Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ziehen. Die Betrachtung der Endursachen gehöre in die Metaphysik und nicht
in die Physik, aus der sie zu verbannen sei, weil sie in ihr den größten
Schaden angerichtet habe.

Baco verwirft also nicht für die ganze Philosophie den Begriff des
Zweckes, aber wohl für die Physik, d. h. für die exacte Wissenschaft, und er
hat sich hierdurch ein großes Verdienst erworben. Hier müssen die Thatsachen
erforscht, die materiellen und wirkenden Ursachen müssen ergründet werden;
methodische und auf Experimente sich stützende Inductionen. das ist es wo-
durch die Physik Förderung erfahren kann. Mit dieser Ansicht verträgt sich
aber nach Baco gar wohl der teleologische Gesichtspunkt. Denn wenn die
Gegenstände unserer Erfahrung auch nach der einen Seite als Wirkung
mechanischer Kräfte angesehen werden, so schließt dies nicht aus, daß sie nach
der anderen nützlich und zweckmäßig erscheinen. Die Augenwimpern dienen
allerdings als Haare dem Auge zum Schutze, aber nicht ist die Frage in der
Physik: "Wozu nützen die Augenwimpern?" sondern: "Warum wachsen an
dieser Stelle Haare?" Eine Umkehr des Sachverhalts, wie man ihn bei ge¬
nauer Untersuchung findet, ist es, wenn man den Nutzen, der durch etwas
hervorgebracht wird, als das Bewirkende selbst hinstellt.

Zugleich weist nach Baco die teleologische Betrachtung der Natur hin
auf eine Vorsehung, welche das Walten der Naturkräfte ordnet und lenkt;
denn einer solchen Ergänzung bedürfe die Erklärung aus physischen Ursachen.

Wir sehen, der Vater der modernen Empirie hat für das Ganze seiner
Weltanschauung des Zweckes nicht entbehren wollen und können. -- Er saßt
zwar das Princip etwas äußerlich, indem er nur den Bortheil im Auge hat,
verfolgt es auch nicht weiter, weil sein Schwerpunkt auf einem anderen Ge¬
biete liegt, aber er gebraucht es doch, und falsch ist es demnach, wenn Baco
als absoluter Gegner der Teleologie hingestellt wird.

Ganz entschieden schloß von seiner Weltbetrachtung den Zweck aus
Spinoza, der sich besonders in seinem berühmten Appendix zu dem ersten
Buche der Ethik über diesen Begriff verwerfend ausspricht, und die spinozistische
Philosophie erfreut sich deshalb auch hier und da bei den Naturforschern der
Neuzeit einer großen Achtung.

Freilich richtet sich Spinoza hauptsächlich gegen die sehr äußere Anwen¬
dung des Zweckes, insofern die ganze Natur auf den Nutzen des Menschen
angelegt sein soll. Da die Menschen in sich und außer sich viele Mittel fän¬
den, die zur Erreichung ihres Nutzens bedeutend beitrügen, wie die Augen
zum Sehen und die Zähne zum Kauen, die Kräuter und Thiere zur Speise,
die Sonne zur Erleuchtung, das Meer zur Ernährung der Fische und dergl-,
so sei es gekommen, daß sie alles Natürliche gleichsam als Mittel zu ihrem
Vortheil betrachteten, und ohne Zweifel hat Spinoza volles Recht, wenn er


ziehen. Die Betrachtung der Endursachen gehöre in die Metaphysik und nicht
in die Physik, aus der sie zu verbannen sei, weil sie in ihr den größten
Schaden angerichtet habe.

Baco verwirft also nicht für die ganze Philosophie den Begriff des
Zweckes, aber wohl für die Physik, d. h. für die exacte Wissenschaft, und er
hat sich hierdurch ein großes Verdienst erworben. Hier müssen die Thatsachen
erforscht, die materiellen und wirkenden Ursachen müssen ergründet werden;
methodische und auf Experimente sich stützende Inductionen. das ist es wo-
durch die Physik Förderung erfahren kann. Mit dieser Ansicht verträgt sich
aber nach Baco gar wohl der teleologische Gesichtspunkt. Denn wenn die
Gegenstände unserer Erfahrung auch nach der einen Seite als Wirkung
mechanischer Kräfte angesehen werden, so schließt dies nicht aus, daß sie nach
der anderen nützlich und zweckmäßig erscheinen. Die Augenwimpern dienen
allerdings als Haare dem Auge zum Schutze, aber nicht ist die Frage in der
Physik: „Wozu nützen die Augenwimpern?" sondern: „Warum wachsen an
dieser Stelle Haare?" Eine Umkehr des Sachverhalts, wie man ihn bei ge¬
nauer Untersuchung findet, ist es, wenn man den Nutzen, der durch etwas
hervorgebracht wird, als das Bewirkende selbst hinstellt.

Zugleich weist nach Baco die teleologische Betrachtung der Natur hin
auf eine Vorsehung, welche das Walten der Naturkräfte ordnet und lenkt;
denn einer solchen Ergänzung bedürfe die Erklärung aus physischen Ursachen.

Wir sehen, der Vater der modernen Empirie hat für das Ganze seiner
Weltanschauung des Zweckes nicht entbehren wollen und können. — Er saßt
zwar das Princip etwas äußerlich, indem er nur den Bortheil im Auge hat,
verfolgt es auch nicht weiter, weil sein Schwerpunkt auf einem anderen Ge¬
biete liegt, aber er gebraucht es doch, und falsch ist es demnach, wenn Baco
als absoluter Gegner der Teleologie hingestellt wird.

Ganz entschieden schloß von seiner Weltbetrachtung den Zweck aus
Spinoza, der sich besonders in seinem berühmten Appendix zu dem ersten
Buche der Ethik über diesen Begriff verwerfend ausspricht, und die spinozistische
Philosophie erfreut sich deshalb auch hier und da bei den Naturforschern der
Neuzeit einer großen Achtung.

Freilich richtet sich Spinoza hauptsächlich gegen die sehr äußere Anwen¬
dung des Zweckes, insofern die ganze Natur auf den Nutzen des Menschen
angelegt sein soll. Da die Menschen in sich und außer sich viele Mittel fän¬
den, die zur Erreichung ihres Nutzens bedeutend beitrügen, wie die Augen
zum Sehen und die Zähne zum Kauen, die Kräuter und Thiere zur Speise,
die Sonne zur Erleuchtung, das Meer zur Ernährung der Fische und dergl-,
so sei es gekommen, daß sie alles Natürliche gleichsam als Mittel zu ihrem
Vortheil betrachteten, und ohne Zweifel hat Spinoza volles Recht, wenn er


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0088" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132310"/>
          <p xml:id="ID_262" prev="#ID_261"> ziehen. Die Betrachtung der Endursachen gehöre in die Metaphysik und nicht<lb/>
in die Physik, aus der sie zu verbannen sei, weil sie in ihr den größten<lb/>
Schaden angerichtet habe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_263"> Baco verwirft also nicht für die ganze Philosophie den Begriff des<lb/>
Zweckes, aber wohl für die Physik, d. h. für die exacte Wissenschaft, und er<lb/>
hat sich hierdurch ein großes Verdienst erworben. Hier müssen die Thatsachen<lb/>
erforscht, die materiellen und wirkenden Ursachen müssen ergründet werden;<lb/>
methodische und auf Experimente sich stützende Inductionen. das ist es wo-<lb/>
durch die Physik Förderung erfahren kann. Mit dieser Ansicht verträgt sich<lb/>
aber nach Baco gar wohl der teleologische Gesichtspunkt. Denn wenn die<lb/>
Gegenstände unserer Erfahrung auch nach der einen Seite als Wirkung<lb/>
mechanischer Kräfte angesehen werden, so schließt dies nicht aus, daß sie nach<lb/>
der anderen nützlich und zweckmäßig erscheinen. Die Augenwimpern dienen<lb/>
allerdings als Haare dem Auge zum Schutze, aber nicht ist die Frage in der<lb/>
Physik: &#x201E;Wozu nützen die Augenwimpern?" sondern: &#x201E;Warum wachsen an<lb/>
dieser Stelle Haare?" Eine Umkehr des Sachverhalts, wie man ihn bei ge¬<lb/>
nauer Untersuchung findet, ist es, wenn man den Nutzen, der durch etwas<lb/>
hervorgebracht wird, als das Bewirkende selbst hinstellt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_264"> Zugleich weist nach Baco die teleologische Betrachtung der Natur hin<lb/>
auf eine Vorsehung, welche das Walten der Naturkräfte ordnet und lenkt;<lb/>
denn einer solchen Ergänzung bedürfe die Erklärung aus physischen Ursachen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_265"> Wir sehen, der Vater der modernen Empirie hat für das Ganze seiner<lb/>
Weltanschauung des Zweckes nicht entbehren wollen und können. &#x2014; Er saßt<lb/>
zwar das Princip etwas äußerlich, indem er nur den Bortheil im Auge hat,<lb/>
verfolgt es auch nicht weiter, weil sein Schwerpunkt auf einem anderen Ge¬<lb/>
biete liegt, aber er gebraucht es doch, und falsch ist es demnach, wenn Baco<lb/>
als absoluter Gegner der Teleologie hingestellt wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_266"> Ganz entschieden schloß von seiner Weltbetrachtung den Zweck aus<lb/>
Spinoza, der sich besonders in seinem berühmten Appendix zu dem ersten<lb/>
Buche der Ethik über diesen Begriff verwerfend ausspricht, und die spinozistische<lb/>
Philosophie erfreut sich deshalb auch hier und da bei den Naturforschern der<lb/>
Neuzeit einer großen Achtung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_267" next="#ID_268"> Freilich richtet sich Spinoza hauptsächlich gegen die sehr äußere Anwen¬<lb/>
dung des Zweckes, insofern die ganze Natur auf den Nutzen des Menschen<lb/>
angelegt sein soll. Da die Menschen in sich und außer sich viele Mittel fän¬<lb/>
den, die zur Erreichung ihres Nutzens bedeutend beitrügen, wie die Augen<lb/>
zum Sehen und die Zähne zum Kauen, die Kräuter und Thiere zur Speise,<lb/>
die Sonne zur Erleuchtung, das Meer zur Ernährung der Fische und dergl-,<lb/>
so sei es gekommen, daß sie alles Natürliche gleichsam als Mittel zu ihrem<lb/>
Vortheil betrachteten, und ohne Zweifel hat Spinoza volles Recht, wenn er</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0088] ziehen. Die Betrachtung der Endursachen gehöre in die Metaphysik und nicht in die Physik, aus der sie zu verbannen sei, weil sie in ihr den größten Schaden angerichtet habe. Baco verwirft also nicht für die ganze Philosophie den Begriff des Zweckes, aber wohl für die Physik, d. h. für die exacte Wissenschaft, und er hat sich hierdurch ein großes Verdienst erworben. Hier müssen die Thatsachen erforscht, die materiellen und wirkenden Ursachen müssen ergründet werden; methodische und auf Experimente sich stützende Inductionen. das ist es wo- durch die Physik Förderung erfahren kann. Mit dieser Ansicht verträgt sich aber nach Baco gar wohl der teleologische Gesichtspunkt. Denn wenn die Gegenstände unserer Erfahrung auch nach der einen Seite als Wirkung mechanischer Kräfte angesehen werden, so schließt dies nicht aus, daß sie nach der anderen nützlich und zweckmäßig erscheinen. Die Augenwimpern dienen allerdings als Haare dem Auge zum Schutze, aber nicht ist die Frage in der Physik: „Wozu nützen die Augenwimpern?" sondern: „Warum wachsen an dieser Stelle Haare?" Eine Umkehr des Sachverhalts, wie man ihn bei ge¬ nauer Untersuchung findet, ist es, wenn man den Nutzen, der durch etwas hervorgebracht wird, als das Bewirkende selbst hinstellt. Zugleich weist nach Baco die teleologische Betrachtung der Natur hin auf eine Vorsehung, welche das Walten der Naturkräfte ordnet und lenkt; denn einer solchen Ergänzung bedürfe die Erklärung aus physischen Ursachen. Wir sehen, der Vater der modernen Empirie hat für das Ganze seiner Weltanschauung des Zweckes nicht entbehren wollen und können. — Er saßt zwar das Princip etwas äußerlich, indem er nur den Bortheil im Auge hat, verfolgt es auch nicht weiter, weil sein Schwerpunkt auf einem anderen Ge¬ biete liegt, aber er gebraucht es doch, und falsch ist es demnach, wenn Baco als absoluter Gegner der Teleologie hingestellt wird. Ganz entschieden schloß von seiner Weltbetrachtung den Zweck aus Spinoza, der sich besonders in seinem berühmten Appendix zu dem ersten Buche der Ethik über diesen Begriff verwerfend ausspricht, und die spinozistische Philosophie erfreut sich deshalb auch hier und da bei den Naturforschern der Neuzeit einer großen Achtung. Freilich richtet sich Spinoza hauptsächlich gegen die sehr äußere Anwen¬ dung des Zweckes, insofern die ganze Natur auf den Nutzen des Menschen angelegt sein soll. Da die Menschen in sich und außer sich viele Mittel fän¬ den, die zur Erreichung ihres Nutzens bedeutend beitrügen, wie die Augen zum Sehen und die Zähne zum Kauen, die Kräuter und Thiere zur Speise, die Sonne zur Erleuchtung, das Meer zur Ernährung der Fische und dergl-, so sei es gekommen, daß sie alles Natürliche gleichsam als Mittel zu ihrem Vortheil betrachteten, und ohne Zweifel hat Spinoza volles Recht, wenn er

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/88
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/88>, abgerufen am 01.09.2024.