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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Seiten der Geistlichen geradezu eine Gesetzwidrigkeit in sich schließt*), aber
auch überhaupt, da. wie Eichhorn**) richtig sagt in einer solchen Forderung
sichtbar die Anwendung eines moralischen Zwanges liegt, um eine Handlung
zu bewirken. die nach den bürgerlichen Gesetzen nicht erzwungen werden,
sondern nur aus freier Vereinigung der Verlobten hervorgehen kann." Die
geschichtlichen Mittheilungen des Verfassers über die Form der Eheschließung
sind zum Theil unrichtig. Es ist falsch, wenn gesagt wird: Erst die Refor¬
matoren der evangelischen Kirche erachteten dieselbe (die kirchliche Trauung)
für eine zum Abschluß des Ehevertrages erforderliche Form.***) Solche grund¬
lose Behauptungen sollten nach dem Erscheinen von Friedberg's Epoche
machender Schrift 1-) nicht mehr gewagt werden. Was speziell Luther's
Stellung zu dieser Frage anlangt, so hat sich Referent an einem anderen
Ortel"!-) eingehend darüber ausgesprochen und beschränkt sich darauf, hier die
dort gewonnenen Resultate zu vergegenwärtigen. "Luther weist die Ehe¬
angelegenheiten der bürgerlichen Obrigkeit zu und betrachtet sie als ein Ge¬
biet, das eigentlich außerhalb der kirchlichen Rechtssphäre sich befindet.
Nichtsdestoweniger soll die Kirche, wenn die bürgerliche Obrigkeit eine kirch¬
liche Segnung oder Trauung verlangt, dieselbe vollziehen. Luther sieht also
die Eheschließung wesentlich als einen civilen Akt an und betrachtet die
Kirche, insoweit sie die Trauung vollzieht, als Mandatarin der bürgerlichen
Obrigkeit." "Er sah eben die Trauung als eine wesentlich civile Handlung
an. Dagegen die Segnung der Getränken erschien ihm als eine Feier, welche
die Kirche in ihrem eigenen Namen vollzog. Er folgte daher der bestehenden
Akte und theilte die Handlung in zwei Abschnitte, die Trauung verlegte er
vor die Kirche, die Segnung dagegen knüpfte er an den Altar."

Auch ignorirt der Verfasser, daß schon früh auf protestantischen Boden
die Civilehe sich gebildet hat. In England hat sie von 1653--1660 Geltung
gehabt. In den Niederlanden wurde die fakultative Civilehe am 1. April
1580 für die Provinzen Holland und Westfriesland, am 18. März 16S6 für
die General-Staaten eingeführt, in Schottland gelten die heimlichen Ehen und
Gretna-Green ist der rettende Hafen für die Liebenden, deren Bund in Eng¬
land keine gesetzliche Geltung erlangen kann, wie den Kennern englischer
Romane hinlänglich bekannt ist.

Gegen den Abschnitt "Die Schule und die Religion" haben wir ernste
Bedenken. Vielleicht läßt sich die Frage nach der Confessionslosigkeit der
Schule nicht beantworten, wie es der Verfasser thut. Er hat dem vorliegen-







") Jacobsohn, das co. Kirchenrecht des preußischen Staats. S. 570.
"*) S. 159.
") Grundsätze des Kirchenrechts Bd. 2. S. 506.
s) Das Recht der Eheschließung in seiner geschichtlichen Entwickelung. Leipzig 18t!S.
if) Jacoby, Litmgik der Reformatoren, "otha IWI. Bd. I, S. 32t! u, d. f.

Seiten der Geistlichen geradezu eine Gesetzwidrigkeit in sich schließt*), aber
auch überhaupt, da. wie Eichhorn**) richtig sagt in einer solchen Forderung
sichtbar die Anwendung eines moralischen Zwanges liegt, um eine Handlung
zu bewirken. die nach den bürgerlichen Gesetzen nicht erzwungen werden,
sondern nur aus freier Vereinigung der Verlobten hervorgehen kann." Die
geschichtlichen Mittheilungen des Verfassers über die Form der Eheschließung
sind zum Theil unrichtig. Es ist falsch, wenn gesagt wird: Erst die Refor¬
matoren der evangelischen Kirche erachteten dieselbe (die kirchliche Trauung)
für eine zum Abschluß des Ehevertrages erforderliche Form.***) Solche grund¬
lose Behauptungen sollten nach dem Erscheinen von Friedberg's Epoche
machender Schrift 1-) nicht mehr gewagt werden. Was speziell Luther's
Stellung zu dieser Frage anlangt, so hat sich Referent an einem anderen
Ortel"!-) eingehend darüber ausgesprochen und beschränkt sich darauf, hier die
dort gewonnenen Resultate zu vergegenwärtigen. „Luther weist die Ehe¬
angelegenheiten der bürgerlichen Obrigkeit zu und betrachtet sie als ein Ge¬
biet, das eigentlich außerhalb der kirchlichen Rechtssphäre sich befindet.
Nichtsdestoweniger soll die Kirche, wenn die bürgerliche Obrigkeit eine kirch¬
liche Segnung oder Trauung verlangt, dieselbe vollziehen. Luther sieht also
die Eheschließung wesentlich als einen civilen Akt an und betrachtet die
Kirche, insoweit sie die Trauung vollzieht, als Mandatarin der bürgerlichen
Obrigkeit." „Er sah eben die Trauung als eine wesentlich civile Handlung
an. Dagegen die Segnung der Getränken erschien ihm als eine Feier, welche
die Kirche in ihrem eigenen Namen vollzog. Er folgte daher der bestehenden
Akte und theilte die Handlung in zwei Abschnitte, die Trauung verlegte er
vor die Kirche, die Segnung dagegen knüpfte er an den Altar."

Auch ignorirt der Verfasser, daß schon früh auf protestantischen Boden
die Civilehe sich gebildet hat. In England hat sie von 1653—1660 Geltung
gehabt. In den Niederlanden wurde die fakultative Civilehe am 1. April
1580 für die Provinzen Holland und Westfriesland, am 18. März 16S6 für
die General-Staaten eingeführt, in Schottland gelten die heimlichen Ehen und
Gretna-Green ist der rettende Hafen für die Liebenden, deren Bund in Eng¬
land keine gesetzliche Geltung erlangen kann, wie den Kennern englischer
Romane hinlänglich bekannt ist.

Gegen den Abschnitt „Die Schule und die Religion" haben wir ernste
Bedenken. Vielleicht läßt sich die Frage nach der Confessionslosigkeit der
Schule nicht beantworten, wie es der Verfasser thut. Er hat dem vorliegen-







") Jacobsohn, das co. Kirchenrecht des preußischen Staats. S. 570.
"*) S. 159.
") Grundsätze des Kirchenrechts Bd. 2. S. 506.
s) Das Recht der Eheschließung in seiner geschichtlichen Entwickelung. Leipzig 18t!S.
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[0052] Seiten der Geistlichen geradezu eine Gesetzwidrigkeit in sich schließt*), aber auch überhaupt, da. wie Eichhorn**) richtig sagt in einer solchen Forderung sichtbar die Anwendung eines moralischen Zwanges liegt, um eine Handlung zu bewirken. die nach den bürgerlichen Gesetzen nicht erzwungen werden, sondern nur aus freier Vereinigung der Verlobten hervorgehen kann." Die geschichtlichen Mittheilungen des Verfassers über die Form der Eheschließung sind zum Theil unrichtig. Es ist falsch, wenn gesagt wird: Erst die Refor¬ matoren der evangelischen Kirche erachteten dieselbe (die kirchliche Trauung) für eine zum Abschluß des Ehevertrages erforderliche Form.***) Solche grund¬ lose Behauptungen sollten nach dem Erscheinen von Friedberg's Epoche machender Schrift 1-) nicht mehr gewagt werden. Was speziell Luther's Stellung zu dieser Frage anlangt, so hat sich Referent an einem anderen Ortel"!-) eingehend darüber ausgesprochen und beschränkt sich darauf, hier die dort gewonnenen Resultate zu vergegenwärtigen. „Luther weist die Ehe¬ angelegenheiten der bürgerlichen Obrigkeit zu und betrachtet sie als ein Ge¬ biet, das eigentlich außerhalb der kirchlichen Rechtssphäre sich befindet. Nichtsdestoweniger soll die Kirche, wenn die bürgerliche Obrigkeit eine kirch¬ liche Segnung oder Trauung verlangt, dieselbe vollziehen. Luther sieht also die Eheschließung wesentlich als einen civilen Akt an und betrachtet die Kirche, insoweit sie die Trauung vollzieht, als Mandatarin der bürgerlichen Obrigkeit." „Er sah eben die Trauung als eine wesentlich civile Handlung an. Dagegen die Segnung der Getränken erschien ihm als eine Feier, welche die Kirche in ihrem eigenen Namen vollzog. Er folgte daher der bestehenden Akte und theilte die Handlung in zwei Abschnitte, die Trauung verlegte er vor die Kirche, die Segnung dagegen knüpfte er an den Altar." Auch ignorirt der Verfasser, daß schon früh auf protestantischen Boden die Civilehe sich gebildet hat. In England hat sie von 1653—1660 Geltung gehabt. In den Niederlanden wurde die fakultative Civilehe am 1. April 1580 für die Provinzen Holland und Westfriesland, am 18. März 16S6 für die General-Staaten eingeführt, in Schottland gelten die heimlichen Ehen und Gretna-Green ist der rettende Hafen für die Liebenden, deren Bund in Eng¬ land keine gesetzliche Geltung erlangen kann, wie den Kennern englischer Romane hinlänglich bekannt ist. Gegen den Abschnitt „Die Schule und die Religion" haben wir ernste Bedenken. Vielleicht läßt sich die Frage nach der Confessionslosigkeit der Schule nicht beantworten, wie es der Verfasser thut. Er hat dem vorliegen- ") Jacobsohn, das co. Kirchenrecht des preußischen Staats. S. 570. "*) S. 159. ") Grundsätze des Kirchenrechts Bd. 2. S. 506. s) Das Recht der Eheschließung in seiner geschichtlichen Entwickelung. Leipzig 18t!S. if) Jacoby, Litmgik der Reformatoren, «otha IWI. Bd. I, S. 32t! u, d. f.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/52>, abgerufen am 29.12.2024.