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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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veröffentlichte Zeilen: "Ich liebe den Kaiser nicht, aber noch weniger die Ver-
läumdung. Er hat sich tapfer gezeigt und wenn er nicht getödtet wurde, so
hat ihm doch wenigstens die Lust dazu nicht gefehlt. Unsere Anführer waren
ungeschickt, unsere Soldaten Narren und zügellos, aber feige war Niemand.
Ich sage das mit Nachdruck zur Ehre Frankreichs. Man dient keiner guten
Sache durch Lügen. Sedan ist ein Fehler, ein großes Unglück, aber nie eine
Schande! Sagen Sie das überall und Jedermann!" --

Diesem Zeugniß, das man nicht wird abweisen können, fügen wir noch
dasjenige der Journalisten bei, welche das Heer begleiteten. Der Berichter¬
statter des "Temps" schrieb: "Der Kaiser hat sterben wollen. Diese That¬
sache steht jetzt fest. Der Tod ging an ihm vorüber wie bei Metz auf dem
Feld von Mont-Saint-Jean, als die Kanonenkugeln, die er herbeirief, darauf
bestanden, ihn zu verschonen."

Der Berichterstatter der "Times" erzählt, daß in der Schlacht von
Sedan "der Kaiser den größten Muth bewies. Vergebens suchte er den Tod.
Eine Kugel fiel unter den Füßen seines Pferdes nieder".

Das Amtsblatt von Berlin vom 8. September sagt, "der Kaiser
habe sich nach dem Bericht von Augenzeugen in der Schlacht bei Sedan in
solchem Maße ausgesetzt, daß seine Absicht, sich tödten zu lassen, in die
Augen sprang."

Endlich in dem Brief des deutschen Berichterstatters des "Standard"
lesen wir: "Die Opposition erklärte, die Capitulation von Sedan sei ein Akt
der Feigheit des Kaisers gewesen, und diese Lüge, ohne Prüfung angenommen,
wurde eine der Grundlagen der neuen Republik. Indessen weiß heute Jeder¬
mann, daß den Kaiser an diesem schrecklichen Tage, an welchem seine ganze
Macht zusammenbrach, sein kalter Muth nie verlassen hat. Mehrere Stunden
lang hat er sich dem heftigsten Feuer ausgesetzt und dem Tode angeboten.
Allerdings wollte er kein Selbstmörder sein, das ist die leichte Zuflucht hoch-
wüthiger Egoisten, aber wenn er sagte: "Ich konnte den Tod an der Spitze
meiner Soldaten nicht finden", so hat er einfach die Wahrheit gesagt." --

In Sachen der Tapferkeit kennen wir keinen besseren Richter als den
französischen Soldaten. Ein sergent nun der Vierundsiebziger erzählt: "Als
die Schlacht am tollsten war, bemerkte der Kaiser eine Mitrailleusenbatterie,
auf welche die Preußen einen Regen von Geschossen fallen ließen. Die Be¬
dienungsmannschaft war getödtet oder verwundet, und durch Soldaten aller
Waffen ersetzt. Der Kaiser näherte sich, stieg vom Pferde, befehligte das
Manöver und richtete selbst eines der Stücke, indem er sagte: "Muth, Kinder,
Noch eine Anstrengung, es gilt für Frankreich!" Das sah ich, das hörte ich,
denn ich war dabei." --

Die nämliche Thatsache ist durch das Zeugniß des englischen Obristen


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veröffentlichte Zeilen: „Ich liebe den Kaiser nicht, aber noch weniger die Ver-
läumdung. Er hat sich tapfer gezeigt und wenn er nicht getödtet wurde, so
hat ihm doch wenigstens die Lust dazu nicht gefehlt. Unsere Anführer waren
ungeschickt, unsere Soldaten Narren und zügellos, aber feige war Niemand.
Ich sage das mit Nachdruck zur Ehre Frankreichs. Man dient keiner guten
Sache durch Lügen. Sedan ist ein Fehler, ein großes Unglück, aber nie eine
Schande! Sagen Sie das überall und Jedermann!" —

Diesem Zeugniß, das man nicht wird abweisen können, fügen wir noch
dasjenige der Journalisten bei, welche das Heer begleiteten. Der Berichter¬
statter des „Temps" schrieb: „Der Kaiser hat sterben wollen. Diese That¬
sache steht jetzt fest. Der Tod ging an ihm vorüber wie bei Metz auf dem
Feld von Mont-Saint-Jean, als die Kanonenkugeln, die er herbeirief, darauf
bestanden, ihn zu verschonen."

Der Berichterstatter der „Times" erzählt, daß in der Schlacht von
Sedan „der Kaiser den größten Muth bewies. Vergebens suchte er den Tod.
Eine Kugel fiel unter den Füßen seines Pferdes nieder".

Das Amtsblatt von Berlin vom 8. September sagt, „der Kaiser
habe sich nach dem Bericht von Augenzeugen in der Schlacht bei Sedan in
solchem Maße ausgesetzt, daß seine Absicht, sich tödten zu lassen, in die
Augen sprang."

Endlich in dem Brief des deutschen Berichterstatters des „Standard"
lesen wir: „Die Opposition erklärte, die Capitulation von Sedan sei ein Akt
der Feigheit des Kaisers gewesen, und diese Lüge, ohne Prüfung angenommen,
wurde eine der Grundlagen der neuen Republik. Indessen weiß heute Jeder¬
mann, daß den Kaiser an diesem schrecklichen Tage, an welchem seine ganze
Macht zusammenbrach, sein kalter Muth nie verlassen hat. Mehrere Stunden
lang hat er sich dem heftigsten Feuer ausgesetzt und dem Tode angeboten.
Allerdings wollte er kein Selbstmörder sein, das ist die leichte Zuflucht hoch-
wüthiger Egoisten, aber wenn er sagte: „Ich konnte den Tod an der Spitze
meiner Soldaten nicht finden", so hat er einfach die Wahrheit gesagt." —

In Sachen der Tapferkeit kennen wir keinen besseren Richter als den
französischen Soldaten. Ein sergent nun der Vierundsiebziger erzählt: „Als
die Schlacht am tollsten war, bemerkte der Kaiser eine Mitrailleusenbatterie,
auf welche die Preußen einen Regen von Geschossen fallen ließen. Die Be¬
dienungsmannschaft war getödtet oder verwundet, und durch Soldaten aller
Waffen ersetzt. Der Kaiser näherte sich, stieg vom Pferde, befehligte das
Manöver und richtete selbst eines der Stücke, indem er sagte: „Muth, Kinder,
Noch eine Anstrengung, es gilt für Frankreich!" Das sah ich, das hörte ich,
denn ich war dabei." —

Die nämliche Thatsache ist durch das Zeugniß des englischen Obristen


Ärenzboten IV. it»74. 9
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[0069] veröffentlichte Zeilen: „Ich liebe den Kaiser nicht, aber noch weniger die Ver- läumdung. Er hat sich tapfer gezeigt und wenn er nicht getödtet wurde, so hat ihm doch wenigstens die Lust dazu nicht gefehlt. Unsere Anführer waren ungeschickt, unsere Soldaten Narren und zügellos, aber feige war Niemand. Ich sage das mit Nachdruck zur Ehre Frankreichs. Man dient keiner guten Sache durch Lügen. Sedan ist ein Fehler, ein großes Unglück, aber nie eine Schande! Sagen Sie das überall und Jedermann!" — Diesem Zeugniß, das man nicht wird abweisen können, fügen wir noch dasjenige der Journalisten bei, welche das Heer begleiteten. Der Berichter¬ statter des „Temps" schrieb: „Der Kaiser hat sterben wollen. Diese That¬ sache steht jetzt fest. Der Tod ging an ihm vorüber wie bei Metz auf dem Feld von Mont-Saint-Jean, als die Kanonenkugeln, die er herbeirief, darauf bestanden, ihn zu verschonen." Der Berichterstatter der „Times" erzählt, daß in der Schlacht von Sedan „der Kaiser den größten Muth bewies. Vergebens suchte er den Tod. Eine Kugel fiel unter den Füßen seines Pferdes nieder". Das Amtsblatt von Berlin vom 8. September sagt, „der Kaiser habe sich nach dem Bericht von Augenzeugen in der Schlacht bei Sedan in solchem Maße ausgesetzt, daß seine Absicht, sich tödten zu lassen, in die Augen sprang." Endlich in dem Brief des deutschen Berichterstatters des „Standard" lesen wir: „Die Opposition erklärte, die Capitulation von Sedan sei ein Akt der Feigheit des Kaisers gewesen, und diese Lüge, ohne Prüfung angenommen, wurde eine der Grundlagen der neuen Republik. Indessen weiß heute Jeder¬ mann, daß den Kaiser an diesem schrecklichen Tage, an welchem seine ganze Macht zusammenbrach, sein kalter Muth nie verlassen hat. Mehrere Stunden lang hat er sich dem heftigsten Feuer ausgesetzt und dem Tode angeboten. Allerdings wollte er kein Selbstmörder sein, das ist die leichte Zuflucht hoch- wüthiger Egoisten, aber wenn er sagte: „Ich konnte den Tod an der Spitze meiner Soldaten nicht finden", so hat er einfach die Wahrheit gesagt." — In Sachen der Tapferkeit kennen wir keinen besseren Richter als den französischen Soldaten. Ein sergent nun der Vierundsiebziger erzählt: „Als die Schlacht am tollsten war, bemerkte der Kaiser eine Mitrailleusenbatterie, auf welche die Preußen einen Regen von Geschossen fallen ließen. Die Be¬ dienungsmannschaft war getödtet oder verwundet, und durch Soldaten aller Waffen ersetzt. Der Kaiser näherte sich, stieg vom Pferde, befehligte das Manöver und richtete selbst eines der Stücke, indem er sagte: „Muth, Kinder, Noch eine Anstrengung, es gilt für Frankreich!" Das sah ich, das hörte ich, denn ich war dabei." — Die nämliche Thatsache ist durch das Zeugniß des englischen Obristen Ärenzboten IV. it»74. 9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/69>, abgerufen am 27.07.2024.