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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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wie scharfer Polemik diese niedrige und populäre Art der Teleologie bekämpft.
Aber hierbei bleibt sein Angriff nicht stehen. Schon in dem menschlichen
Handeln darf nach Spinoza das, was wir Zweck nennen, nicht angenommen
werden; auch hier beruht die Annahme von Zwecken nur auf Unkenntniß der
Verkettung von Ursachen, und noch viel mehr ist dies der Fall, wenn wir in
die Natur einen Zweck setzen. Es führt zu nichts, als alles Forschen nach
Ursache der Dinge abzuschneiden, und nur die Unwissenheit flüchtet sich
^ dieses Asyl.

Die Natur hat sich keinen Zweck vorgesetzt, und alle Zwecke sind nichts
^is menschliche Erfindung. Durch die Lehre vom Zwecke wird der wahre
Sachverhalt gänzlich umgedreht; denn das, was in Wahrheit die Ursache ist,
betrachtet diese Lehre als Wirkung und umgekehrt; ferner macht sie das, was
^ Wahrheit das Spätere ist, zu dem Früheren, und was das Höchste und
vollkommenste ist, zu dem Unvollkommensten, dieses dritte deshalb, weil die
ätzten Dinge um deren willen die früheren hervorgebracht worden am voll¬
kommensten sein müßten, nach Spinoza aber das die größte Vollkommenheit
^t, was von Gott unmittelbar bewirkt wird -- eine unbewiesene Behaup¬
tung Spinoza's, die mit demselben Rechte umgekehrt werden könnte. Richtig
^ es, daß durch Annahme von Zwecken das Verhältniß von Ursache und
Wirkung umgekehrt wird, doch nicht vollständig: das Ding selbst, oder die
Veränderung, die in dem Zwecke vorgestellt und gewollt wird, existirt noch
""Pt realiter, sondern nur, um von uns Menschen zu reden, in der Vor¬
stellung.

Zur Leugnung der Zwecke trieb den Spinoza der strenge Gedankengang,
^e zwingende Gewalt, die er seiner Philosophie beilegen wollte, das Princip
der Causcilität. dem er seine Philosophie unterwarf. Das Muster für die
^'weisführung ist dem Spinoza die mathematische. Den wos geomvtrieus
führte er in seine Philosophie ein. Die Mathematik kennt keine Zwecke: das
Dreieck ist nicht dazu da. damit irgend welche Sätze aus ihm abgeleitet wer¬
den können, sondern weil das Dreieck der Art ist. wie es ist. folgen die das¬
selbe betreffenden Sätze; gerade so nun. wie sich aus dem Wesen der Figuren
die näheren Bestimmungen ergeben, implicite alle darin schon liegen, so daß
^ nur des folgernden Verstandes bedarf, um die ganze Geometrie zur Dar¬
stellung zu bringen, gerade so sollte es nur eines mathematischen Verstandes
bedürfen, um aus den Grundbegriffen des Spinoza die ganze Welt abzuleiten.
^ ist hier nur von Spinoza bei aller Großartigkeit seines Systems, die den
^ist so leicht gefangen nimmt, ein bedeutender Fehler begangen. Die Ma¬
thematik bedarf bloß einer logischen Entwickelung, die Welt aber bedarf einer
^'euch..n Entwickelung; in der Mathematik handelt es sich nur um Grund


wie scharfer Polemik diese niedrige und populäre Art der Teleologie bekämpft.
Aber hierbei bleibt sein Angriff nicht stehen. Schon in dem menschlichen
Handeln darf nach Spinoza das, was wir Zweck nennen, nicht angenommen
werden; auch hier beruht die Annahme von Zwecken nur auf Unkenntniß der
Verkettung von Ursachen, und noch viel mehr ist dies der Fall, wenn wir in
die Natur einen Zweck setzen. Es führt zu nichts, als alles Forschen nach
Ursache der Dinge abzuschneiden, und nur die Unwissenheit flüchtet sich
^ dieses Asyl.

Die Natur hat sich keinen Zweck vorgesetzt, und alle Zwecke sind nichts
^is menschliche Erfindung. Durch die Lehre vom Zwecke wird der wahre
Sachverhalt gänzlich umgedreht; denn das, was in Wahrheit die Ursache ist,
betrachtet diese Lehre als Wirkung und umgekehrt; ferner macht sie das, was
^ Wahrheit das Spätere ist, zu dem Früheren, und was das Höchste und
vollkommenste ist, zu dem Unvollkommensten, dieses dritte deshalb, weil die
ätzten Dinge um deren willen die früheren hervorgebracht worden am voll¬
kommensten sein müßten, nach Spinoza aber das die größte Vollkommenheit
^t, was von Gott unmittelbar bewirkt wird — eine unbewiesene Behaup¬
tung Spinoza's, die mit demselben Rechte umgekehrt werden könnte. Richtig
^ es, daß durch Annahme von Zwecken das Verhältniß von Ursache und
Wirkung umgekehrt wird, doch nicht vollständig: das Ding selbst, oder die
Veränderung, die in dem Zwecke vorgestellt und gewollt wird, existirt noch
""Pt realiter, sondern nur, um von uns Menschen zu reden, in der Vor¬
stellung.

Zur Leugnung der Zwecke trieb den Spinoza der strenge Gedankengang,
^e zwingende Gewalt, die er seiner Philosophie beilegen wollte, das Princip
der Causcilität. dem er seine Philosophie unterwarf. Das Muster für die
^'weisführung ist dem Spinoza die mathematische. Den wos geomvtrieus
führte er in seine Philosophie ein. Die Mathematik kennt keine Zwecke: das
Dreieck ist nicht dazu da. damit irgend welche Sätze aus ihm abgeleitet wer¬
den können, sondern weil das Dreieck der Art ist. wie es ist. folgen die das¬
selbe betreffenden Sätze; gerade so nun. wie sich aus dem Wesen der Figuren
die näheren Bestimmungen ergeben, implicite alle darin schon liegen, so daß
^ nur des folgernden Verstandes bedarf, um die ganze Geometrie zur Dar¬
stellung zu bringen, gerade so sollte es nur eines mathematischen Verstandes
bedürfen, um aus den Grundbegriffen des Spinoza die ganze Welt abzuleiten.
^ ist hier nur von Spinoza bei aller Großartigkeit seines Systems, die den
^ist so leicht gefangen nimmt, ein bedeutender Fehler begangen. Die Ma¬
thematik bedarf bloß einer logischen Entwickelung, die Welt aber bedarf einer
^'euch..n Entwickelung; in der Mathematik handelt es sich nur um Grund


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/89>, abgerufen am 27.07.2024.