Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

pathetische Herr Vertheidiger auch behaupten, daß die Heerführer im Kriege
für die Aufbewahrung der Befehle nicht verantwortlich sind, weil für die
Feldakten keine Negistraturordnung existirt. In der That muß die Behand¬
lung der Gesandtschaftsarchive eine verschiedene sein je nach der Beschaffenheit
des Aufenthaltes, nach der Möglichkeit der Beschaffung zuverlässigen Perso
mais, des Lokals und tausend ähnlichen Dingen. Die Regierung muß sich
auf die Verantwortlichkeit, die Wachsamkeit und Geschicklichkeit der verschie¬
denen Chefs verlassen. Eine einheitliche Registraturordnung für Constantinopel
und Japan, für Paris und Washington wäre eines Ministers von Schoppen-
stedt würdig. Und die Unmöglichkeit gleichartiger Vorschriften für die For¬
men der Sicherung dieser Aktenstücke soll die Verantwortlichkeit der Chefs
aufheben, soll pflichtwidrige Nachlässigkeit rechtfertigen oder gar dolose Ent¬
fremdung ?

Die Behauptungen der Vertheidigung, welche nicht zunächst den Be¬
griffen der Jurisprudenz, sondern dem Wahrheitssinn der allgemeinen Bildung,
auf deren Boden sie sich bewegten, ins Gesicht schlugen, sind hiermit bei
weitem nicht erschöpft. So wurde dem Staatsanwalt insinuirt, er habe die
weggenommenem Aktenstücke als werthlose Sachen erklärt, weil er die Weg¬
nahme derselben zwar auf eine rechtswidrige, aber nicht auf eine gewinnsüch¬
tige Absicht zurückführen wollte. Als ob es nicht Landesverräther geben
könnte, die aus Rache, Eitelkeit, aber nicht aus Gewinnsucht handeln. An
die Logik der existolae obsourorum virorum gemahnte es, wenn der Begriff
des Staatseigenthums auf die diplomatischen Papiere für unanwendbar er¬
klärt wurde, weil das Eigenthum ein Begriff des Civilrechts, das deutsche
Reich aber ein Bundesstaat und ohne einheitliches Civilrecht sei. Wie werden
die Franzosen bedauern, diese Deduction nicht gekannt zu haben! Sie hätten
sich damit die Zahlung der Milliarden erspart. Wir aber glauben, daß
diplomatische Aktenstücke Mittel zur Führung der Regierung sind, und daß
das Strafrecht zu allen Zeiten und bei allen Völkern diese Mittel schützt.
Ein Helles Lachen übermannte uns in dieser traurigen Angelegenheit, als wir
lasen, daß die Natur einem genialen Kopfe niemals eine peinliche Ordnungs¬
liebe verliehen habe, die hinwiederum niemals in Verbindung mit hohen
geistigen Gaben angetroffen werde! Hilf Himmel, dieser Vertheidiger streicht
uns Goethe, Friedrich den Großen und -- wir wollen nicht fortfahren, weil
wir schwer aufhören könnten -- aus der Reihe der genialen Köpfe. Es gab
eine Zeit, wo man Genie und Liederlichkeit als zusammengehörig ansah.
Heute weiß jeder nicht oberflächlich gebildete Mensch, daß die Ordnung, ja,
Herr Vertheidiger, die peinliche Ordnung das unentbehrliche Bedürfniß aller
schöpferischen organisirenden Naturen ist auf dem Felde der Wissenschaft, der
Praxis und der Kunst. Die Vermuthung läßt sich kaum abweisen, daß der


pathetische Herr Vertheidiger auch behaupten, daß die Heerführer im Kriege
für die Aufbewahrung der Befehle nicht verantwortlich sind, weil für die
Feldakten keine Negistraturordnung existirt. In der That muß die Behand¬
lung der Gesandtschaftsarchive eine verschiedene sein je nach der Beschaffenheit
des Aufenthaltes, nach der Möglichkeit der Beschaffung zuverlässigen Perso
mais, des Lokals und tausend ähnlichen Dingen. Die Regierung muß sich
auf die Verantwortlichkeit, die Wachsamkeit und Geschicklichkeit der verschie¬
denen Chefs verlassen. Eine einheitliche Registraturordnung für Constantinopel
und Japan, für Paris und Washington wäre eines Ministers von Schoppen-
stedt würdig. Und die Unmöglichkeit gleichartiger Vorschriften für die For¬
men der Sicherung dieser Aktenstücke soll die Verantwortlichkeit der Chefs
aufheben, soll pflichtwidrige Nachlässigkeit rechtfertigen oder gar dolose Ent¬
fremdung ?

Die Behauptungen der Vertheidigung, welche nicht zunächst den Be¬
griffen der Jurisprudenz, sondern dem Wahrheitssinn der allgemeinen Bildung,
auf deren Boden sie sich bewegten, ins Gesicht schlugen, sind hiermit bei
weitem nicht erschöpft. So wurde dem Staatsanwalt insinuirt, er habe die
weggenommenem Aktenstücke als werthlose Sachen erklärt, weil er die Weg¬
nahme derselben zwar auf eine rechtswidrige, aber nicht auf eine gewinnsüch¬
tige Absicht zurückführen wollte. Als ob es nicht Landesverräther geben
könnte, die aus Rache, Eitelkeit, aber nicht aus Gewinnsucht handeln. An
die Logik der existolae obsourorum virorum gemahnte es, wenn der Begriff
des Staatseigenthums auf die diplomatischen Papiere für unanwendbar er¬
klärt wurde, weil das Eigenthum ein Begriff des Civilrechts, das deutsche
Reich aber ein Bundesstaat und ohne einheitliches Civilrecht sei. Wie werden
die Franzosen bedauern, diese Deduction nicht gekannt zu haben! Sie hätten
sich damit die Zahlung der Milliarden erspart. Wir aber glauben, daß
diplomatische Aktenstücke Mittel zur Führung der Regierung sind, und daß
das Strafrecht zu allen Zeiten und bei allen Völkern diese Mittel schützt.
Ein Helles Lachen übermannte uns in dieser traurigen Angelegenheit, als wir
lasen, daß die Natur einem genialen Kopfe niemals eine peinliche Ordnungs¬
liebe verliehen habe, die hinwiederum niemals in Verbindung mit hohen
geistigen Gaben angetroffen werde! Hilf Himmel, dieser Vertheidiger streicht
uns Goethe, Friedrich den Großen und — wir wollen nicht fortfahren, weil
wir schwer aufhören könnten — aus der Reihe der genialen Köpfe. Es gab
eine Zeit, wo man Genie und Liederlichkeit als zusammengehörig ansah.
Heute weiß jeder nicht oberflächlich gebildete Mensch, daß die Ordnung, ja,
Herr Vertheidiger, die peinliche Ordnung das unentbehrliche Bedürfniß aller
schöpferischen organisirenden Naturen ist auf dem Felde der Wissenschaft, der
Praxis und der Kunst. Die Vermuthung läßt sich kaum abweisen, daß der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0516" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132738"/>
          <p xml:id="ID_1517" prev="#ID_1516"> pathetische Herr Vertheidiger auch behaupten, daß die Heerführer im Kriege<lb/>
für die Aufbewahrung der Befehle nicht verantwortlich sind, weil für die<lb/>
Feldakten keine Negistraturordnung existirt. In der That muß die Behand¬<lb/>
lung der Gesandtschaftsarchive eine verschiedene sein je nach der Beschaffenheit<lb/>
des Aufenthaltes, nach der Möglichkeit der Beschaffung zuverlässigen Perso<lb/>
mais, des Lokals und tausend ähnlichen Dingen. Die Regierung muß sich<lb/>
auf die Verantwortlichkeit, die Wachsamkeit und Geschicklichkeit der verschie¬<lb/>
denen Chefs verlassen. Eine einheitliche Registraturordnung für Constantinopel<lb/>
und Japan, für Paris und Washington wäre eines Ministers von Schoppen-<lb/>
stedt würdig. Und die Unmöglichkeit gleichartiger Vorschriften für die For¬<lb/>
men der Sicherung dieser Aktenstücke soll die Verantwortlichkeit der Chefs<lb/>
aufheben, soll pflichtwidrige Nachlässigkeit rechtfertigen oder gar dolose Ent¬<lb/>
fremdung ?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1518" next="#ID_1519"> Die Behauptungen der Vertheidigung, welche nicht zunächst den Be¬<lb/>
griffen der Jurisprudenz, sondern dem Wahrheitssinn der allgemeinen Bildung,<lb/>
auf deren Boden sie sich bewegten, ins Gesicht schlugen, sind hiermit bei<lb/>
weitem nicht erschöpft. So wurde dem Staatsanwalt insinuirt, er habe die<lb/>
weggenommenem Aktenstücke als werthlose Sachen erklärt, weil er die Weg¬<lb/>
nahme derselben zwar auf eine rechtswidrige, aber nicht auf eine gewinnsüch¬<lb/>
tige Absicht zurückführen wollte. Als ob es nicht Landesverräther geben<lb/>
könnte, die aus Rache, Eitelkeit, aber nicht aus Gewinnsucht handeln. An<lb/>
die Logik der existolae obsourorum virorum gemahnte es, wenn der Begriff<lb/>
des Staatseigenthums auf die diplomatischen Papiere für unanwendbar er¬<lb/>
klärt wurde, weil das Eigenthum ein Begriff des Civilrechts, das deutsche<lb/>
Reich aber ein Bundesstaat und ohne einheitliches Civilrecht sei. Wie werden<lb/>
die Franzosen bedauern, diese Deduction nicht gekannt zu haben! Sie hätten<lb/>
sich damit die Zahlung der Milliarden erspart. Wir aber glauben, daß<lb/>
diplomatische Aktenstücke Mittel zur Führung der Regierung sind, und daß<lb/>
das Strafrecht zu allen Zeiten und bei allen Völkern diese Mittel schützt.<lb/>
Ein Helles Lachen übermannte uns in dieser traurigen Angelegenheit, als wir<lb/>
lasen, daß die Natur einem genialen Kopfe niemals eine peinliche Ordnungs¬<lb/>
liebe verliehen habe, die hinwiederum niemals in Verbindung mit hohen<lb/>
geistigen Gaben angetroffen werde! Hilf Himmel, dieser Vertheidiger streicht<lb/>
uns Goethe, Friedrich den Großen und &#x2014; wir wollen nicht fortfahren, weil<lb/>
wir schwer aufhören könnten &#x2014; aus der Reihe der genialen Köpfe. Es gab<lb/>
eine Zeit, wo man Genie und Liederlichkeit als zusammengehörig ansah.<lb/>
Heute weiß jeder nicht oberflächlich gebildete Mensch, daß die Ordnung, ja,<lb/>
Herr Vertheidiger, die peinliche Ordnung das unentbehrliche Bedürfniß aller<lb/>
schöpferischen organisirenden Naturen ist auf dem Felde der Wissenschaft, der<lb/>
Praxis und der Kunst. Die Vermuthung läßt sich kaum abweisen, daß der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0516] pathetische Herr Vertheidiger auch behaupten, daß die Heerführer im Kriege für die Aufbewahrung der Befehle nicht verantwortlich sind, weil für die Feldakten keine Negistraturordnung existirt. In der That muß die Behand¬ lung der Gesandtschaftsarchive eine verschiedene sein je nach der Beschaffenheit des Aufenthaltes, nach der Möglichkeit der Beschaffung zuverlässigen Perso mais, des Lokals und tausend ähnlichen Dingen. Die Regierung muß sich auf die Verantwortlichkeit, die Wachsamkeit und Geschicklichkeit der verschie¬ denen Chefs verlassen. Eine einheitliche Registraturordnung für Constantinopel und Japan, für Paris und Washington wäre eines Ministers von Schoppen- stedt würdig. Und die Unmöglichkeit gleichartiger Vorschriften für die For¬ men der Sicherung dieser Aktenstücke soll die Verantwortlichkeit der Chefs aufheben, soll pflichtwidrige Nachlässigkeit rechtfertigen oder gar dolose Ent¬ fremdung ? Die Behauptungen der Vertheidigung, welche nicht zunächst den Be¬ griffen der Jurisprudenz, sondern dem Wahrheitssinn der allgemeinen Bildung, auf deren Boden sie sich bewegten, ins Gesicht schlugen, sind hiermit bei weitem nicht erschöpft. So wurde dem Staatsanwalt insinuirt, er habe die weggenommenem Aktenstücke als werthlose Sachen erklärt, weil er die Weg¬ nahme derselben zwar auf eine rechtswidrige, aber nicht auf eine gewinnsüch¬ tige Absicht zurückführen wollte. Als ob es nicht Landesverräther geben könnte, die aus Rache, Eitelkeit, aber nicht aus Gewinnsucht handeln. An die Logik der existolae obsourorum virorum gemahnte es, wenn der Begriff des Staatseigenthums auf die diplomatischen Papiere für unanwendbar er¬ klärt wurde, weil das Eigenthum ein Begriff des Civilrechts, das deutsche Reich aber ein Bundesstaat und ohne einheitliches Civilrecht sei. Wie werden die Franzosen bedauern, diese Deduction nicht gekannt zu haben! Sie hätten sich damit die Zahlung der Milliarden erspart. Wir aber glauben, daß diplomatische Aktenstücke Mittel zur Führung der Regierung sind, und daß das Strafrecht zu allen Zeiten und bei allen Völkern diese Mittel schützt. Ein Helles Lachen übermannte uns in dieser traurigen Angelegenheit, als wir lasen, daß die Natur einem genialen Kopfe niemals eine peinliche Ordnungs¬ liebe verliehen habe, die hinwiederum niemals in Verbindung mit hohen geistigen Gaben angetroffen werde! Hilf Himmel, dieser Vertheidiger streicht uns Goethe, Friedrich den Großen und — wir wollen nicht fortfahren, weil wir schwer aufhören könnten — aus der Reihe der genialen Köpfe. Es gab eine Zeit, wo man Genie und Liederlichkeit als zusammengehörig ansah. Heute weiß jeder nicht oberflächlich gebildete Mensch, daß die Ordnung, ja, Herr Vertheidiger, die peinliche Ordnung das unentbehrliche Bedürfniß aller schöpferischen organisirenden Naturen ist auf dem Felde der Wissenschaft, der Praxis und der Kunst. Die Vermuthung läßt sich kaum abweisen, daß der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/516
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/516>, abgerufen am 27.07.2024.