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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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solche in der Steppe zwischen dem Atrek und dem großen Balchangebirge um¬
her, theils find sie !in Atrekthal ansässig und treiben Ackerbau, Viehzucht und
Fischerei. Sie befahren das Meer in großen gedeckten Böten, die bisweilen
drei Masten führen, und holen Holz, Salz und Naphthci von der Insel
Tscheloken im Kaspisee. Im Winter machen sie am Atrek Jagd auf Wasser¬
vögel, die hier enorm zahlreich sind, und verkaufen deren Häute und Federn
an Kaufleute aus Astrachan. Die oben angeführte Quelle schätzt sie auf
9210 Hütten mit angeblich nur 22,180 Köpfen, was in keinem rechten Ver¬
hältniß zu stehen scheint. Die Goklan-Turkmenen werden auf 2830 Haus¬
haltungen angegeben.

Sollte wirklich eine Expedition gegen die Telle nöthig werden, wie es
nach dem oben Angeführten den Anschein hat, so fragt es sich, von welcher
Seite man am besten den unbequemen Gästen beikommen könnte. Es handelt
sich hierbei darum, die Feinde in ihrem Lager aufzusuchen und ihre festen
Punkte zu besetzen, die ihnen zur Zuflucht dienen und zur Existenz unent¬
behrlich sind. Wahrscheinlich wird man, wie es auch bei der Expedition
gegen Khiwa geschah, die Sache von zwei Seiten zugleich in Angriff nehmen.
Auf der einen Seite ist es die Ann-Linie, welche die Nordost-Flanke des
Feindes bildet. Diese wird um so fester sein, je weiter die Dampfschifffahrt
auf dem Ann-Darja aufwärts geht, und je aufrichtigere Gesinnungen, wenn
auch nur nothgedrungen, der Khün gegen Rußland hegt. Oberst Ststolatow
ist mit dem Parowsky umgekehrt bei einem Punkte, etwas oberhalb des
Forts Petro-Alexandrowsk. wo die Stromschnellen beginnen und sich der
Dscherma von dem Ann abzweigt. Doch sind jene nicht so reißend, daß
ihnen nicht mit gesteigerter Dampfkraft zu begegnen wäre, und bietet das
Fahrwasser überall die nöthige Tiefe, die sogar weiter aufwärts zunimmt, so
daß man mit Hülfe kundiger Lootsen leicht bis zur Höhe von Khiwa und
noch weiter gelangen kann. Aber hier lagert sich in breiter Ausdehnung die
Wüste Kharasan vor, die bis jetzt noch durch keine Expeditton beschrttten ist
und möglicherweise mehr Schwierigkeiten bietet, als die berüchtigte Kysyl-Kum.
Hat man die Oase von Khiwa oder die Niederung des Ann-Darja hinter
sich, so steigt der Boden zusehends an und führt der Weg gen Südwesten
mehrere hundert Werst durch eine Sandsteppe mit eintöniger Hügelformation,
wo noch keine Brunnenstationen bekannt sind. Und doch sind letztere das
erste und nöthigste Erfordernis) bei der Bewegung irgend einer Truppen¬
abtheilung. Soweit man die Steppe kennt, ist sie nicht so arm an Vegetation,
als man vermuthen sollte, und bietet den Nomaden einige, wenn auch nur
spärliche Weidegründe. Hier wächst das Gras nicht, wie wir uns wohl
denken, zu ganzen Wiesenflächen zusammen, sondern findet sich nur in einzelnen
großen Büscheln, etwa 3 bis 4 auf einem Quadrat-Faden (Saschehn


solche in der Steppe zwischen dem Atrek und dem großen Balchangebirge um¬
her, theils find sie !in Atrekthal ansässig und treiben Ackerbau, Viehzucht und
Fischerei. Sie befahren das Meer in großen gedeckten Böten, die bisweilen
drei Masten führen, und holen Holz, Salz und Naphthci von der Insel
Tscheloken im Kaspisee. Im Winter machen sie am Atrek Jagd auf Wasser¬
vögel, die hier enorm zahlreich sind, und verkaufen deren Häute und Federn
an Kaufleute aus Astrachan. Die oben angeführte Quelle schätzt sie auf
9210 Hütten mit angeblich nur 22,180 Köpfen, was in keinem rechten Ver¬
hältniß zu stehen scheint. Die Goklan-Turkmenen werden auf 2830 Haus¬
haltungen angegeben.

Sollte wirklich eine Expedition gegen die Telle nöthig werden, wie es
nach dem oben Angeführten den Anschein hat, so fragt es sich, von welcher
Seite man am besten den unbequemen Gästen beikommen könnte. Es handelt
sich hierbei darum, die Feinde in ihrem Lager aufzusuchen und ihre festen
Punkte zu besetzen, die ihnen zur Zuflucht dienen und zur Existenz unent¬
behrlich sind. Wahrscheinlich wird man, wie es auch bei der Expedition
gegen Khiwa geschah, die Sache von zwei Seiten zugleich in Angriff nehmen.
Auf der einen Seite ist es die Ann-Linie, welche die Nordost-Flanke des
Feindes bildet. Diese wird um so fester sein, je weiter die Dampfschifffahrt
auf dem Ann-Darja aufwärts geht, und je aufrichtigere Gesinnungen, wenn
auch nur nothgedrungen, der Khün gegen Rußland hegt. Oberst Ststolatow
ist mit dem Parowsky umgekehrt bei einem Punkte, etwas oberhalb des
Forts Petro-Alexandrowsk. wo die Stromschnellen beginnen und sich der
Dscherma von dem Ann abzweigt. Doch sind jene nicht so reißend, daß
ihnen nicht mit gesteigerter Dampfkraft zu begegnen wäre, und bietet das
Fahrwasser überall die nöthige Tiefe, die sogar weiter aufwärts zunimmt, so
daß man mit Hülfe kundiger Lootsen leicht bis zur Höhe von Khiwa und
noch weiter gelangen kann. Aber hier lagert sich in breiter Ausdehnung die
Wüste Kharasan vor, die bis jetzt noch durch keine Expeditton beschrttten ist
und möglicherweise mehr Schwierigkeiten bietet, als die berüchtigte Kysyl-Kum.
Hat man die Oase von Khiwa oder die Niederung des Ann-Darja hinter
sich, so steigt der Boden zusehends an und führt der Weg gen Südwesten
mehrere hundert Werst durch eine Sandsteppe mit eintöniger Hügelformation,
wo noch keine Brunnenstationen bekannt sind. Und doch sind letztere das
erste und nöthigste Erfordernis) bei der Bewegung irgend einer Truppen¬
abtheilung. Soweit man die Steppe kennt, ist sie nicht so arm an Vegetation,
als man vermuthen sollte, und bietet den Nomaden einige, wenn auch nur
spärliche Weidegründe. Hier wächst das Gras nicht, wie wir uns wohl
denken, zu ganzen Wiesenflächen zusammen, sondern findet sich nur in einzelnen
großen Büscheln, etwa 3 bis 4 auf einem Quadrat-Faden (Saschehn


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[0508] solche in der Steppe zwischen dem Atrek und dem großen Balchangebirge um¬ her, theils find sie !in Atrekthal ansässig und treiben Ackerbau, Viehzucht und Fischerei. Sie befahren das Meer in großen gedeckten Böten, die bisweilen drei Masten führen, und holen Holz, Salz und Naphthci von der Insel Tscheloken im Kaspisee. Im Winter machen sie am Atrek Jagd auf Wasser¬ vögel, die hier enorm zahlreich sind, und verkaufen deren Häute und Federn an Kaufleute aus Astrachan. Die oben angeführte Quelle schätzt sie auf 9210 Hütten mit angeblich nur 22,180 Köpfen, was in keinem rechten Ver¬ hältniß zu stehen scheint. Die Goklan-Turkmenen werden auf 2830 Haus¬ haltungen angegeben. Sollte wirklich eine Expedition gegen die Telle nöthig werden, wie es nach dem oben Angeführten den Anschein hat, so fragt es sich, von welcher Seite man am besten den unbequemen Gästen beikommen könnte. Es handelt sich hierbei darum, die Feinde in ihrem Lager aufzusuchen und ihre festen Punkte zu besetzen, die ihnen zur Zuflucht dienen und zur Existenz unent¬ behrlich sind. Wahrscheinlich wird man, wie es auch bei der Expedition gegen Khiwa geschah, die Sache von zwei Seiten zugleich in Angriff nehmen. Auf der einen Seite ist es die Ann-Linie, welche die Nordost-Flanke des Feindes bildet. Diese wird um so fester sein, je weiter die Dampfschifffahrt auf dem Ann-Darja aufwärts geht, und je aufrichtigere Gesinnungen, wenn auch nur nothgedrungen, der Khün gegen Rußland hegt. Oberst Ststolatow ist mit dem Parowsky umgekehrt bei einem Punkte, etwas oberhalb des Forts Petro-Alexandrowsk. wo die Stromschnellen beginnen und sich der Dscherma von dem Ann abzweigt. Doch sind jene nicht so reißend, daß ihnen nicht mit gesteigerter Dampfkraft zu begegnen wäre, und bietet das Fahrwasser überall die nöthige Tiefe, die sogar weiter aufwärts zunimmt, so daß man mit Hülfe kundiger Lootsen leicht bis zur Höhe von Khiwa und noch weiter gelangen kann. Aber hier lagert sich in breiter Ausdehnung die Wüste Kharasan vor, die bis jetzt noch durch keine Expeditton beschrttten ist und möglicherweise mehr Schwierigkeiten bietet, als die berüchtigte Kysyl-Kum. Hat man die Oase von Khiwa oder die Niederung des Ann-Darja hinter sich, so steigt der Boden zusehends an und führt der Weg gen Südwesten mehrere hundert Werst durch eine Sandsteppe mit eintöniger Hügelformation, wo noch keine Brunnenstationen bekannt sind. Und doch sind letztere das erste und nöthigste Erfordernis) bei der Bewegung irgend einer Truppen¬ abtheilung. Soweit man die Steppe kennt, ist sie nicht so arm an Vegetation, als man vermuthen sollte, und bietet den Nomaden einige, wenn auch nur spärliche Weidegründe. Hier wächst das Gras nicht, wie wir uns wohl denken, zu ganzen Wiesenflächen zusammen, sondern findet sich nur in einzelnen großen Büscheln, etwa 3 bis 4 auf einem Quadrat-Faden (Saschehn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/508>, abgerufen am 27.07.2024.