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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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sitzt auch jetzt, nach einer ziemlich durchgreifenden Erneuerung seines Personals,
immerhin einige tüchtige Kräfte und in der naiven Liebhaberin Frl. Both
sogar eine nach gewissen Seiten hin vollendete Künstlerin. Aber auf ihren
Schultern liegt auch Alles; in den Stücken wenigstens, die ich bisher ange¬
sehen. "Ein deutsches Mädchen im Elsaß" von Rudolf Kreisel. "Rosa und
Röschen" von Chart. Birch-Pfeiffer und "Der Jesuit und sein Zögling" von
A. Schreiber, ist sie das Factotum. Namentlich in dem letzteren, sonst übri¬
gens sehr harmlosen und leidlich langweiligen Stücke entzückt sie als sieb¬
zehnjähriger Baron Carbonet durch frischen Humor und liebenswürdige Na¬
türlichkeit. Uebrigens ist das beste unter den genannten Lustspielen unbe¬
streitbar das Kreisel'sche. freilich ein Tendenzstück, aber zeitgemäß und. gut
^ ^ gespielt, sehr bühnenwirksam.




Was Wirth's Heschichte der Handelskrisen.*)

Ein alter Professor des Römischen Rechts aus der Bekanntschaft des
Referenten, der geneigt schien, sich auf den Kopf zu stellen, als die Nation"^
öconomie an einer gewissen Universität Deutschlands unter die obligatorisch^
Fachstudien der Juristen und unter die Disciplinen aufgenommen wurde, ^
denen männiglich beim ersten Examen geprüft werden sollte, pflegte in ver-
traulichen Stunden das gelassene Wort auszusprechen: "Was heißt Nation^'
öconomie? Die Gesetze, die man darin zu erkennen glaubt, beruhen im
feigsten Falle auf Einbildung, oftmals auf Schwindel" -- er brauchte rvirkl^
dieses harte Wort -- "und practischen Nutzen kann niemand daraus ziehet

Ich weiß nicht, welches Mißgeschick den gelehrten Kenner der Digesten "
ein so gespanntes Verhältniß zur Volkswirtschaftslehre versetzte. Daß
Colleg nach wie vor von den Zwangsabonnenten spärlich besucht war,
Hörsaal des Nationalöconomen dagegen kein Apfel zur Erde fallen komm^-
war jedenfalls keine Erklärung seiner harten Worte. Denn das war s^'
lange vor der academischen Hoffähigkeitserklärung der Nationalöeonomie w"?
anders gewesen; und diese Thatsache allein hätte schon sein Dictum widerleg'
"daß niemand practischen Nutzen aus ihr ziehe." Ja, wir jungen Ä"^^
-- ich gestehe es mit tiefem Erröthen -- waren schon damals so unklassii
veranlagt, daß wir jeder Frage der Volkswirthschaftslehre mehr practiscy
Nutzen zutrauten, als den berühmtesten Examenfragen jenes ehrwürdig
Römischen Rechtslehrers, unter denen die berühmtesten lauteten:



") Geschichte der Handelskrisen von Max Wirth. Zweite vervollständigte und verbess^
Auflage. Frankfurt a. M. I. D, Sauerländers Verlag 1874.

sitzt auch jetzt, nach einer ziemlich durchgreifenden Erneuerung seines Personals,
immerhin einige tüchtige Kräfte und in der naiven Liebhaberin Frl. Both
sogar eine nach gewissen Seiten hin vollendete Künstlerin. Aber auf ihren
Schultern liegt auch Alles; in den Stücken wenigstens, die ich bisher ange¬
sehen. „Ein deutsches Mädchen im Elsaß" von Rudolf Kreisel. „Rosa und
Röschen" von Chart. Birch-Pfeiffer und „Der Jesuit und sein Zögling" von
A. Schreiber, ist sie das Factotum. Namentlich in dem letzteren, sonst übri¬
gens sehr harmlosen und leidlich langweiligen Stücke entzückt sie als sieb¬
zehnjähriger Baron Carbonet durch frischen Humor und liebenswürdige Na¬
türlichkeit. Uebrigens ist das beste unter den genannten Lustspielen unbe¬
streitbar das Kreisel'sche. freilich ein Tendenzstück, aber zeitgemäß und. gut
^ ^ gespielt, sehr bühnenwirksam.




Was Wirth's Heschichte der Handelskrisen.*)

Ein alter Professor des Römischen Rechts aus der Bekanntschaft des
Referenten, der geneigt schien, sich auf den Kopf zu stellen, als die Nation«^
öconomie an einer gewissen Universität Deutschlands unter die obligatorisch^
Fachstudien der Juristen und unter die Disciplinen aufgenommen wurde, ^
denen männiglich beim ersten Examen geprüft werden sollte, pflegte in ver-
traulichen Stunden das gelassene Wort auszusprechen: „Was heißt Nation^'
öconomie? Die Gesetze, die man darin zu erkennen glaubt, beruhen im
feigsten Falle auf Einbildung, oftmals auf Schwindel" — er brauchte rvirkl^
dieses harte Wort — „und practischen Nutzen kann niemand daraus ziehet

Ich weiß nicht, welches Mißgeschick den gelehrten Kenner der Digesten "
ein so gespanntes Verhältniß zur Volkswirtschaftslehre versetzte. Daß
Colleg nach wie vor von den Zwangsabonnenten spärlich besucht war,
Hörsaal des Nationalöconomen dagegen kein Apfel zur Erde fallen komm^-
war jedenfalls keine Erklärung seiner harten Worte. Denn das war s^'
lange vor der academischen Hoffähigkeitserklärung der Nationalöeonomie w"?
anders gewesen; und diese Thatsache allein hätte schon sein Dictum widerleg'
„daß niemand practischen Nutzen aus ihr ziehe." Ja, wir jungen Ä"^^
— ich gestehe es mit tiefem Erröthen — waren schon damals so unklassii
veranlagt, daß wir jeder Frage der Volkswirthschaftslehre mehr practiscy
Nutzen zutrauten, als den berühmtesten Examenfragen jenes ehrwürdig
Römischen Rechtslehrers, unter denen die berühmtesten lauteten:



") Geschichte der Handelskrisen von Max Wirth. Zweite vervollständigte und verbess^
Auflage. Frankfurt a. M. I. D, Sauerländers Verlag 1874.
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[0082] sitzt auch jetzt, nach einer ziemlich durchgreifenden Erneuerung seines Personals, immerhin einige tüchtige Kräfte und in der naiven Liebhaberin Frl. Both sogar eine nach gewissen Seiten hin vollendete Künstlerin. Aber auf ihren Schultern liegt auch Alles; in den Stücken wenigstens, die ich bisher ange¬ sehen. „Ein deutsches Mädchen im Elsaß" von Rudolf Kreisel. „Rosa und Röschen" von Chart. Birch-Pfeiffer und „Der Jesuit und sein Zögling" von A. Schreiber, ist sie das Factotum. Namentlich in dem letzteren, sonst übri¬ gens sehr harmlosen und leidlich langweiligen Stücke entzückt sie als sieb¬ zehnjähriger Baron Carbonet durch frischen Humor und liebenswürdige Na¬ türlichkeit. Uebrigens ist das beste unter den genannten Lustspielen unbe¬ streitbar das Kreisel'sche. freilich ein Tendenzstück, aber zeitgemäß und. gut ^ ^ gespielt, sehr bühnenwirksam. Was Wirth's Heschichte der Handelskrisen.*) Ein alter Professor des Römischen Rechts aus der Bekanntschaft des Referenten, der geneigt schien, sich auf den Kopf zu stellen, als die Nation«^ öconomie an einer gewissen Universität Deutschlands unter die obligatorisch^ Fachstudien der Juristen und unter die Disciplinen aufgenommen wurde, ^ denen männiglich beim ersten Examen geprüft werden sollte, pflegte in ver- traulichen Stunden das gelassene Wort auszusprechen: „Was heißt Nation^' öconomie? Die Gesetze, die man darin zu erkennen glaubt, beruhen im feigsten Falle auf Einbildung, oftmals auf Schwindel" — er brauchte rvirkl^ dieses harte Wort — „und practischen Nutzen kann niemand daraus ziehet Ich weiß nicht, welches Mißgeschick den gelehrten Kenner der Digesten " ein so gespanntes Verhältniß zur Volkswirtschaftslehre versetzte. Daß Colleg nach wie vor von den Zwangsabonnenten spärlich besucht war, Hörsaal des Nationalöconomen dagegen kein Apfel zur Erde fallen komm^- war jedenfalls keine Erklärung seiner harten Worte. Denn das war s^' lange vor der academischen Hoffähigkeitserklärung der Nationalöeonomie w"? anders gewesen; und diese Thatsache allein hätte schon sein Dictum widerleg' „daß niemand practischen Nutzen aus ihr ziehe." Ja, wir jungen Ä"^^ — ich gestehe es mit tiefem Erröthen — waren schon damals so unklassii veranlagt, daß wir jeder Frage der Volkswirthschaftslehre mehr practiscy Nutzen zutrauten, als den berühmtesten Examenfragen jenes ehrwürdig Römischen Rechtslehrers, unter denen die berühmtesten lauteten: ") Geschichte der Handelskrisen von Max Wirth. Zweite vervollständigte und verbess^ Auflage. Frankfurt a. M. I. D, Sauerländers Verlag 1874.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/82>, abgerufen am 28.12.2024.