Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

der schittischen Perser, denen sie auf alle Weise Abbruch zu thun suchen.
Sie rauben Menschen und Vieh an der Grenze und schleppen jene als Sklaven
fort, um sie gelegentlich zu verkaufen. Früher waren Buchara und Khiwci
ihre Hauptabsatzplätze, wo erst die letzte Expedition dem Menschenhandel ein
Ende gemacht hat. - Besonders aber haben die sabinischen Pilger von ihnen
zu leiden, die zu dem Grabe des Imam Risa, eines Schülers des Ali, nach
Meschhed wallfahren, und die Karawanenstraße von Redescht über Mijamid
nach Meschhed ist stets von auflauernden Tekkehorden umlagert. Südöstlich
dehnen sie ihre Raubzüge sogar bis Asterabad aus und spotten des persischen
Statthalters, der für den Kopf jedes getödteten Turkmenen einen Preis zahlt.
Hier fand die russische wissenschaftliche Expidttion nach Khorassan, welche
unter Chanykow im März 1858 eintraf, die Einwohner in höchster Angst
vor den räuberischen Banden, die bis unter die Mauern der Stadt schweiften.

Die Telle zerfallen nach persischen Nachrichten in zwei Stämme: Telle
Aachalnischin und Telle Gumnischin. Die Letzteren haben keine festen Weide-
Plätze, sondern ziehen in der Wüste umher, indem sie den Brunnen nachgehen,
die sie beliebig wieder verlassen, und führen ein rechtes, wildes Räuberleben.
Die Aachalnischin sind zwar auch größtentheils Nomaden, doch haben sie
einige feste Anstedlungen an Wasserplätzen und ihre bestimmten Sommer-
und Winterweiden. Sie bauen etwas Gerste, Weizen, Wasser- und Zucker¬
melonen und ein wenig Reis. Ihre Stuten sind vorzüglich. Auch verar¬
beiten sie Schafwolle zu Teppichen u. tgi., die sie verkaufen. Zur Sicherung
ihrer Niederlassungen haben sie sich kleine, viereckige Lehmfestungen angelegt,
um welche herum sie ihre Fischzelte (Kibitken) aufstellen und in die sie sich
beim Herannahen eines Feindes flüchten. Uns liegen persische statistische
Angaben aus dem Jahre 1865 vor, nach welchen die sämmtlichen Telle da¬
mals auf ungefähr 10,700 Zelte geschätzt wurden, doch kann diese Schätzung
höchstens für die Aachalnischin einige Genauigkeit beanspruchen, welche den
Persern am nächsten wohnen und von diesen zu ihren Unterthanen gerechnet
werden. *)

Westlich von den Telle wohnen die ihnen stammverwandten Jomud und
Goklan: jene an der Ostküste des kaspischen Meeres, von der Mündung des
Flusses Atrek nördlich bis zum Abfall des Acht-Art-Plateaus zwischen Aral-
und Kaspisee'; diese etwas südöstlich an dem Flüßchen Gurgan und an der
Persischen Grenze. Sie sind der Zahl nach am schwächsten, größtentheils fest
angesiedelt und haben an die Perser ihre Selbstständigkeit verloren, denen sie
ein jährliches Maliat d. i. Abgabe von 6000 Toman (persischen Dukaten)
entrichten müssen. Die Jomud sind theils freie Nomaden und ziehen als



") Angaben in Tagesblättern, nach denen sich die Zahl der Telle auf ca. 500,000 Köpfe
belaufen soll, sind entweder verdrückt oder viel zu hoch gegriffen. --

der schittischen Perser, denen sie auf alle Weise Abbruch zu thun suchen.
Sie rauben Menschen und Vieh an der Grenze und schleppen jene als Sklaven
fort, um sie gelegentlich zu verkaufen. Früher waren Buchara und Khiwci
ihre Hauptabsatzplätze, wo erst die letzte Expedition dem Menschenhandel ein
Ende gemacht hat. - Besonders aber haben die sabinischen Pilger von ihnen
zu leiden, die zu dem Grabe des Imam Risa, eines Schülers des Ali, nach
Meschhed wallfahren, und die Karawanenstraße von Redescht über Mijamid
nach Meschhed ist stets von auflauernden Tekkehorden umlagert. Südöstlich
dehnen sie ihre Raubzüge sogar bis Asterabad aus und spotten des persischen
Statthalters, der für den Kopf jedes getödteten Turkmenen einen Preis zahlt.
Hier fand die russische wissenschaftliche Expidttion nach Khorassan, welche
unter Chanykow im März 1858 eintraf, die Einwohner in höchster Angst
vor den räuberischen Banden, die bis unter die Mauern der Stadt schweiften.

Die Telle zerfallen nach persischen Nachrichten in zwei Stämme: Telle
Aachalnischin und Telle Gumnischin. Die Letzteren haben keine festen Weide-
Plätze, sondern ziehen in der Wüste umher, indem sie den Brunnen nachgehen,
die sie beliebig wieder verlassen, und führen ein rechtes, wildes Räuberleben.
Die Aachalnischin sind zwar auch größtentheils Nomaden, doch haben sie
einige feste Anstedlungen an Wasserplätzen und ihre bestimmten Sommer-
und Winterweiden. Sie bauen etwas Gerste, Weizen, Wasser- und Zucker¬
melonen und ein wenig Reis. Ihre Stuten sind vorzüglich. Auch verar¬
beiten sie Schafwolle zu Teppichen u. tgi., die sie verkaufen. Zur Sicherung
ihrer Niederlassungen haben sie sich kleine, viereckige Lehmfestungen angelegt,
um welche herum sie ihre Fischzelte (Kibitken) aufstellen und in die sie sich
beim Herannahen eines Feindes flüchten. Uns liegen persische statistische
Angaben aus dem Jahre 1865 vor, nach welchen die sämmtlichen Telle da¬
mals auf ungefähr 10,700 Zelte geschätzt wurden, doch kann diese Schätzung
höchstens für die Aachalnischin einige Genauigkeit beanspruchen, welche den
Persern am nächsten wohnen und von diesen zu ihren Unterthanen gerechnet
werden. *)

Westlich von den Telle wohnen die ihnen stammverwandten Jomud und
Goklan: jene an der Ostküste des kaspischen Meeres, von der Mündung des
Flusses Atrek nördlich bis zum Abfall des Acht-Art-Plateaus zwischen Aral-
und Kaspisee'; diese etwas südöstlich an dem Flüßchen Gurgan und an der
Persischen Grenze. Sie sind der Zahl nach am schwächsten, größtentheils fest
angesiedelt und haben an die Perser ihre Selbstständigkeit verloren, denen sie
ein jährliches Maliat d. i. Abgabe von 6000 Toman (persischen Dukaten)
entrichten müssen. Die Jomud sind theils freie Nomaden und ziehen als



") Angaben in Tagesblättern, nach denen sich die Zahl der Telle auf ca. 500,000 Köpfe
belaufen soll, sind entweder verdrückt oder viel zu hoch gegriffen. —
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0507" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132729"/>
          <p xml:id="ID_1497" prev="#ID_1496"> der schittischen Perser, denen sie auf alle Weise Abbruch zu thun suchen.<lb/>
Sie rauben Menschen und Vieh an der Grenze und schleppen jene als Sklaven<lb/>
fort, um sie gelegentlich zu verkaufen. Früher waren Buchara und Khiwci<lb/>
ihre Hauptabsatzplätze, wo erst die letzte Expedition dem Menschenhandel ein<lb/>
Ende gemacht hat. - Besonders aber haben die sabinischen Pilger von ihnen<lb/>
zu leiden, die zu dem Grabe des Imam Risa, eines Schülers des Ali, nach<lb/>
Meschhed wallfahren, und die Karawanenstraße von Redescht über Mijamid<lb/>
nach Meschhed ist stets von auflauernden Tekkehorden umlagert. Südöstlich<lb/>
dehnen sie ihre Raubzüge sogar bis Asterabad aus und spotten des persischen<lb/>
Statthalters, der für den Kopf jedes getödteten Turkmenen einen Preis zahlt.<lb/>
Hier fand die russische wissenschaftliche Expidttion nach Khorassan, welche<lb/>
unter Chanykow im März 1858 eintraf, die Einwohner in höchster Angst<lb/>
vor den räuberischen Banden, die bis unter die Mauern der Stadt schweiften.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1498"> Die Telle zerfallen nach persischen Nachrichten in zwei Stämme: Telle<lb/>
Aachalnischin und Telle Gumnischin. Die Letzteren haben keine festen Weide-<lb/>
Plätze, sondern ziehen in der Wüste umher, indem sie den Brunnen nachgehen,<lb/>
die sie beliebig wieder verlassen, und führen ein rechtes, wildes Räuberleben.<lb/>
Die Aachalnischin sind zwar auch größtentheils Nomaden, doch haben sie<lb/>
einige feste Anstedlungen an Wasserplätzen und ihre bestimmten Sommer-<lb/>
und Winterweiden. Sie bauen etwas Gerste, Weizen, Wasser- und Zucker¬<lb/>
melonen und ein wenig Reis. Ihre Stuten sind vorzüglich. Auch verar¬<lb/>
beiten sie Schafwolle zu Teppichen u. tgi., die sie verkaufen. Zur Sicherung<lb/>
ihrer Niederlassungen haben sie sich kleine, viereckige Lehmfestungen angelegt,<lb/>
um welche herum sie ihre Fischzelte (Kibitken) aufstellen und in die sie sich<lb/>
beim Herannahen eines Feindes flüchten. Uns liegen persische statistische<lb/>
Angaben aus dem Jahre 1865 vor, nach welchen die sämmtlichen Telle da¬<lb/>
mals auf ungefähr 10,700 Zelte geschätzt wurden, doch kann diese Schätzung<lb/>
höchstens für die Aachalnischin einige Genauigkeit beanspruchen, welche den<lb/>
Persern am nächsten wohnen und von diesen zu ihren Unterthanen gerechnet<lb/>
werden. *)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1499" next="#ID_1500"> Westlich von den Telle wohnen die ihnen stammverwandten Jomud und<lb/>
Goklan: jene an der Ostküste des kaspischen Meeres, von der Mündung des<lb/>
Flusses Atrek nördlich bis zum Abfall des Acht-Art-Plateaus zwischen Aral-<lb/>
und Kaspisee'; diese etwas südöstlich an dem Flüßchen Gurgan und an der<lb/>
Persischen Grenze. Sie sind der Zahl nach am schwächsten, größtentheils fest<lb/>
angesiedelt und haben an die Perser ihre Selbstständigkeit verloren, denen sie<lb/>
ein jährliches Maliat d. i. Abgabe von 6000 Toman (persischen Dukaten)<lb/>
entrichten müssen. Die Jomud sind theils freie Nomaden und ziehen als</p><lb/>
          <note xml:id="FID_109" place="foot"> ") Angaben in Tagesblättern, nach denen sich die Zahl der Telle auf ca. 500,000 Köpfe<lb/>
belaufen soll, sind entweder verdrückt oder viel zu hoch gegriffen. &#x2014;</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0507] der schittischen Perser, denen sie auf alle Weise Abbruch zu thun suchen. Sie rauben Menschen und Vieh an der Grenze und schleppen jene als Sklaven fort, um sie gelegentlich zu verkaufen. Früher waren Buchara und Khiwci ihre Hauptabsatzplätze, wo erst die letzte Expedition dem Menschenhandel ein Ende gemacht hat. - Besonders aber haben die sabinischen Pilger von ihnen zu leiden, die zu dem Grabe des Imam Risa, eines Schülers des Ali, nach Meschhed wallfahren, und die Karawanenstraße von Redescht über Mijamid nach Meschhed ist stets von auflauernden Tekkehorden umlagert. Südöstlich dehnen sie ihre Raubzüge sogar bis Asterabad aus und spotten des persischen Statthalters, der für den Kopf jedes getödteten Turkmenen einen Preis zahlt. Hier fand die russische wissenschaftliche Expidttion nach Khorassan, welche unter Chanykow im März 1858 eintraf, die Einwohner in höchster Angst vor den räuberischen Banden, die bis unter die Mauern der Stadt schweiften. Die Telle zerfallen nach persischen Nachrichten in zwei Stämme: Telle Aachalnischin und Telle Gumnischin. Die Letzteren haben keine festen Weide- Plätze, sondern ziehen in der Wüste umher, indem sie den Brunnen nachgehen, die sie beliebig wieder verlassen, und führen ein rechtes, wildes Räuberleben. Die Aachalnischin sind zwar auch größtentheils Nomaden, doch haben sie einige feste Anstedlungen an Wasserplätzen und ihre bestimmten Sommer- und Winterweiden. Sie bauen etwas Gerste, Weizen, Wasser- und Zucker¬ melonen und ein wenig Reis. Ihre Stuten sind vorzüglich. Auch verar¬ beiten sie Schafwolle zu Teppichen u. tgi., die sie verkaufen. Zur Sicherung ihrer Niederlassungen haben sie sich kleine, viereckige Lehmfestungen angelegt, um welche herum sie ihre Fischzelte (Kibitken) aufstellen und in die sie sich beim Herannahen eines Feindes flüchten. Uns liegen persische statistische Angaben aus dem Jahre 1865 vor, nach welchen die sämmtlichen Telle da¬ mals auf ungefähr 10,700 Zelte geschätzt wurden, doch kann diese Schätzung höchstens für die Aachalnischin einige Genauigkeit beanspruchen, welche den Persern am nächsten wohnen und von diesen zu ihren Unterthanen gerechnet werden. *) Westlich von den Telle wohnen die ihnen stammverwandten Jomud und Goklan: jene an der Ostküste des kaspischen Meeres, von der Mündung des Flusses Atrek nördlich bis zum Abfall des Acht-Art-Plateaus zwischen Aral- und Kaspisee'; diese etwas südöstlich an dem Flüßchen Gurgan und an der Persischen Grenze. Sie sind der Zahl nach am schwächsten, größtentheils fest angesiedelt und haben an die Perser ihre Selbstständigkeit verloren, denen sie ein jährliches Maliat d. i. Abgabe von 6000 Toman (persischen Dukaten) entrichten müssen. Die Jomud sind theils freie Nomaden und ziehen als ") Angaben in Tagesblättern, nach denen sich die Zahl der Telle auf ca. 500,000 Köpfe belaufen soll, sind entweder verdrückt oder viel zu hoch gegriffen. —

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/507
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/507>, abgerufen am 27.07.2024.