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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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den Problem gar nicht ernst in das Angesicht gesehen. Wir erheben keinen
Widerspruch gegen die Anstellung jüdischer Lehrer an christlichen Schulen, evan¬
gelischer Lehrer an katholischen Schulen und umgekehrt, aber fordern trotzdem
eine confessionelle Bestimmtheit der Anstalt. Abgesehen von dem Religions¬
unterricht, der selbstverständlich konfessionell sein muß, kann der Geschichts¬
unterricht, der deutsche Unterricht nur konfessionellen Charakter tragen, und
ebenso darf das Direktorial der Schule und das Ordinariat der Klassen einer
konfessionellen Bedingtheit nicht entbehren (? d. Red.). Jenseit dieser Grenzen
dagegen kann das konfessionelle Element durchbrochen werden. Simultanschulen
in den Schranken einer konfessionellen Grundrichtung, nicht konfessionslose Schu¬
len entsprechen den Forderungen der Gegenwart. Wir begründen mit weni¬
gen Worten unsere Forderung. Wie kann ein Jude, der, wohlgemerkt ein
Jude mit ganzem Herzen ist, die Entstehung und den Werth des Christen¬
thums würdigen? Er sieht in ihm einen Rückfall in den Polytheismus des
Heidenthums. Wie kann ein Katholik, der seinem Glauben von ganzem Her¬
zen zugethan ist, der Reformation gerecht werden? Sie ist ihm ein frevel¬
hafter Bruch mit der Kirche. Daher ja an den Universitäten, auf die Pro¬
vinzen mit gemischter Bevölkerung angewiesen sind, obwohl doch die Univer¬
sitäten die Objektivität wissenschaftlicher Betrachtung vertreten, ein katholischer
und ein protestantischer Lehrstuhl für die historische Wissenschaft errichtet ist.
Wer den konfessionslosen Geschichtsunterricht befürwortet, setzt Lehrer voraus,
die innerlich außerhalb der Kirche stehen, der sie äußerlich angehören, oder
er wünscht einen historischen Vortrag, welcher auf die ideelle teleologische
Werthschätzung der historischen Erscheinungen und damit auf die Wirkung
auf das Gemüth der Schüler verzichtet. Es ist nicht viel anders mit dem
Bortrag der deutschen Literaturgeschichte. Man lese z. B. Eichendorf's Dar¬
stellung derselben, um als Protestant eine gründliche Scheu zu fühlen, seinen
Kindern eine solche Einführung in die deutsche Literatur zu wünschen, welche
w der Romantik die Blüthe, den Höhepunkt ihrer Entwicklung findet. Der
echte Katholik kann es nicht verwinden, daß dies neue Geistesleben Deutsch¬
lands auf dem Boden des Protestantismus erwachsen ist. Und der Jude?
d>e religiösen und sittlichen Ideen, welche die innerste Substanz der Gedanken-
Welt unserer Dichter bilden, sind aus der Wurzel christlicher Welt und Got¬
tesanschauung hervorgegangen, und der Nichtchrist muß sich in dieselbe erst
künstlich hineinleben. Der deutsche Unterricht schließt aber auch ferner die
Verpflichtung in sich, die Aufgaben für den deutschen Aufsatz zu stellen und
'hre Lösung zu controlliren. Es ist bisher dieser Theil des Unterrichts nicht
blos als ein Mittel der Stilbildung, sondern in erster Linie als ein Mittel
ethischen Bildung angesehen worden. Im Aufsatz sollte der Schüler --
Wir berücksichtigen selbstverständlich nur die Schüler der oberen Klassen .....- die


Grenzboten IV. 1874. 7

den Problem gar nicht ernst in das Angesicht gesehen. Wir erheben keinen
Widerspruch gegen die Anstellung jüdischer Lehrer an christlichen Schulen, evan¬
gelischer Lehrer an katholischen Schulen und umgekehrt, aber fordern trotzdem
eine confessionelle Bestimmtheit der Anstalt. Abgesehen von dem Religions¬
unterricht, der selbstverständlich konfessionell sein muß, kann der Geschichts¬
unterricht, der deutsche Unterricht nur konfessionellen Charakter tragen, und
ebenso darf das Direktorial der Schule und das Ordinariat der Klassen einer
konfessionellen Bedingtheit nicht entbehren (? d. Red.). Jenseit dieser Grenzen
dagegen kann das konfessionelle Element durchbrochen werden. Simultanschulen
in den Schranken einer konfessionellen Grundrichtung, nicht konfessionslose Schu¬
len entsprechen den Forderungen der Gegenwart. Wir begründen mit weni¬
gen Worten unsere Forderung. Wie kann ein Jude, der, wohlgemerkt ein
Jude mit ganzem Herzen ist, die Entstehung und den Werth des Christen¬
thums würdigen? Er sieht in ihm einen Rückfall in den Polytheismus des
Heidenthums. Wie kann ein Katholik, der seinem Glauben von ganzem Her¬
zen zugethan ist, der Reformation gerecht werden? Sie ist ihm ein frevel¬
hafter Bruch mit der Kirche. Daher ja an den Universitäten, auf die Pro¬
vinzen mit gemischter Bevölkerung angewiesen sind, obwohl doch die Univer¬
sitäten die Objektivität wissenschaftlicher Betrachtung vertreten, ein katholischer
und ein protestantischer Lehrstuhl für die historische Wissenschaft errichtet ist.
Wer den konfessionslosen Geschichtsunterricht befürwortet, setzt Lehrer voraus,
die innerlich außerhalb der Kirche stehen, der sie äußerlich angehören, oder
er wünscht einen historischen Vortrag, welcher auf die ideelle teleologische
Werthschätzung der historischen Erscheinungen und damit auf die Wirkung
auf das Gemüth der Schüler verzichtet. Es ist nicht viel anders mit dem
Bortrag der deutschen Literaturgeschichte. Man lese z. B. Eichendorf's Dar¬
stellung derselben, um als Protestant eine gründliche Scheu zu fühlen, seinen
Kindern eine solche Einführung in die deutsche Literatur zu wünschen, welche
w der Romantik die Blüthe, den Höhepunkt ihrer Entwicklung findet. Der
echte Katholik kann es nicht verwinden, daß dies neue Geistesleben Deutsch¬
lands auf dem Boden des Protestantismus erwachsen ist. Und der Jude?
d>e religiösen und sittlichen Ideen, welche die innerste Substanz der Gedanken-
Welt unserer Dichter bilden, sind aus der Wurzel christlicher Welt und Got¬
tesanschauung hervorgegangen, und der Nichtchrist muß sich in dieselbe erst
künstlich hineinleben. Der deutsche Unterricht schließt aber auch ferner die
Verpflichtung in sich, die Aufgaben für den deutschen Aufsatz zu stellen und
'hre Lösung zu controlliren. Es ist bisher dieser Theil des Unterrichts nicht
blos als ein Mittel der Stilbildung, sondern in erster Linie als ein Mittel
ethischen Bildung angesehen worden. Im Aufsatz sollte der Schüler —
Wir berücksichtigen selbstverständlich nur die Schüler der oberen Klassen .....- die


Grenzboten IV. 1874. 7
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/53>, abgerufen am 27.07.2024.