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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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freier zügelloser Bahn edle Früchte treiben, sondern auch bei ihr ist die
Schulung, selbst bei epochemachenden Genies von wesentlichem Einfluß. Fehlt
diese, so artet sie zu leicht in verständnißlose Nachahmung oder in unschöne
Originalität aus und in diesen beiden Richtungen ist in England mehr denn
genug zu sehen.

Man hat der von so vielen Seiten oft geschmähten Berliner Architectur
wegen ihrer antikistrenden Richtung sehr oft Mangel an Originalität vor¬
geworfen, aber ich glaube, daß dieser Vorwurf durchaus ungerechtfertigt ist.
Gerade ein Vergleich mit der englischen Architectur, zeigt den Werth der
strengen Berliner Schule in seinem vollen Licht. Ein Gang durch die Straßen
in der Nähe des Thiergartens zeigt eine Fülle der reizendsten pillenähnlichen
Gebäude, die trotz der vorzugsweisen Anwendung antiker und Renaissance¬
formen so eigenartig und originell sind, wie man sie in London in der Nähe
der Parks oder in Richmond, Sydenham und Forrest Hill vergeblich sucht.

Ein aus der Berliner Schule hervorgegangener Architect würde sich aber
auch niemals derartige Nachahmungen, um nicht zu sagen Copien zu Schul¬
den kommen lassen, wie man sie in London zahlreich vertreten findet.

Während im Hyde Park in London der Marble Ares eine ziemlich ge¬
treue Nachbildung eines römischen Triumphbogens zeigt, besitzt Berlin sein
durch und durch originelles Brandenburger Thor. Während die Nelsonsäule
auf dem Trafalgarsquare eine getreue Nachbildung einer korinthischen Säule
des Ug,rs ultor - Tempels zu Rom ist. kann wohl Niemand der Siegessäule
auf dem Berliner Königsplatze, -- mag man nun über dieselbe denken, wie
man will -- Mangel an Originalität vorwerfen und gerade ihr Erbauer ist
einer der getreuesten Anhänger der strengen antiken Richtung.

Wenn man vor dem British Museum mit seinen ionischen Säulenhallen
steht, wird man unwillkürlich an die ältere aber auch so viel schönere Säulen¬
halle unseres Meisters Schinkel, an das alte Berliner Museum erinnert.
Letzteres ist mit all seinen streng antiken Formen eine so eigenartige herr¬
liche Schöpfung, daß das stattliche British Museum dagegen doch vollständig
in den Hintergrund tritt.

Und trotz der unendlich werthvollen Schätze, die in Originalen in diesem
selben British Museum beherbergt werden, trotz dieser Kunstschätze mit ihren
ewig unvergleichlich schönen Formen, welche zum eingehendsten Studium
förmlich herausfordern, trotzdem leisten die Berliner Architecten mit ihren
bescheidenen Mitteln vermöge ihrer strengen Schulung mehr als ihre englischen
Collegen und doch können sie, statt an Originalen, ihre Studien großentheils
nur an Gypsabgüssen und Nachbildungen machen.

In der Nähe des Euston Square befindet sich hier eine Kirche, deren
Westfacade eine grobe Wiedergabe der Hauptfacade des Erechtheion zeigt;


freier zügelloser Bahn edle Früchte treiben, sondern auch bei ihr ist die
Schulung, selbst bei epochemachenden Genies von wesentlichem Einfluß. Fehlt
diese, so artet sie zu leicht in verständnißlose Nachahmung oder in unschöne
Originalität aus und in diesen beiden Richtungen ist in England mehr denn
genug zu sehen.

Man hat der von so vielen Seiten oft geschmähten Berliner Architectur
wegen ihrer antikistrenden Richtung sehr oft Mangel an Originalität vor¬
geworfen, aber ich glaube, daß dieser Vorwurf durchaus ungerechtfertigt ist.
Gerade ein Vergleich mit der englischen Architectur, zeigt den Werth der
strengen Berliner Schule in seinem vollen Licht. Ein Gang durch die Straßen
in der Nähe des Thiergartens zeigt eine Fülle der reizendsten pillenähnlichen
Gebäude, die trotz der vorzugsweisen Anwendung antiker und Renaissance¬
formen so eigenartig und originell sind, wie man sie in London in der Nähe
der Parks oder in Richmond, Sydenham und Forrest Hill vergeblich sucht.

Ein aus der Berliner Schule hervorgegangener Architect würde sich aber
auch niemals derartige Nachahmungen, um nicht zu sagen Copien zu Schul¬
den kommen lassen, wie man sie in London zahlreich vertreten findet.

Während im Hyde Park in London der Marble Ares eine ziemlich ge¬
treue Nachbildung eines römischen Triumphbogens zeigt, besitzt Berlin sein
durch und durch originelles Brandenburger Thor. Während die Nelsonsäule
auf dem Trafalgarsquare eine getreue Nachbildung einer korinthischen Säule
des Ug,rs ultor - Tempels zu Rom ist. kann wohl Niemand der Siegessäule
auf dem Berliner Königsplatze, — mag man nun über dieselbe denken, wie
man will — Mangel an Originalität vorwerfen und gerade ihr Erbauer ist
einer der getreuesten Anhänger der strengen antiken Richtung.

Wenn man vor dem British Museum mit seinen ionischen Säulenhallen
steht, wird man unwillkürlich an die ältere aber auch so viel schönere Säulen¬
halle unseres Meisters Schinkel, an das alte Berliner Museum erinnert.
Letzteres ist mit all seinen streng antiken Formen eine so eigenartige herr¬
liche Schöpfung, daß das stattliche British Museum dagegen doch vollständig
in den Hintergrund tritt.

Und trotz der unendlich werthvollen Schätze, die in Originalen in diesem
selben British Museum beherbergt werden, trotz dieser Kunstschätze mit ihren
ewig unvergleichlich schönen Formen, welche zum eingehendsten Studium
förmlich herausfordern, trotzdem leisten die Berliner Architecten mit ihren
bescheidenen Mitteln vermöge ihrer strengen Schulung mehr als ihre englischen
Collegen und doch können sie, statt an Originalen, ihre Studien großentheils
nur an Gypsabgüssen und Nachbildungen machen.

In der Nähe des Euston Square befindet sich hier eine Kirche, deren
Westfacade eine grobe Wiedergabe der Hauptfacade des Erechtheion zeigt;


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[0502] freier zügelloser Bahn edle Früchte treiben, sondern auch bei ihr ist die Schulung, selbst bei epochemachenden Genies von wesentlichem Einfluß. Fehlt diese, so artet sie zu leicht in verständnißlose Nachahmung oder in unschöne Originalität aus und in diesen beiden Richtungen ist in England mehr denn genug zu sehen. Man hat der von so vielen Seiten oft geschmähten Berliner Architectur wegen ihrer antikistrenden Richtung sehr oft Mangel an Originalität vor¬ geworfen, aber ich glaube, daß dieser Vorwurf durchaus ungerechtfertigt ist. Gerade ein Vergleich mit der englischen Architectur, zeigt den Werth der strengen Berliner Schule in seinem vollen Licht. Ein Gang durch die Straßen in der Nähe des Thiergartens zeigt eine Fülle der reizendsten pillenähnlichen Gebäude, die trotz der vorzugsweisen Anwendung antiker und Renaissance¬ formen so eigenartig und originell sind, wie man sie in London in der Nähe der Parks oder in Richmond, Sydenham und Forrest Hill vergeblich sucht. Ein aus der Berliner Schule hervorgegangener Architect würde sich aber auch niemals derartige Nachahmungen, um nicht zu sagen Copien zu Schul¬ den kommen lassen, wie man sie in London zahlreich vertreten findet. Während im Hyde Park in London der Marble Ares eine ziemlich ge¬ treue Nachbildung eines römischen Triumphbogens zeigt, besitzt Berlin sein durch und durch originelles Brandenburger Thor. Während die Nelsonsäule auf dem Trafalgarsquare eine getreue Nachbildung einer korinthischen Säule des Ug,rs ultor - Tempels zu Rom ist. kann wohl Niemand der Siegessäule auf dem Berliner Königsplatze, — mag man nun über dieselbe denken, wie man will — Mangel an Originalität vorwerfen und gerade ihr Erbauer ist einer der getreuesten Anhänger der strengen antiken Richtung. Wenn man vor dem British Museum mit seinen ionischen Säulenhallen steht, wird man unwillkürlich an die ältere aber auch so viel schönere Säulen¬ halle unseres Meisters Schinkel, an das alte Berliner Museum erinnert. Letzteres ist mit all seinen streng antiken Formen eine so eigenartige herr¬ liche Schöpfung, daß das stattliche British Museum dagegen doch vollständig in den Hintergrund tritt. Und trotz der unendlich werthvollen Schätze, die in Originalen in diesem selben British Museum beherbergt werden, trotz dieser Kunstschätze mit ihren ewig unvergleichlich schönen Formen, welche zum eingehendsten Studium förmlich herausfordern, trotzdem leisten die Berliner Architecten mit ihren bescheidenen Mitteln vermöge ihrer strengen Schulung mehr als ihre englischen Collegen und doch können sie, statt an Originalen, ihre Studien großentheils nur an Gypsabgüssen und Nachbildungen machen. In der Nähe des Euston Square befindet sich hier eine Kirche, deren Westfacade eine grobe Wiedergabe der Hauptfacade des Erechtheion zeigt;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/502>, abgerufen am 27.07.2024.