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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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und Folge, in der Entwickelung der Welt, der Vielheit aus der Einheit, der
Modi aus der Substanz, handelt es sich um Ursache und Wirkung.

Ursache und Wirkung haben wir in der reinen Mathematik nicht, die
Causalität ist aber das Princip, von dem der gewaltige Denker seine Philo¬
sophie abhängig macht, der zu Liebe er den Zweck vernichtet, und die Causa¬
lität gerade ist in seinem System unmöglich gemacht, gerade so unmöglich
wie der Zweck. Es ist hier demnach zu viel bewiesen, und gegen den Zweck
keine stichhaltige Instanz vorgebracht, die nicht auch zugleich die Causalität
mit vernichtete.

Als den dritten Hauptgegner des Zweckes nannte ich viele Anhänger der
Descendenzlehre und ihrer näheren Begründung, der Selectionstheorie. Fin¬
den die Anhänger des Zweckes ein Hauptargument für dieses ihr Prinzip in
den zweckmäßigen Organismen und in ihrer großen Verschiedenheit, so werden
nach der neuen Lehre diese Gattungen von Thieren und Pflanzen aus einer
geringen Zahl vorhergehender abgeleitet, und diese wieder aus einer einzigen
Stammmutter, indem sich die Gattungen herausgebildet haben nach den ver¬
schiedenen Lebensbedingungen, und das einmal Vorkommende und für die
äußeren Umstände Passende durch Vererbung sich fortpflanzt: "die natürliche
Auslese im Kampfe ums Dasein, das Zugrundegehn des minder Zweckmäßi¬
ger, das Ueberleben und Sichweitervererben des Passendsten und Zweckmä¬
ßigsten, ist ein Vorgang von mechanischer Causalität. in dessen gleichmäßige
Gesetzlichkeit nirgends ein teleologisch bestimmendes, metaphysisches Princip
eingreift, und doch geht aus ihm ein Resultat hervor, das wesentlich der
Zweckmäßigkeit entspricht, d. h. diejenige Beschaffenheit besitzt, welche den
Organismen unter den gegebenen Umständen die höchste Zweckmäßigkeit ver¬
leiht. Die natürliche Zuchtwahl löst das scheinbar unlösliche Problem, die
Zweckmäßigkeit als Resultat zu erklären, ohne sie dabei als Princip zu Hülfe
zu nehmen" *), und auf diese Art hat diese Lehre den Götzen des Zweckbegriffs
zerbrochen. So triumphieren die Anhänger Darwin's.

Gegen die Descendenz- und Selectionstheorie selbst ist von philo¬
sophischer Seite nichts einzuwenden. Es ist durch sie Vieles erklärt und sie trägt
gute Früchte, wenn sie auch selbst noch nicht über alle Zweifel erhaben ist,
wie schon andererseits darauf hingewiesen ist, daß sich Manches in den Or¬
ganismen, z. B. die künstliche, auf ästhetischen Genuß, nicht auf Erhaltung
des Lebens nur, zielende Einrichtung in Auge und Ohr aus dem Kampfe
ums Dasein allein nicht wohl erklären läßt.

Aber diese Lehre zugegeben, sollte durch sie wirklich der Zweck vollständig
vernichtet sein? Sie nimmt die Zweckmäßigkeit als Resultat einer langen



-) S. Oscar Schmidt, Dcsccndenzlchr": und Darwinismus. S,

und Folge, in der Entwickelung der Welt, der Vielheit aus der Einheit, der
Modi aus der Substanz, handelt es sich um Ursache und Wirkung.

Ursache und Wirkung haben wir in der reinen Mathematik nicht, die
Causalität ist aber das Princip, von dem der gewaltige Denker seine Philo¬
sophie abhängig macht, der zu Liebe er den Zweck vernichtet, und die Causa¬
lität gerade ist in seinem System unmöglich gemacht, gerade so unmöglich
wie der Zweck. Es ist hier demnach zu viel bewiesen, und gegen den Zweck
keine stichhaltige Instanz vorgebracht, die nicht auch zugleich die Causalität
mit vernichtete.

Als den dritten Hauptgegner des Zweckes nannte ich viele Anhänger der
Descendenzlehre und ihrer näheren Begründung, der Selectionstheorie. Fin¬
den die Anhänger des Zweckes ein Hauptargument für dieses ihr Prinzip in
den zweckmäßigen Organismen und in ihrer großen Verschiedenheit, so werden
nach der neuen Lehre diese Gattungen von Thieren und Pflanzen aus einer
geringen Zahl vorhergehender abgeleitet, und diese wieder aus einer einzigen
Stammmutter, indem sich die Gattungen herausgebildet haben nach den ver¬
schiedenen Lebensbedingungen, und das einmal Vorkommende und für die
äußeren Umstände Passende durch Vererbung sich fortpflanzt: „die natürliche
Auslese im Kampfe ums Dasein, das Zugrundegehn des minder Zweckmäßi¬
ger, das Ueberleben und Sichweitervererben des Passendsten und Zweckmä¬
ßigsten, ist ein Vorgang von mechanischer Causalität. in dessen gleichmäßige
Gesetzlichkeit nirgends ein teleologisch bestimmendes, metaphysisches Princip
eingreift, und doch geht aus ihm ein Resultat hervor, das wesentlich der
Zweckmäßigkeit entspricht, d. h. diejenige Beschaffenheit besitzt, welche den
Organismen unter den gegebenen Umständen die höchste Zweckmäßigkeit ver¬
leiht. Die natürliche Zuchtwahl löst das scheinbar unlösliche Problem, die
Zweckmäßigkeit als Resultat zu erklären, ohne sie dabei als Princip zu Hülfe
zu nehmen" *), und auf diese Art hat diese Lehre den Götzen des Zweckbegriffs
zerbrochen. So triumphieren die Anhänger Darwin's.

Gegen die Descendenz- und Selectionstheorie selbst ist von philo¬
sophischer Seite nichts einzuwenden. Es ist durch sie Vieles erklärt und sie trägt
gute Früchte, wenn sie auch selbst noch nicht über alle Zweifel erhaben ist,
wie schon andererseits darauf hingewiesen ist, daß sich Manches in den Or¬
ganismen, z. B. die künstliche, auf ästhetischen Genuß, nicht auf Erhaltung
des Lebens nur, zielende Einrichtung in Auge und Ohr aus dem Kampfe
ums Dasein allein nicht wohl erklären läßt.

Aber diese Lehre zugegeben, sollte durch sie wirklich der Zweck vollständig
vernichtet sein? Sie nimmt die Zweckmäßigkeit als Resultat einer langen



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/90>, abgerufen am 27.07.2024.