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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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dadurch hervorgebracht werden könnten, so daß sie zu lesen seien." Es läßt
sich hier von vornherein mit voller Bestimmtheit nichts ausmachen, aber die
Wahrscheinlichkeit ist außerordentlich gering und wird unendlich klein, daß die
ganze Welt mit allen ihren Einzelheiten durch das ziellose Bewegen der
Atome hervorgebracht sei. ebenso wie die Wahrscheinlichkeit unendlich klein ist,
daß auf die angegebene Weise ein großes und treffliches Gedicht, eine Tragödie
oder Komödie, 'zu Stande komme. Wir müssen uns hier nach einem anderen
Princip noch umsehen, das uns den Zusammenhang der Welt leichter erklärt,
oder überhaupt erklärt. Bei dem Gedichte ist es der schaffende Geist des
Menschen, der die Buchstaben im Hinblicke auf ein bestimmtes Ziel, das er
in sich aufgenommen hat, zusammensetzt. Nach einem Ziele werden sich auch
die Atome der Natur bewegen, wie wir auch sonst die Atome auffassen
mögen, und so würde das Princip, dessen wir zur Erklärung bedürfen, der
Zweck sein. Mag der Zweck nun zu unserem apriorischen Besitz gehören,
oder mögen wir dieses Princip erst gewinnen aus der Thätigkeit des Menschen
selbst, der einen zukünftigen Zustand herbeizuführen sucht, jedenfalls ist er
schon in den Anfängen der Philosophie durch Sokrates übergeführt worden
von der menschlichen Thätigkeit in die Natur, und seit jenen Tagen ist neben
besonnener Anwendung viel Mißbrauch mit diesem Princip getrieben worden.

In der äußerlichen Art. den Zweck zu handhaben, ist Chrysippos. der
echte Schüler des Sokrates, Chrysippos, der sich deshalb den Spott der
Epikureer und Akademiker verdiente, Aristoteles ist es, der in einer tieferen
Auffassung den immanenten Zweck, den jedem Wesen eingeborenen Zweck seines
Daseins und seiner Entwickelung aufsucht, und von ihm sind die eausay
twales in die Speculation des Mittelalters und der neueren Zeit über¬
gegangen, um eine große Rolle zu spielen.

Für die bedeutendsten Gegner des Zweckes können außer den Atomistikern
des Alterthums Francis Baco. Spinoza und endlich neuerdings viele Anhänger
Darwin's gelten. Die Zweckbegriffe gehören nach Baco zu den iüola tribus.
d- h. zu den falschen Vorstellungen, die in der Natur eines jeden Menschen
begründet sind. Diese Zweckursachen seien die Quelle des staunenswerthen
Verderbens in der Philosophie, da die Methode der Endursachen in der
Physik die Untersuchung der natürlichen Ursachen gestört oder geradezu zurück¬
gedrängt habe. In der Natur sei aber Alles durch wirkende Ursachen und
causav pdMciie zu erklären. Deshalb sei auch die Philosophie eines De-
wokrit und Anderer, welche Geist und Gott bei der Bildung der Dinge nicht
anwendeten, die Ordnung der Welt aus dem zufälligen Spiele der Natur¬
kräfte entstehen ließen, und die Erscheinungen im Einzelnen aus materieller
Nothwendigkeit, ohne Berücksichtigung eines Zweckes ableiteten, in physika-
kalischer Hinsicht weitaus den Lehren des Platon und des Aristoteles vorm-


dadurch hervorgebracht werden könnten, so daß sie zu lesen seien." Es läßt
sich hier von vornherein mit voller Bestimmtheit nichts ausmachen, aber die
Wahrscheinlichkeit ist außerordentlich gering und wird unendlich klein, daß die
ganze Welt mit allen ihren Einzelheiten durch das ziellose Bewegen der
Atome hervorgebracht sei. ebenso wie die Wahrscheinlichkeit unendlich klein ist,
daß auf die angegebene Weise ein großes und treffliches Gedicht, eine Tragödie
oder Komödie, 'zu Stande komme. Wir müssen uns hier nach einem anderen
Princip noch umsehen, das uns den Zusammenhang der Welt leichter erklärt,
oder überhaupt erklärt. Bei dem Gedichte ist es der schaffende Geist des
Menschen, der die Buchstaben im Hinblicke auf ein bestimmtes Ziel, das er
in sich aufgenommen hat, zusammensetzt. Nach einem Ziele werden sich auch
die Atome der Natur bewegen, wie wir auch sonst die Atome auffassen
mögen, und so würde das Princip, dessen wir zur Erklärung bedürfen, der
Zweck sein. Mag der Zweck nun zu unserem apriorischen Besitz gehören,
oder mögen wir dieses Princip erst gewinnen aus der Thätigkeit des Menschen
selbst, der einen zukünftigen Zustand herbeizuführen sucht, jedenfalls ist er
schon in den Anfängen der Philosophie durch Sokrates übergeführt worden
von der menschlichen Thätigkeit in die Natur, und seit jenen Tagen ist neben
besonnener Anwendung viel Mißbrauch mit diesem Princip getrieben worden.

In der äußerlichen Art. den Zweck zu handhaben, ist Chrysippos. der
echte Schüler des Sokrates, Chrysippos, der sich deshalb den Spott der
Epikureer und Akademiker verdiente, Aristoteles ist es, der in einer tieferen
Auffassung den immanenten Zweck, den jedem Wesen eingeborenen Zweck seines
Daseins und seiner Entwickelung aufsucht, und von ihm sind die eausay
twales in die Speculation des Mittelalters und der neueren Zeit über¬
gegangen, um eine große Rolle zu spielen.

Für die bedeutendsten Gegner des Zweckes können außer den Atomistikern
des Alterthums Francis Baco. Spinoza und endlich neuerdings viele Anhänger
Darwin's gelten. Die Zweckbegriffe gehören nach Baco zu den iüola tribus.
d- h. zu den falschen Vorstellungen, die in der Natur eines jeden Menschen
begründet sind. Diese Zweckursachen seien die Quelle des staunenswerthen
Verderbens in der Philosophie, da die Methode der Endursachen in der
Physik die Untersuchung der natürlichen Ursachen gestört oder geradezu zurück¬
gedrängt habe. In der Natur sei aber Alles durch wirkende Ursachen und
causav pdMciie zu erklären. Deshalb sei auch die Philosophie eines De-
wokrit und Anderer, welche Geist und Gott bei der Bildung der Dinge nicht
anwendeten, die Ordnung der Welt aus dem zufälligen Spiele der Natur¬
kräfte entstehen ließen, und die Erscheinungen im Einzelnen aus materieller
Nothwendigkeit, ohne Berücksichtigung eines Zweckes ableiteten, in physika-
kalischer Hinsicht weitaus den Lehren des Platon und des Aristoteles vorm-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/87>, abgerufen am 27.07.2024.