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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Steigerung der allgemeinen wissenschaftlichen Bildung der Theologie Stu-
direnden.

Man verzeihe uns diese Abschweifung. Die hier ausgesprochenen Ge-
danken liegen dem Referenten schon lange auf dem Herzen und sein Beruf
treibt ihn, sie auszusprechen. Wir kehren zu unserer Schrift zurück. Der
Abschnitt, welcher uns hier beschäftigt, berührt viele schwierige Probleme.
Aber sie sind eben nur berührt, ohne daß ein ernstlicher Versuch gemacht
wäre, sie zu lösen. Was der Verfasser über den Glaubenseid sagt, ist durch¬
aus unzureichend. Worin sich derselbe vom zuletzt erwähnten Religionseid
unterscheidet, wird nicht mitgetheilt. Wünschenswert!) wäre es auch gewesen,
wenn der Verfasser sich eingehender über die schwierige Frage nach den
Grenzen der Lehrfreiheit geäußert hätte. Doch ist er auf dem rechten Wege.
Sehr beachtenswert!) sind die Thesen: 1) Der Lehrstuhl in der evangelischen
Kirche ist nicht derselbe, wie der des theologischen Katheders; der erstere
schließt die Erörterung theologischer Streitfragen, welche der Wissenschaft an¬
gehören, im Wesentlichen aus. 2) Insbesondere ist das Lehramt, welches auf
die Grundsätze in den Reformationsschriften und nach Maß gäbe derselben
als ein Kirchengemeindeamt verliehen worden, nicht berufen, diese
nach subjectiver Auffassung zu ändern oder zum Gegenstande des Zweifels
oder Angriffs zu erheben; -- dadurch aber den Glauben der Gemeindeglieder
zu erschüttern und die Stellung des Lehramts zur Gemeinde erheischt, daß
dieses auch nicht durch öffentliche Aeußerungen außerhalb der lehramtlichen
Wirksamkeit nach Form und Fassung in der Weise geschehe, daß das Ver¬
trauen der Gemeinde in die Wahrhaftigkeit des Lehramts wesentlich gefährdet
oder abgeschwächt werde; die freie Grenze einzuhalten ist Sache seiner sorg¬
samen Prüfung.*) Die liberalen Theologen thäten gut, auf die Worte solcher
liberaler Juristen zu hören. Der Theologe ist in Gefahr, einseitig nur die
Interessen des religiösen oder vielmehr des über die Religion reflektirenden
individuellen Subjekts wahr zu nehmen, der Jurist tritt für das Recht der
Gemeinschaft ein und schützt die Bedingungen, ohne deren Bewahrung ein
socialer Organismus nicht bestehen kann.

Aus dem 11. Abschnitt, der über "die Familie und die Religion" handelt,
heben wir die Bemerkungen des Verfassers über die gemischten Ehen hervor.
Es wird hier der Wunsch ausgesprochen, "daß jedes Verlangen eines Ver¬
sprechens Seitens eines Geistlichen, sei es eines mündlichen oder schriftlichen
oder wohl gar eidlichen über die religiöse Erziehung der Kinder unter nam¬
hafte Strafe gestellt werde." Wir können dem Verfasser nur beistimmen,
zumal in Bezug auf Preußen, da hier eine Forderung solchen Inhalts von



') S. ISO.

Steigerung der allgemeinen wissenschaftlichen Bildung der Theologie Stu-
direnden.

Man verzeihe uns diese Abschweifung. Die hier ausgesprochenen Ge-
danken liegen dem Referenten schon lange auf dem Herzen und sein Beruf
treibt ihn, sie auszusprechen. Wir kehren zu unserer Schrift zurück. Der
Abschnitt, welcher uns hier beschäftigt, berührt viele schwierige Probleme.
Aber sie sind eben nur berührt, ohne daß ein ernstlicher Versuch gemacht
wäre, sie zu lösen. Was der Verfasser über den Glaubenseid sagt, ist durch¬
aus unzureichend. Worin sich derselbe vom zuletzt erwähnten Religionseid
unterscheidet, wird nicht mitgetheilt. Wünschenswert!) wäre es auch gewesen,
wenn der Verfasser sich eingehender über die schwierige Frage nach den
Grenzen der Lehrfreiheit geäußert hätte. Doch ist er auf dem rechten Wege.
Sehr beachtenswert!) sind die Thesen: 1) Der Lehrstuhl in der evangelischen
Kirche ist nicht derselbe, wie der des theologischen Katheders; der erstere
schließt die Erörterung theologischer Streitfragen, welche der Wissenschaft an¬
gehören, im Wesentlichen aus. 2) Insbesondere ist das Lehramt, welches auf
die Grundsätze in den Reformationsschriften und nach Maß gäbe derselben
als ein Kirchengemeindeamt verliehen worden, nicht berufen, diese
nach subjectiver Auffassung zu ändern oder zum Gegenstande des Zweifels
oder Angriffs zu erheben; — dadurch aber den Glauben der Gemeindeglieder
zu erschüttern und die Stellung des Lehramts zur Gemeinde erheischt, daß
dieses auch nicht durch öffentliche Aeußerungen außerhalb der lehramtlichen
Wirksamkeit nach Form und Fassung in der Weise geschehe, daß das Ver¬
trauen der Gemeinde in die Wahrhaftigkeit des Lehramts wesentlich gefährdet
oder abgeschwächt werde; die freie Grenze einzuhalten ist Sache seiner sorg¬
samen Prüfung.*) Die liberalen Theologen thäten gut, auf die Worte solcher
liberaler Juristen zu hören. Der Theologe ist in Gefahr, einseitig nur die
Interessen des religiösen oder vielmehr des über die Religion reflektirenden
individuellen Subjekts wahr zu nehmen, der Jurist tritt für das Recht der
Gemeinschaft ein und schützt die Bedingungen, ohne deren Bewahrung ein
socialer Organismus nicht bestehen kann.

Aus dem 11. Abschnitt, der über „die Familie und die Religion" handelt,
heben wir die Bemerkungen des Verfassers über die gemischten Ehen hervor.
Es wird hier der Wunsch ausgesprochen, „daß jedes Verlangen eines Ver¬
sprechens Seitens eines Geistlichen, sei es eines mündlichen oder schriftlichen
oder wohl gar eidlichen über die religiöse Erziehung der Kinder unter nam¬
hafte Strafe gestellt werde." Wir können dem Verfasser nur beistimmen,
zumal in Bezug auf Preußen, da hier eine Forderung solchen Inhalts von



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[0051] Steigerung der allgemeinen wissenschaftlichen Bildung der Theologie Stu- direnden. Man verzeihe uns diese Abschweifung. Die hier ausgesprochenen Ge- danken liegen dem Referenten schon lange auf dem Herzen und sein Beruf treibt ihn, sie auszusprechen. Wir kehren zu unserer Schrift zurück. Der Abschnitt, welcher uns hier beschäftigt, berührt viele schwierige Probleme. Aber sie sind eben nur berührt, ohne daß ein ernstlicher Versuch gemacht wäre, sie zu lösen. Was der Verfasser über den Glaubenseid sagt, ist durch¬ aus unzureichend. Worin sich derselbe vom zuletzt erwähnten Religionseid unterscheidet, wird nicht mitgetheilt. Wünschenswert!) wäre es auch gewesen, wenn der Verfasser sich eingehender über die schwierige Frage nach den Grenzen der Lehrfreiheit geäußert hätte. Doch ist er auf dem rechten Wege. Sehr beachtenswert!) sind die Thesen: 1) Der Lehrstuhl in der evangelischen Kirche ist nicht derselbe, wie der des theologischen Katheders; der erstere schließt die Erörterung theologischer Streitfragen, welche der Wissenschaft an¬ gehören, im Wesentlichen aus. 2) Insbesondere ist das Lehramt, welches auf die Grundsätze in den Reformationsschriften und nach Maß gäbe derselben als ein Kirchengemeindeamt verliehen worden, nicht berufen, diese nach subjectiver Auffassung zu ändern oder zum Gegenstande des Zweifels oder Angriffs zu erheben; — dadurch aber den Glauben der Gemeindeglieder zu erschüttern und die Stellung des Lehramts zur Gemeinde erheischt, daß dieses auch nicht durch öffentliche Aeußerungen außerhalb der lehramtlichen Wirksamkeit nach Form und Fassung in der Weise geschehe, daß das Ver¬ trauen der Gemeinde in die Wahrhaftigkeit des Lehramts wesentlich gefährdet oder abgeschwächt werde; die freie Grenze einzuhalten ist Sache seiner sorg¬ samen Prüfung.*) Die liberalen Theologen thäten gut, auf die Worte solcher liberaler Juristen zu hören. Der Theologe ist in Gefahr, einseitig nur die Interessen des religiösen oder vielmehr des über die Religion reflektirenden individuellen Subjekts wahr zu nehmen, der Jurist tritt für das Recht der Gemeinschaft ein und schützt die Bedingungen, ohne deren Bewahrung ein socialer Organismus nicht bestehen kann. Aus dem 11. Abschnitt, der über „die Familie und die Religion" handelt, heben wir die Bemerkungen des Verfassers über die gemischten Ehen hervor. Es wird hier der Wunsch ausgesprochen, „daß jedes Verlangen eines Ver¬ sprechens Seitens eines Geistlichen, sei es eines mündlichen oder schriftlichen oder wohl gar eidlichen über die religiöse Erziehung der Kinder unter nam¬ hafte Strafe gestellt werde." Wir können dem Verfasser nur beistimmen, zumal in Bezug auf Preußen, da hier eine Forderung solchen Inhalts von ') S. ISO.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/51>, abgerufen am 29.12.2024.