Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.wir darin schauen, gereicht dem Verfasser wahrlich nicht zur Unehre. Es Herman Grimm ist der Erste in Deutschland gewesen, der "Essays" ge¬ wir darin schauen, gereicht dem Verfasser wahrlich nicht zur Unehre. Es Herman Grimm ist der Erste in Deutschland gewesen, der „Essays" ge¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0006" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132228"/> <p xml:id="ID_5" prev="#ID_4"> wir darin schauen, gereicht dem Verfasser wahrlich nicht zur Unehre. Es<lb/> sind, wenn auch ein wenig jünger und naiver, dieselben Züge, die heute in<lb/> dem Charakterbild der besten deutschen Männer zusammentreffen.</p><lb/> <p xml:id="ID_6" next="#ID_7"> Herman Grimm ist der Erste in Deutschland gewesen, der „Essays" ge¬<lb/> schrieben hat, die den Namen verdienen. Sein Beispiel hat eine namhafte<lb/> Concurrenz hervorgerufen und mancher von denen, die ihm nacheiferten, hat<lb/> Hervorragendes geleistet aus dem Gebiete des literar- oder kunsthistorischen<lb/> Essays; im politischen Essay besonders hat Heinrich von Treitschke Herman<lb/> Grimm vielleicht überflügelt. Gleichwohl besitzt Grimm eigenthümliche Vor¬<lb/> züge, die wenig Andere in diesem Grade aufzuweisen haben, keiner ganz so in<lb/> sich vereinigt wie er, und die ihn für das Genre des „Essay" befähigen, wie<lb/> keinen zweiten. Es mag wohl gestattet sein, die Eigenthümlichkeit der Schrift¬<lb/> gattung , die er zuerst bei uns einführte, mit anderen Kunstwerken zu ver¬<lb/> gleichen, um sie zu charakterisiren, z. B. mit gewissen Schöpfungsgattungen<lb/> der bildenden Kunst. Jede Gemäldeausstellung zeigt uns den Unterschied<lb/> auch in den Bildwerken, der auf schriftstellerischen Gebiete zwischen der gründ¬<lb/> lichen gelehrten Abhandlung und dem Essay von selbst in die Augen fällt.<lb/> Hier finden wir vollendete Staffeleigemälde aller Genres: Arbeiten, denen wir<lb/> vielleicht, Dank der Kunstübung Sicherheit und Genialität des Meisters, die<lb/> Mühe des Schaffens nicht anmerken, in denen aber bei genauer Betrachtung<lb/> immerhin die Unmittelbarkeit der Natur durchaus zurücktritt vor der Idee,<lb/> die im Bilde ausgesprochen werden soll; vor der Schule, welche die Hand<lb/> des Meisters übte und hier sich ausprägt. Kaum ein Faltenwurf oder eine<lb/> Gliedstellung in dem historischen Gemälde vor uns erinnert daran, daß lebende<lb/> Modelle dem Künstler vor Augen standen, als er die Vorstudien für dieses<lb/> Bild machte; kaum eine unverkennbare Kirchthurmspitze oder eine eigenartige<lb/> Linie des fernen Gebirges gemahnt uns daran, daß die „stimmungsreiche"<lb/> Landschaft vor uns wirklich einst an Ort und Stelle aufgenommen, vom<lb/> Künstler so gesehen wurde, wie wir sie in der Natur sahen, von Gottes<lb/> blauem Himmel überspannt. Neben diesen vollendetsten, am meisten durch¬<lb/> gearbeiteten Schöpfungen des Pinsels, in denen der künstlerische Verstand vor¬<lb/> herrscht, der jedem Menschenantlitz etwas historischen Edelrose miegt, jedem<lb/> Thier etwas bucolische Würde und jedem Baum, jedem Berg d i e Form und<lb/> Farbe giebt, welche gerade an der betreffenden Stelle vonnöthen ist. um an¬<lb/> genehm und harmonisch zu wirken, — neben ihnen erblicken wir eine kleinere<lb/> Anzahl von Gemälden, die sich selbst als „Studien" bezeichnen. Wenn ihr<lb/> Titel vom Künstler richtig gewählt ist, so müssen sie alle den nämlichen, höchst<lb/> erfrischenden Eindruck auf uns machen: hier will der Künstler die Natur so<lb/> darstellen, wie sie ihn wirklich zum Schaffen begeisterte. Die flüchtige Skizze,<lb/> welche den hundert und mehr Schwierigkeiten des Malens nach der Natur</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0006]
wir darin schauen, gereicht dem Verfasser wahrlich nicht zur Unehre. Es
sind, wenn auch ein wenig jünger und naiver, dieselben Züge, die heute in
dem Charakterbild der besten deutschen Männer zusammentreffen.
Herman Grimm ist der Erste in Deutschland gewesen, der „Essays" ge¬
schrieben hat, die den Namen verdienen. Sein Beispiel hat eine namhafte
Concurrenz hervorgerufen und mancher von denen, die ihm nacheiferten, hat
Hervorragendes geleistet aus dem Gebiete des literar- oder kunsthistorischen
Essays; im politischen Essay besonders hat Heinrich von Treitschke Herman
Grimm vielleicht überflügelt. Gleichwohl besitzt Grimm eigenthümliche Vor¬
züge, die wenig Andere in diesem Grade aufzuweisen haben, keiner ganz so in
sich vereinigt wie er, und die ihn für das Genre des „Essay" befähigen, wie
keinen zweiten. Es mag wohl gestattet sein, die Eigenthümlichkeit der Schrift¬
gattung , die er zuerst bei uns einführte, mit anderen Kunstwerken zu ver¬
gleichen, um sie zu charakterisiren, z. B. mit gewissen Schöpfungsgattungen
der bildenden Kunst. Jede Gemäldeausstellung zeigt uns den Unterschied
auch in den Bildwerken, der auf schriftstellerischen Gebiete zwischen der gründ¬
lichen gelehrten Abhandlung und dem Essay von selbst in die Augen fällt.
Hier finden wir vollendete Staffeleigemälde aller Genres: Arbeiten, denen wir
vielleicht, Dank der Kunstübung Sicherheit und Genialität des Meisters, die
Mühe des Schaffens nicht anmerken, in denen aber bei genauer Betrachtung
immerhin die Unmittelbarkeit der Natur durchaus zurücktritt vor der Idee,
die im Bilde ausgesprochen werden soll; vor der Schule, welche die Hand
des Meisters übte und hier sich ausprägt. Kaum ein Faltenwurf oder eine
Gliedstellung in dem historischen Gemälde vor uns erinnert daran, daß lebende
Modelle dem Künstler vor Augen standen, als er die Vorstudien für dieses
Bild machte; kaum eine unverkennbare Kirchthurmspitze oder eine eigenartige
Linie des fernen Gebirges gemahnt uns daran, daß die „stimmungsreiche"
Landschaft vor uns wirklich einst an Ort und Stelle aufgenommen, vom
Künstler so gesehen wurde, wie wir sie in der Natur sahen, von Gottes
blauem Himmel überspannt. Neben diesen vollendetsten, am meisten durch¬
gearbeiteten Schöpfungen des Pinsels, in denen der künstlerische Verstand vor¬
herrscht, der jedem Menschenantlitz etwas historischen Edelrose miegt, jedem
Thier etwas bucolische Würde und jedem Baum, jedem Berg d i e Form und
Farbe giebt, welche gerade an der betreffenden Stelle vonnöthen ist. um an¬
genehm und harmonisch zu wirken, — neben ihnen erblicken wir eine kleinere
Anzahl von Gemälden, die sich selbst als „Studien" bezeichnen. Wenn ihr
Titel vom Künstler richtig gewählt ist, so müssen sie alle den nämlichen, höchst
erfrischenden Eindruck auf uns machen: hier will der Künstler die Natur so
darstellen, wie sie ihn wirklich zum Schaffen begeisterte. Die flüchtige Skizze,
welche den hundert und mehr Schwierigkeiten des Malens nach der Natur
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