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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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abgerungen wurde -- der wechselnden Laune des Sonnenlichtes, der Hitze
oder Kälte, den natürlichen Grenzen menschlicher Geduld und menschlicher
Muskelkraft -- diese Skizze soll veredelt und vertieft werden zu dem Bilde,
welches die Natur selbst in jenen Stunden drangvollen Schaffens dem Maler
bot, soll nun bequem ausgestaltet werden durch eine fertige Technik und er¬
füllt von dem warmen lebendigen Hauche, der den Künstler zum Schaffen
zwang und ihn immer noch daheim in der stillen Klause erwärmt, auch wenn
deren eines Fenster nur nach Norden zeigt. Nur die Natur soll die
"Studie" wiedergeben, nicht mehr, nicht weniger -- wohl ihr, wenn sie an¬
nähernd die Natur zu geben vermag!

Die Studie ist der "Essay" der bildenden Künste; der Essay die "Studie"
unter den Schriftwerken, im Gegensatz zum stilvollen Staffeleibild und zur
flüchtigen Wanderskizze. In den stillen Mysterien der Kunstgenossen wird
allezeit freilich wohl die Skizze am höchsten gehalten werden. Niemals wird
der wahre Künstler sich ihrer entäußern. Nicht, weil der Markt ihr ver¬
schlossen wäre. Denn bei der leidigen modernen Geschmacksrichtung, die
Fehler und Schwächen des Farbenkörpers der Skizze auch auf durchgearbeitete
Staffeleibilder zu übertragen, und bei der Unfähigkeit so vieler Aussteller sich
über skizzenhafte Leistungen zu erheben, möchte immerhin einige Hoffnung auf
Absatz auch für gute Skizzen vorhanden sein. Aber die Skizze ist dem Maler
das Lebenslicht im edelsten Sinne des Wortes. Sie ist das Tagebuch, das
er in inbrünstigen Verkehr mit der Natur, mit seiner Muse geführt. In
der Skizze -- mag sie in den Augen des Laien noch so unvollkommen sein,
-- spiegelt sich die unverfälschte, von des Gedankens Blässe noch nicht an¬
gekränkelte, Natur. Sich dieser Blätter entäußern, hieße sich selbst preisgeben.
Sie bieten dem Künstler das sicherste Schutzmittel gegen die Gefahr, der
Manier zu erliegen. Sie sind der Prüfstein für jeden, ob er die Natur
richtig und eigenartig zu verbildlichen vermag. An der Studie zeigt sich dann,
ob dem Maler die Kraft poetischer Ausgestaltung, das künstlerische Vermögen
gegeben ist, Vorbilder, die schon der Vergangenheit, der Erinnerung angehören,
lebendig zurückzurufen und dem Beschauer vorzuführen.

Dieser poetischen Gestaltungskraft kann auch der Essayist nicht entrathen.
Im Gegentheil, nur wenn er Dichter ist. wird ihm der Essay völlig gelingen.
Er kann sich nicht in jener behaglichen, alle Quellen erschöpfenden Breite er¬
gehen, welche der eigentliche Geschichtsschreiber der Literatur-, Kunst- und
Kulturgeschichte, die staatswissenschaftliche oder politische Fachgelehrsamkeit, für
sich in Anspruch nimmt. Wo bliebe der "gebildete Leser", wenn er das viel¬
seitige Material, das heute in unsern Salons, in unsern geselligen und
Politischen Vereinigungen zur Discussion steht, aus breiten Fachwerken
schöpfen müßte? Wie könnte der Schriftsteller den dringendsten politischen,


abgerungen wurde — der wechselnden Laune des Sonnenlichtes, der Hitze
oder Kälte, den natürlichen Grenzen menschlicher Geduld und menschlicher
Muskelkraft — diese Skizze soll veredelt und vertieft werden zu dem Bilde,
welches die Natur selbst in jenen Stunden drangvollen Schaffens dem Maler
bot, soll nun bequem ausgestaltet werden durch eine fertige Technik und er¬
füllt von dem warmen lebendigen Hauche, der den Künstler zum Schaffen
zwang und ihn immer noch daheim in der stillen Klause erwärmt, auch wenn
deren eines Fenster nur nach Norden zeigt. Nur die Natur soll die
„Studie" wiedergeben, nicht mehr, nicht weniger — wohl ihr, wenn sie an¬
nähernd die Natur zu geben vermag!

Die Studie ist der „Essay" der bildenden Künste; der Essay die „Studie"
unter den Schriftwerken, im Gegensatz zum stilvollen Staffeleibild und zur
flüchtigen Wanderskizze. In den stillen Mysterien der Kunstgenossen wird
allezeit freilich wohl die Skizze am höchsten gehalten werden. Niemals wird
der wahre Künstler sich ihrer entäußern. Nicht, weil der Markt ihr ver¬
schlossen wäre. Denn bei der leidigen modernen Geschmacksrichtung, die
Fehler und Schwächen des Farbenkörpers der Skizze auch auf durchgearbeitete
Staffeleibilder zu übertragen, und bei der Unfähigkeit so vieler Aussteller sich
über skizzenhafte Leistungen zu erheben, möchte immerhin einige Hoffnung auf
Absatz auch für gute Skizzen vorhanden sein. Aber die Skizze ist dem Maler
das Lebenslicht im edelsten Sinne des Wortes. Sie ist das Tagebuch, das
er in inbrünstigen Verkehr mit der Natur, mit seiner Muse geführt. In
der Skizze — mag sie in den Augen des Laien noch so unvollkommen sein,
— spiegelt sich die unverfälschte, von des Gedankens Blässe noch nicht an¬
gekränkelte, Natur. Sich dieser Blätter entäußern, hieße sich selbst preisgeben.
Sie bieten dem Künstler das sicherste Schutzmittel gegen die Gefahr, der
Manier zu erliegen. Sie sind der Prüfstein für jeden, ob er die Natur
richtig und eigenartig zu verbildlichen vermag. An der Studie zeigt sich dann,
ob dem Maler die Kraft poetischer Ausgestaltung, das künstlerische Vermögen
gegeben ist, Vorbilder, die schon der Vergangenheit, der Erinnerung angehören,
lebendig zurückzurufen und dem Beschauer vorzuführen.

Dieser poetischen Gestaltungskraft kann auch der Essayist nicht entrathen.
Im Gegentheil, nur wenn er Dichter ist. wird ihm der Essay völlig gelingen.
Er kann sich nicht in jener behaglichen, alle Quellen erschöpfenden Breite er¬
gehen, welche der eigentliche Geschichtsschreiber der Literatur-, Kunst- und
Kulturgeschichte, die staatswissenschaftliche oder politische Fachgelehrsamkeit, für
sich in Anspruch nimmt. Wo bliebe der „gebildete Leser", wenn er das viel¬
seitige Material, das heute in unsern Salons, in unsern geselligen und
Politischen Vereinigungen zur Discussion steht, aus breiten Fachwerken
schöpfen müßte? Wie könnte der Schriftsteller den dringendsten politischen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/7>, abgerufen am 27.07.2024.