Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

deshalb der Krieg große Gefahren bieten würde. Wer das bezweifelt, dem
empfehle ich die sorgsame Lectüre der Proclamation des Kaisers an die Armee:
"Soldaten, ich stelle mich an Eure Spitze, um die Ehre und das Heil des
Vaterlandes zu vertheidigen. Ihr werdet eine der besten Armeen
Europas bekämpfen. . . Der Krieg, der jetzt beginnt, wird lang und
schwierig sein. Ganz Frankreich begleitet euch mit feurigen Wünschen, und
die Welt richtet die Augen auf euch! Von unserem Erfolg hängt das Loos
der Freiheit und der Civilisation ab! Soldaten, thue jeder seine Pflicht, und
der Herr der Heerschaaren wird mit uns sein!" --

Wahrhaftig, nicht der Kaiser ist es, der den Krieg gewollt hat! Er
war damals schwer von der Krankheit heimgesucht, die er tragen mußte, er
wollte und konnte nichts wollen als den Frieden. Und andererseits, man
stand hart hinter dem Plebiscit von 1870. Sehr naiv in der That oder
vielmehr sehr unverschämt sind alle diejenigen, welche behaupten, der Kaiser
habe damals des Prestiges bedurft, das ihm der Sieg hätte verschaffen können!
Wie? War denn nicht die Kraft des Kaiserreichs soeben durch mehr als
7 Millionen Stimmen, durch Eure Stimmen, meine lieben Freunde, bestätigt
worden? Und das soll der Augenblick sein, den Napoleon III. gewählt
hätte, um sich aus freien Stücken in die Abenteuer eines Kriegs zu stürzen,
er, der kranke Mann, wie ich Euch eben erinnerte, und während sein Sohn,
sein inzwischen zum Mann gereifter Sohn, noch ein Kind war, und während
er, der Kaiser, wußte, daß wir zum Kampf mit Preußen nicht bereit waren-

Ja, wir waren nicht bereit.

Und man hat Euch gesagt, auch daran sei der Kaiser schuld. Das ist
die zweite Lüge. Wenn wir nicht bereit waren, so liegt der Fehler nicht aw
Kaiser, welcher, schon 1867, in seiner Rede bei Eröffnung der Kammer"
sagten "Der Einfluß einer Nation hängt von der Anzahl Menschen ab, die
sie bewaffnen kann." --

Der Fehler liegt auch nicht an seinen Ministern. Im Jahr 1868 sagte
Marschall Niet, welcher beständig die Organisation der Mobilgarde forderte,
in der Kammer: "Ich bin überzeugt, daß Sie in Kurzem es bitter beklagt
werden, diese Institution angetastet zu haben", und weiter: "Sie mache"
mir meine Aufgabe unmöglich. Wenn ich die Mission, die Armee zu reorga-
nisiren, die mir der Kaiser anvertraute, aufnahm, eine Mission, deren ErfolA
ich für gesichert halte, wie können Sie mir die Dinge verweigern, die ich "l
nothwendig betrachte?" -- Ach. Ihr wißt, wie dieser arme Marsch"
vor Kummer starb ohne selbst erlangt zu haben, daß man die Mobilgar
im Gebrauch der Feuerwaffen und bet den Manövern übte! Hört welter-
was andererseits Rouher gesagt hat: "Preußen kann in gewissen Falle"
über eine Million dreimalhunderttausend Mann verfügen. Ohne Zoe'fe


deshalb der Krieg große Gefahren bieten würde. Wer das bezweifelt, dem
empfehle ich die sorgsame Lectüre der Proclamation des Kaisers an die Armee:
„Soldaten, ich stelle mich an Eure Spitze, um die Ehre und das Heil des
Vaterlandes zu vertheidigen. Ihr werdet eine der besten Armeen
Europas bekämpfen. . . Der Krieg, der jetzt beginnt, wird lang und
schwierig sein. Ganz Frankreich begleitet euch mit feurigen Wünschen, und
die Welt richtet die Augen auf euch! Von unserem Erfolg hängt das Loos
der Freiheit und der Civilisation ab! Soldaten, thue jeder seine Pflicht, und
der Herr der Heerschaaren wird mit uns sein!" —

Wahrhaftig, nicht der Kaiser ist es, der den Krieg gewollt hat! Er
war damals schwer von der Krankheit heimgesucht, die er tragen mußte, er
wollte und konnte nichts wollen als den Frieden. Und andererseits, man
stand hart hinter dem Plebiscit von 1870. Sehr naiv in der That oder
vielmehr sehr unverschämt sind alle diejenigen, welche behaupten, der Kaiser
habe damals des Prestiges bedurft, das ihm der Sieg hätte verschaffen können!
Wie? War denn nicht die Kraft des Kaiserreichs soeben durch mehr als
7 Millionen Stimmen, durch Eure Stimmen, meine lieben Freunde, bestätigt
worden? Und das soll der Augenblick sein, den Napoleon III. gewählt
hätte, um sich aus freien Stücken in die Abenteuer eines Kriegs zu stürzen,
er, der kranke Mann, wie ich Euch eben erinnerte, und während sein Sohn,
sein inzwischen zum Mann gereifter Sohn, noch ein Kind war, und während
er, der Kaiser, wußte, daß wir zum Kampf mit Preußen nicht bereit waren-

Ja, wir waren nicht bereit.

Und man hat Euch gesagt, auch daran sei der Kaiser schuld. Das ist
die zweite Lüge. Wenn wir nicht bereit waren, so liegt der Fehler nicht aw
Kaiser, welcher, schon 1867, in seiner Rede bei Eröffnung der Kammer»
sagten „Der Einfluß einer Nation hängt von der Anzahl Menschen ab, die
sie bewaffnen kann." —

Der Fehler liegt auch nicht an seinen Ministern. Im Jahr 1868 sagte
Marschall Niet, welcher beständig die Organisation der Mobilgarde forderte,
in der Kammer: „Ich bin überzeugt, daß Sie in Kurzem es bitter beklagt
werden, diese Institution angetastet zu haben", und weiter: „Sie mache"
mir meine Aufgabe unmöglich. Wenn ich die Mission, die Armee zu reorga-
nisiren, die mir der Kaiser anvertraute, aufnahm, eine Mission, deren ErfolA
ich für gesichert halte, wie können Sie mir die Dinge verweigern, die ich «l
nothwendig betrachte?" — Ach. Ihr wißt, wie dieser arme Marsch«
vor Kummer starb ohne selbst erlangt zu haben, daß man die Mobilgar
im Gebrauch der Feuerwaffen und bet den Manövern übte! Hört welter-
was andererseits Rouher gesagt hat: „Preußen kann in gewissen Falle"
über eine Million dreimalhunderttausend Mann verfügen. Ohne Zoe'fe


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0064" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132286"/>
          <p xml:id="ID_176" prev="#ID_175"> deshalb der Krieg große Gefahren bieten würde. Wer das bezweifelt, dem<lb/>
empfehle ich die sorgsame Lectüre der Proclamation des Kaisers an die Armee:<lb/>
&#x201E;Soldaten, ich stelle mich an Eure Spitze, um die Ehre und das Heil des<lb/>
Vaterlandes zu vertheidigen. Ihr werdet eine der besten Armeen<lb/>
Europas bekämpfen. . . Der Krieg, der jetzt beginnt, wird lang und<lb/>
schwierig sein. Ganz Frankreich begleitet euch mit feurigen Wünschen, und<lb/>
die Welt richtet die Augen auf euch! Von unserem Erfolg hängt das Loos<lb/>
der Freiheit und der Civilisation ab! Soldaten, thue jeder seine Pflicht, und<lb/>
der Herr der Heerschaaren wird mit uns sein!" &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_177"> Wahrhaftig, nicht der Kaiser ist es, der den Krieg gewollt hat! Er<lb/>
war damals schwer von der Krankheit heimgesucht, die er tragen mußte, er<lb/>
wollte und konnte nichts wollen als den Frieden. Und andererseits, man<lb/>
stand hart hinter dem Plebiscit von 1870. Sehr naiv in der That oder<lb/>
vielmehr sehr unverschämt sind alle diejenigen, welche behaupten, der Kaiser<lb/>
habe damals des Prestiges bedurft, das ihm der Sieg hätte verschaffen können!<lb/>
Wie? War denn nicht die Kraft des Kaiserreichs soeben durch mehr als<lb/>
7 Millionen Stimmen, durch Eure Stimmen, meine lieben Freunde, bestätigt<lb/>
worden? Und das soll der Augenblick sein, den Napoleon III. gewählt<lb/>
hätte, um sich aus freien Stücken in die Abenteuer eines Kriegs zu stürzen,<lb/>
er, der kranke Mann, wie ich Euch eben erinnerte, und während sein Sohn,<lb/>
sein inzwischen zum Mann gereifter Sohn, noch ein Kind war, und während<lb/>
er, der Kaiser, wußte, daß wir zum Kampf mit Preußen nicht bereit waren-</p><lb/>
          <p xml:id="ID_178"> Ja, wir waren nicht bereit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_179"> Und man hat Euch gesagt, auch daran sei der Kaiser schuld. Das ist<lb/>
die zweite Lüge. Wenn wir nicht bereit waren, so liegt der Fehler nicht aw<lb/>
Kaiser, welcher, schon 1867, in seiner Rede bei Eröffnung der Kammer»<lb/>
sagten &#x201E;Der Einfluß einer Nation hängt von der Anzahl Menschen ab, die<lb/>
sie bewaffnen kann." &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_180" next="#ID_181"> Der Fehler liegt auch nicht an seinen Ministern.  Im Jahr 1868 sagte<lb/>
Marschall Niet, welcher beständig die Organisation der Mobilgarde forderte,<lb/>
in der Kammer:  &#x201E;Ich bin überzeugt, daß Sie in Kurzem es bitter beklagt<lb/>
werden, diese Institution angetastet zu haben", und weiter:  &#x201E;Sie mache"<lb/>
mir meine Aufgabe unmöglich.  Wenn ich die Mission, die Armee zu reorga-<lb/>
nisiren, die mir der Kaiser anvertraute, aufnahm, eine Mission, deren ErfolA<lb/>
ich für gesichert halte, wie können Sie mir die Dinge verweigern, die ich «l<lb/>
nothwendig betrachte?" &#x2014; Ach. Ihr wißt, wie dieser arme Marsch«<lb/>
vor Kummer starb ohne selbst erlangt zu haben, daß man die Mobilgar<lb/>
im Gebrauch der Feuerwaffen und bet den Manövern übte!  Hört welter-<lb/>
was andererseits Rouher gesagt hat:  &#x201E;Preußen kann in gewissen Falle"<lb/>
über eine Million dreimalhunderttausend Mann verfügen.  Ohne Zoe'fe</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0064] deshalb der Krieg große Gefahren bieten würde. Wer das bezweifelt, dem empfehle ich die sorgsame Lectüre der Proclamation des Kaisers an die Armee: „Soldaten, ich stelle mich an Eure Spitze, um die Ehre und das Heil des Vaterlandes zu vertheidigen. Ihr werdet eine der besten Armeen Europas bekämpfen. . . Der Krieg, der jetzt beginnt, wird lang und schwierig sein. Ganz Frankreich begleitet euch mit feurigen Wünschen, und die Welt richtet die Augen auf euch! Von unserem Erfolg hängt das Loos der Freiheit und der Civilisation ab! Soldaten, thue jeder seine Pflicht, und der Herr der Heerschaaren wird mit uns sein!" — Wahrhaftig, nicht der Kaiser ist es, der den Krieg gewollt hat! Er war damals schwer von der Krankheit heimgesucht, die er tragen mußte, er wollte und konnte nichts wollen als den Frieden. Und andererseits, man stand hart hinter dem Plebiscit von 1870. Sehr naiv in der That oder vielmehr sehr unverschämt sind alle diejenigen, welche behaupten, der Kaiser habe damals des Prestiges bedurft, das ihm der Sieg hätte verschaffen können! Wie? War denn nicht die Kraft des Kaiserreichs soeben durch mehr als 7 Millionen Stimmen, durch Eure Stimmen, meine lieben Freunde, bestätigt worden? Und das soll der Augenblick sein, den Napoleon III. gewählt hätte, um sich aus freien Stücken in die Abenteuer eines Kriegs zu stürzen, er, der kranke Mann, wie ich Euch eben erinnerte, und während sein Sohn, sein inzwischen zum Mann gereifter Sohn, noch ein Kind war, und während er, der Kaiser, wußte, daß wir zum Kampf mit Preußen nicht bereit waren- Ja, wir waren nicht bereit. Und man hat Euch gesagt, auch daran sei der Kaiser schuld. Das ist die zweite Lüge. Wenn wir nicht bereit waren, so liegt der Fehler nicht aw Kaiser, welcher, schon 1867, in seiner Rede bei Eröffnung der Kammer» sagten „Der Einfluß einer Nation hängt von der Anzahl Menschen ab, die sie bewaffnen kann." — Der Fehler liegt auch nicht an seinen Ministern. Im Jahr 1868 sagte Marschall Niet, welcher beständig die Organisation der Mobilgarde forderte, in der Kammer: „Ich bin überzeugt, daß Sie in Kurzem es bitter beklagt werden, diese Institution angetastet zu haben", und weiter: „Sie mache" mir meine Aufgabe unmöglich. Wenn ich die Mission, die Armee zu reorga- nisiren, die mir der Kaiser anvertraute, aufnahm, eine Mission, deren ErfolA ich für gesichert halte, wie können Sie mir die Dinge verweigern, die ich «l nothwendig betrachte?" — Ach. Ihr wißt, wie dieser arme Marsch« vor Kummer starb ohne selbst erlangt zu haben, daß man die Mobilgar im Gebrauch der Feuerwaffen und bet den Manövern übte! Hört welter- was andererseits Rouher gesagt hat: „Preußen kann in gewissen Falle" über eine Million dreimalhunderttausend Mann verfügen. Ohne Zoe'fe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/64
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/64>, abgerufen am 27.07.2024.