Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.soll geschehen? Es ist nicht sowohl Mehrung der Kenntnisse, als vielmehr soll geschehen? Es ist nicht sowohl Mehrung der Kenntnisse, als vielmehr <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0050" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132272"/> <p xml:id="ID_109" prev="#ID_108" next="#ID_110"> soll geschehen? Es ist nicht sowohl Mehrung der Kenntnisse, als vielmehr<lb/> der Einsicht zu fordern. Diese läßt sich nun für den Studenten, der nicht<lb/> Geschichte und Literaturgeschichte zu seinem Berufsstudium gewählt hat, wohl<lb/> aber auf beiden Gebieten vermöge der gymnasialen Vorbildung orientirt ist,<lb/> nur dadurch erreichen, daß er auf beschränktem Gebiet an den wissen¬<lb/> schaftlichen historischen und literarhistorischen Studien sich betheiligt. Wir<lb/> würden es daher für das geeignetste Mittel halten, das gewünschte Ziel zu<lb/> erreichen, wenn von den Studierenden der Theologie gefordert würde 1) daß<lb/> sie eine größere Privatvorlesung aus dem Gebiete der Geschichte und zwar<lb/> mit Rücksicht auf nationale Bildung aus dem Gebiete der deutschen Geschichte<lb/> und ebenso eine größere Privatvorlesung aus dem Gebiete der deutschen<lb/> Literaturgeschichte anhörten; 2) daß sie sodann unmittelbar nach Beendigung<lb/> der Vorlesungen sich einer Prüfung von Seiten des vortragenden Docenten<lb/> unterzogen, deren Resultat schriftlich bezeugt werden müßte. Die erste For¬<lb/> derung führte in beschränktem Maße die früher bestehenden sogenannten<lb/> Zwangsvorlesungen ein. die zweite dehnte die gegenwärtig bestehenden Semestral-<lb/> eramina aus. Unser Pelidna ginge daher dahin, daß alle Theologie Stu¬<lb/> dierenden, welche durch das Abgangszeugniß vom Gymnasium den Besitz be¬<lb/> friedigender Kenntnisse in der Geschichte und Literaturgeschichte beweisen, durch<lb/> eine Generaldispensation des Kultusministers vom Staatsexamen befreit<lb/> werden, dagegen angehalten, in der angegebenen Weise die Fortentwicklung<lb/> in allgemeiner wissenschaftlicher Bildung sich angelegen sein zu lassen. Auf<lb/> diesem Wege, scheint uns. würde ebenso sehr den berechtigten Forderungen<lb/> des Staats wie den Interessen der Theologie Studierenden Genüge gethan<lb/> und ein höheres Maß allgemeiner wissenschaftlicher Bildung erzielt, als auf<lb/> dem von der Regierung in Aussicht genommenen. Man täusche sich nicht,<lb/> es hat mehr Werth und bringt mehr Gewinn, auf beschränktem Gebiet Gründ¬<lb/> liches zu wissen, als auf weitem Gebiet vieles aus der Vogelperspektive zu<lb/> betrachten. Es ist bildender eine Vorlesung über deutsche Geschichte im<lb/> Mittelalter sich aneignen, fais aus einem Compendium eine Uebersicht der<lb/> Weltgeschichte nach ihrer Länge und Breite repetiren. Es ist bildender, eine<lb/> Vorlesung über das Nibelungenlied oder Goethe sich aneignen als aus einem<lb/> Leitfaden eine Uebersicht der deutschen Literaturgeschichte in ihrer Länge und<lb/> Breite repetiren. Denn daß das ganze Gebiet beider Wissenschaften ernstlich<lb/> durchgearbeitet werde, das kann doch nur vom Historiker oder Literarhistoriker<lb/> vom Fach, nicht aber vom Theologen gefordert werden. Was bleibt ihm<lb/> also übrig als zum Compendium oder zur Tabelle zu greifen. Unser Vor¬<lb/> schlag fällt also mit den Tendenzen der Regierung zusammen, weicht nur im<lb/> Ausführungsmvdus ab und begünstigt nicht eine Minderung, sondern eine</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0050]
soll geschehen? Es ist nicht sowohl Mehrung der Kenntnisse, als vielmehr
der Einsicht zu fordern. Diese läßt sich nun für den Studenten, der nicht
Geschichte und Literaturgeschichte zu seinem Berufsstudium gewählt hat, wohl
aber auf beiden Gebieten vermöge der gymnasialen Vorbildung orientirt ist,
nur dadurch erreichen, daß er auf beschränktem Gebiet an den wissen¬
schaftlichen historischen und literarhistorischen Studien sich betheiligt. Wir
würden es daher für das geeignetste Mittel halten, das gewünschte Ziel zu
erreichen, wenn von den Studierenden der Theologie gefordert würde 1) daß
sie eine größere Privatvorlesung aus dem Gebiete der Geschichte und zwar
mit Rücksicht auf nationale Bildung aus dem Gebiete der deutschen Geschichte
und ebenso eine größere Privatvorlesung aus dem Gebiete der deutschen
Literaturgeschichte anhörten; 2) daß sie sodann unmittelbar nach Beendigung
der Vorlesungen sich einer Prüfung von Seiten des vortragenden Docenten
unterzogen, deren Resultat schriftlich bezeugt werden müßte. Die erste For¬
derung führte in beschränktem Maße die früher bestehenden sogenannten
Zwangsvorlesungen ein. die zweite dehnte die gegenwärtig bestehenden Semestral-
eramina aus. Unser Pelidna ginge daher dahin, daß alle Theologie Stu¬
dierenden, welche durch das Abgangszeugniß vom Gymnasium den Besitz be¬
friedigender Kenntnisse in der Geschichte und Literaturgeschichte beweisen, durch
eine Generaldispensation des Kultusministers vom Staatsexamen befreit
werden, dagegen angehalten, in der angegebenen Weise die Fortentwicklung
in allgemeiner wissenschaftlicher Bildung sich angelegen sein zu lassen. Auf
diesem Wege, scheint uns. würde ebenso sehr den berechtigten Forderungen
des Staats wie den Interessen der Theologie Studierenden Genüge gethan
und ein höheres Maß allgemeiner wissenschaftlicher Bildung erzielt, als auf
dem von der Regierung in Aussicht genommenen. Man täusche sich nicht,
es hat mehr Werth und bringt mehr Gewinn, auf beschränktem Gebiet Gründ¬
liches zu wissen, als auf weitem Gebiet vieles aus der Vogelperspektive zu
betrachten. Es ist bildender eine Vorlesung über deutsche Geschichte im
Mittelalter sich aneignen, fais aus einem Compendium eine Uebersicht der
Weltgeschichte nach ihrer Länge und Breite repetiren. Es ist bildender, eine
Vorlesung über das Nibelungenlied oder Goethe sich aneignen als aus einem
Leitfaden eine Uebersicht der deutschen Literaturgeschichte in ihrer Länge und
Breite repetiren. Denn daß das ganze Gebiet beider Wissenschaften ernstlich
durchgearbeitet werde, das kann doch nur vom Historiker oder Literarhistoriker
vom Fach, nicht aber vom Theologen gefordert werden. Was bleibt ihm
also übrig als zum Compendium oder zur Tabelle zu greifen. Unser Vor¬
schlag fällt also mit den Tendenzen der Regierung zusammen, weicht nur im
Ausführungsmvdus ab und begünstigt nicht eine Minderung, sondern eine
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