hat, da
das Gleichgewicht zwischen äußeren Bedingungen und der Organisation der
Wesen stets erreicht wird. Also nicht nur die Entwickelung, sondern auch die
Entwickelung zum Besten ist in der Selectionstheorie eingeschlossen. und
^ehe Lehre muß hier zu demselben Resultate kommen, wie der Optimismus
Letbnizens.*)

Das Einzelne und das Ganze mußte vorgebildet sein, sonst hätte es
"icht entstehen können, vorgebildet mußte es sein, wie der Baum mit vielleicht
tausendjähriger Entwickelung vorgebildet ist in dem Samenkorn, aus dem er
entstanden; die äußeren Umstände treten hinzu und helfen dieser und jener
Möglichkeit zur Verwirklichung, unterdrücken andererseits diese und jene
Anlage, aber kein Ast. kein Blatt, keine Zelle kann sich bilden, wozu die
Möglichkeit und die Anlage nicht gegeben wäre.'

So ruht und schläftdas späteste in dem Frühesten, das Früheste wird
sum spätesten. Wir haben beim Baum wie bei der ganzen Welt das große,
freilich schwer auszudenkende zu dem aber der Gedanke
Mir Nothwendigkeit drängt. Dieses j'<5r«^ ^»rec»?' ist weiter nichts als



') S. du Bois-Reymond, Leibnizische Gedanke» in der neueren Natmwissenschcisl,
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[0091] Kette von Ursachen und Wirkungen auf, sie erkennt dieselbe also doch an, und damit, daß sie als Folge der natürlichen, causalen Entwickelung eingesehn wird, ist der immanente Zweck noch keineswegs aufgehoben. Es ist die Immanenz gleichsam nur weiter zurückgeschoben; es sind alle späteren Bildungen hinein¬ gelegt in die Urzelle. in das erste Moner, oder das, was man als das erste organische Wesen annehmen mag. Es hat in diesem Urwesen der Keim zu der ganzen organischen Welt gelegen; — nicht durch Zufall kann diese ent¬ standen sein, sondern durch Nothwendigkeit, durch den von innen heraus nach dem ehernen Causalitätsgesetz. d. h. nach Nothwendigkeit wirkenden Zweck, muß sie sich entwickelt haben. Auch die kleinen Abweichungen in den Individuen, die sich für die äu- Wen Verhältnisse als passend bewähren und sich vererbend nun immer zweckmäßigere Bildungsformen hervorbringen, sie sind doch nicht Zufällig¬ keiten , sondern auch sie müssen ihre Ursache in den vorangegangnen Gene¬ rationen haben, wie die Anhänger Darwin's selbst am ersten zugeben werden. Wären diese Abweichungen dem Zufall anheimgestellt gewesen. und hingen sie nicht ab von immanenten Gesetzen, so wäre wahrscheinlich nichts Zweck¬ mäßiges entstanden, denn der unzweckmäßigen Organisationen kann man sich unendlich viel mehr denken, als der zweckmäßigen. Jetzt müssen wir aber nach Darwin sogar so weit gehen, zu sagen, daß die organische Welt in ihrem jeweiligen'-Zustande die vollkommenste ist. d. h. die. welche sich den äuße- Verhältnissen unter allen denkbaren Fällen am besten angepaßt hat, da das Gleichgewicht zwischen äußeren Bedingungen und der Organisation der Wesen stets erreicht wird. Also nicht nur die Entwickelung, sondern auch die Entwickelung zum Besten ist in der Selectionstheorie eingeschlossen. und ^ehe Lehre muß hier zu demselben Resultate kommen, wie der Optimismus Letbnizens.*) Das Einzelne und das Ganze mußte vorgebildet sein, sonst hätte es "icht entstehen können, vorgebildet mußte es sein, wie der Baum mit vielleicht tausendjähriger Entwickelung vorgebildet ist in dem Samenkorn, aus dem er entstanden; die äußeren Umstände treten hinzu und helfen dieser und jener Möglichkeit zur Verwirklichung, unterdrücken andererseits diese und jene Anlage, aber kein Ast. kein Blatt, keine Zelle kann sich bilden, wozu die Möglichkeit und die Anlage nicht gegeben wäre.' So ruht und schläftdas späteste in dem Frühesten, das Früheste wird sum spätesten. Wir haben beim Baum wie bei der ganzen Welt das große, freilich schwer auszudenkende zu dem aber der Gedanke Mir Nothwendigkeit drängt. Dieses j'<5r«^ ^»rec»?' ist weiter nichts als ') S. du Bois-Reymond, Leibnizische Gedanke» in der neueren Natmwissenschcisl,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/91>, abgerufen am 27.07.2024.