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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Herr Vertheidiger aus seiner eigenen Methode die Ueberzeugung schöpft: "daß
er ganz sicher ein Genie und größer als der Bismarck ist." So fordert er
im Namen der Unordnung mit seinem Clienten das Jahrhundert in die
Schranken.

Doch es ist Zeit, daß wir uns von den Grundsätzen, welche die Ver¬
theidigung aufstellte, zu dem Verhältniß des Angeklagten wenden. Der An¬
geklagte war der rechtswidrigen Aneignung der Aktenstücke beschuldigt, die er
dem Archiv der deutschen Botschaft zu Paris entnommen. Die Richtigkeit
der Anklage vorausgesetzt, so würde jene dolose Handlung den Angeklagten
zu vier dolosen Behauptungen geführt haben. 1) Zu der dolosen Behauptung,
einen Theil der weggenommenem Aktenstücke für sein Privateigenthum ge¬
halten zu haben; 2) zu der dolosen Behauptung, den Verbleib eines Theiles
der weggenommenem Aktenstücke nicht gekannt zu haben; 3) zu der dolosen
Behauptung, einige der weggenommenem Aktenstücke zufällig wiedergefunden
zu haben; 4) zu der dolosen Behauptung, einige der weggenommenem Akten¬
stücke aus Zartheit für seine Nachfolger entführt zu haben, in der Absicht, sie
dem Auswärtigen Amt zuzustellen. Auf dem Angeklagten ruht aber außerdem
noch der Verdacht einer zweifachen dolosen Absicht, wenn dieselbe auch in
Folge des Anklageprozesses selbst nicht zur Ausführung hat kommen können.
Der Verdacht nämlich, die rechtswidrig entnommenen Aktenstücke haben be¬
nutzen zu wollen, erstens um die Stellung seines Chefs zu untergraben und
zweitens um diese Stellung zu untergraben ohne Rücksicht auf den Schaden
des Vaterlandes.

Die Vertheidigung hat, wie ihres Amtes war, beides unternommen:
die Entkräftung des subjectiven als des objectiven Momentes der Beschul¬
digung. Um das objective Moment zu entkräften, ist ausgeführt worden,
daß diplomatische Originalerlasse, sowie die Concepte gesandtschaftlicher Be¬
richte weder Urkunden noch Sachen seien, und daß es keinen Eigenthümer
solcher Schriftstücke gebe. Demnach scheint es, daß die Direktiven und Befehle
der wichtigsten Staatshandlungen zum beliebigen Gebrauche Jedermanns sind,
in dessen Hände sie fallen. Die Vertheidigung hat sich indeß herbeigelassen,
eine disciplinarische Aufsicht über die Behandlung der Aktenstücke des ver¬
traulichen diplomatischen Verkehrs einzuräumen. Nur hat der eine Verthei¬
diger dieses Zugeständniß insofern wieder zurückgekommen, als er dem Mangel
einer gesandtschaftlichen Registraturordnung eine alle Verantwortung auf¬
hebende Bedeutung beigelegt hat. Das deutsche Reich wird sich demnach be¬
danken müssen, wenn seine diplomatischen Schriftstücke nicht einfach auf die
Straße geworfen worden sind. Die Vertheidigung hat sich dann auch darauf
eingelassen, daß äußere Umstände eine sehr ungleiche Aufbewahrung gesandt¬
schaftlicher Aktenstücke erfordern können. Das ist gewiß richtig, aber hier


Grenzboten IV, 1874. 65

Herr Vertheidiger aus seiner eigenen Methode die Ueberzeugung schöpft: „daß
er ganz sicher ein Genie und größer als der Bismarck ist." So fordert er
im Namen der Unordnung mit seinem Clienten das Jahrhundert in die
Schranken.

Doch es ist Zeit, daß wir uns von den Grundsätzen, welche die Ver¬
theidigung aufstellte, zu dem Verhältniß des Angeklagten wenden. Der An¬
geklagte war der rechtswidrigen Aneignung der Aktenstücke beschuldigt, die er
dem Archiv der deutschen Botschaft zu Paris entnommen. Die Richtigkeit
der Anklage vorausgesetzt, so würde jene dolose Handlung den Angeklagten
zu vier dolosen Behauptungen geführt haben. 1) Zu der dolosen Behauptung,
einen Theil der weggenommenem Aktenstücke für sein Privateigenthum ge¬
halten zu haben; 2) zu der dolosen Behauptung, den Verbleib eines Theiles
der weggenommenem Aktenstücke nicht gekannt zu haben; 3) zu der dolosen
Behauptung, einige der weggenommenem Aktenstücke zufällig wiedergefunden
zu haben; 4) zu der dolosen Behauptung, einige der weggenommenem Akten¬
stücke aus Zartheit für seine Nachfolger entführt zu haben, in der Absicht, sie
dem Auswärtigen Amt zuzustellen. Auf dem Angeklagten ruht aber außerdem
noch der Verdacht einer zweifachen dolosen Absicht, wenn dieselbe auch in
Folge des Anklageprozesses selbst nicht zur Ausführung hat kommen können.
Der Verdacht nämlich, die rechtswidrig entnommenen Aktenstücke haben be¬
nutzen zu wollen, erstens um die Stellung seines Chefs zu untergraben und
zweitens um diese Stellung zu untergraben ohne Rücksicht auf den Schaden
des Vaterlandes.

Die Vertheidigung hat, wie ihres Amtes war, beides unternommen:
die Entkräftung des subjectiven als des objectiven Momentes der Beschul¬
digung. Um das objective Moment zu entkräften, ist ausgeführt worden,
daß diplomatische Originalerlasse, sowie die Concepte gesandtschaftlicher Be¬
richte weder Urkunden noch Sachen seien, und daß es keinen Eigenthümer
solcher Schriftstücke gebe. Demnach scheint es, daß die Direktiven und Befehle
der wichtigsten Staatshandlungen zum beliebigen Gebrauche Jedermanns sind,
in dessen Hände sie fallen. Die Vertheidigung hat sich indeß herbeigelassen,
eine disciplinarische Aufsicht über die Behandlung der Aktenstücke des ver¬
traulichen diplomatischen Verkehrs einzuräumen. Nur hat der eine Verthei¬
diger dieses Zugeständniß insofern wieder zurückgekommen, als er dem Mangel
einer gesandtschaftlichen Registraturordnung eine alle Verantwortung auf¬
hebende Bedeutung beigelegt hat. Das deutsche Reich wird sich demnach be¬
danken müssen, wenn seine diplomatischen Schriftstücke nicht einfach auf die
Straße geworfen worden sind. Die Vertheidigung hat sich dann auch darauf
eingelassen, daß äußere Umstände eine sehr ungleiche Aufbewahrung gesandt¬
schaftlicher Aktenstücke erfordern können. Das ist gewiß richtig, aber hier


Grenzboten IV, 1874. 65
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/517>, abgerufen am 01.09.2024.