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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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mit verschwenderischer Freigebigkeit, seitens der Bauherrn, mit Granit und
Marmor und Statuen aus echtem soliden Material das Aeußere des Hauses,
dem innern Werthe desselben entsprechend geschmückt worden ist, so wirken
alle diese Herrlichkeiten doch entsetzlich geisttödtend, weil die ewige Wieder¬
holung selbst die schönste Form in den Staub der Alltäglichkeit und in das
Gebiet des Lächerlichen herabzieht. Zudem sind aber die einzelnen Formen
nur in den seltensten Fällen schön zu nennen, sondern in der Regel prangen
die Gebäude in einem äußeren Kleide, das durch gedankenlose Nachäffung und
Aneinanderreihung von Formen aller möglichen verschiedenen Baustyle ent¬
standen ist.

Die großen Provinzialstädte Englands mögen im Allgemeinen in archi¬
tektonischer Beziehung ein viel anregenderes Bild darbieten, als London, und
namentlich wird Liverpool in seinen öffentlichen Gebäuden wohl von keiner
anderen Stadt Großbritanniens erreicht. Aber auch hier ist überall die fabrik¬
mäßige Herstellung der Wohngebäude ihrer äußern Wirkung entschieden feind¬
selig. Selbst in dem herrlichen Edinburgh, das von der Natur mit ver¬
schwenderischer Pracht sowohl hinsichtlich seiner Lage, als auch hinsichtlich
seiner eigenen Gruppirung ausgestattet ist, dämpft diese ewige Wiederholung
derselben Formen, die wie ein Fluch auf der englischen neuen Architectur zu
lasten scheint, die günstige Wirkung der Stadt ganz erheblich und sie ist hier
am allerunbegreiflichsten, wo doch die Natur und die alten Baumeister mit
einer Fülle der herrlichsten Abwechselungen durchaus nicht gegeizt haben. Die
alte ehrwürdige Highstreet wirkt trotz ihres Schmutzes und trotz der viel ein¬
fachern Mittel ihrer Faxaden doch sehr viel anregender, als die neuen
Straßen der vornehmen Welt, oder gar der Moray Place, bei dem das ewige
Einerlei seiner Paläste einen unglaublich düstern und langweiligen Eindruck
hervorbringt, der selbst nicht durch das schöne Grün, in dem sein innerer
Theil prangt, ganz aufgehoben werden kann.

Großartig zu bauen verstehen die Briten, wie wohl kaum ein anderes
lebendes Volk, aber die Schönheit kommt dabei sehr oft schlecht genug weg.
Trotz der so bedeutenden Mittel, über die England und seine Bewohner zu
verfügen haben, tragen unsere continentalen Großstädte doch einen viel monu-
mentaleren Charakter, und unsere deutsche Hauptstadt vor allen kann sich trotz
ihrer bescheidenen Mittel in dieser Hinsicht dreist mit jeder Stadt diesseits des
Kanals messen.

Der Grund für diesen auffallenden Mangel an entwickeltem Kunstsinn
unter den neuern Architecten Großbritanniens dürste wohl hauptsächlich darin
seinen Grund haben, daß dieselben nicht ordentlich geschult werden, wobei
dieser Ausdruck natürlich in seinem besten Sinne gemeint ist.

Die Kunst kann weder handwerksmäßig erlernt werden, noch in ganz


Grenzboten IV. 1874. 63

mit verschwenderischer Freigebigkeit, seitens der Bauherrn, mit Granit und
Marmor und Statuen aus echtem soliden Material das Aeußere des Hauses,
dem innern Werthe desselben entsprechend geschmückt worden ist, so wirken
alle diese Herrlichkeiten doch entsetzlich geisttödtend, weil die ewige Wieder¬
holung selbst die schönste Form in den Staub der Alltäglichkeit und in das
Gebiet des Lächerlichen herabzieht. Zudem sind aber die einzelnen Formen
nur in den seltensten Fällen schön zu nennen, sondern in der Regel prangen
die Gebäude in einem äußeren Kleide, das durch gedankenlose Nachäffung und
Aneinanderreihung von Formen aller möglichen verschiedenen Baustyle ent¬
standen ist.

Die großen Provinzialstädte Englands mögen im Allgemeinen in archi¬
tektonischer Beziehung ein viel anregenderes Bild darbieten, als London, und
namentlich wird Liverpool in seinen öffentlichen Gebäuden wohl von keiner
anderen Stadt Großbritanniens erreicht. Aber auch hier ist überall die fabrik¬
mäßige Herstellung der Wohngebäude ihrer äußern Wirkung entschieden feind¬
selig. Selbst in dem herrlichen Edinburgh, das von der Natur mit ver¬
schwenderischer Pracht sowohl hinsichtlich seiner Lage, als auch hinsichtlich
seiner eigenen Gruppirung ausgestattet ist, dämpft diese ewige Wiederholung
derselben Formen, die wie ein Fluch auf der englischen neuen Architectur zu
lasten scheint, die günstige Wirkung der Stadt ganz erheblich und sie ist hier
am allerunbegreiflichsten, wo doch die Natur und die alten Baumeister mit
einer Fülle der herrlichsten Abwechselungen durchaus nicht gegeizt haben. Die
alte ehrwürdige Highstreet wirkt trotz ihres Schmutzes und trotz der viel ein¬
fachern Mittel ihrer Faxaden doch sehr viel anregender, als die neuen
Straßen der vornehmen Welt, oder gar der Moray Place, bei dem das ewige
Einerlei seiner Paläste einen unglaublich düstern und langweiligen Eindruck
hervorbringt, der selbst nicht durch das schöne Grün, in dem sein innerer
Theil prangt, ganz aufgehoben werden kann.

Großartig zu bauen verstehen die Briten, wie wohl kaum ein anderes
lebendes Volk, aber die Schönheit kommt dabei sehr oft schlecht genug weg.
Trotz der so bedeutenden Mittel, über die England und seine Bewohner zu
verfügen haben, tragen unsere continentalen Großstädte doch einen viel monu-
mentaleren Charakter, und unsere deutsche Hauptstadt vor allen kann sich trotz
ihrer bescheidenen Mittel in dieser Hinsicht dreist mit jeder Stadt diesseits des
Kanals messen.

Der Grund für diesen auffallenden Mangel an entwickeltem Kunstsinn
unter den neuern Architecten Großbritanniens dürste wohl hauptsächlich darin
seinen Grund haben, daß dieselben nicht ordentlich geschult werden, wobei
dieser Ausdruck natürlich in seinem besten Sinne gemeint ist.

Die Kunst kann weder handwerksmäßig erlernt werden, noch in ganz


Grenzboten IV. 1874. 63
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[0501] mit verschwenderischer Freigebigkeit, seitens der Bauherrn, mit Granit und Marmor und Statuen aus echtem soliden Material das Aeußere des Hauses, dem innern Werthe desselben entsprechend geschmückt worden ist, so wirken alle diese Herrlichkeiten doch entsetzlich geisttödtend, weil die ewige Wieder¬ holung selbst die schönste Form in den Staub der Alltäglichkeit und in das Gebiet des Lächerlichen herabzieht. Zudem sind aber die einzelnen Formen nur in den seltensten Fällen schön zu nennen, sondern in der Regel prangen die Gebäude in einem äußeren Kleide, das durch gedankenlose Nachäffung und Aneinanderreihung von Formen aller möglichen verschiedenen Baustyle ent¬ standen ist. Die großen Provinzialstädte Englands mögen im Allgemeinen in archi¬ tektonischer Beziehung ein viel anregenderes Bild darbieten, als London, und namentlich wird Liverpool in seinen öffentlichen Gebäuden wohl von keiner anderen Stadt Großbritanniens erreicht. Aber auch hier ist überall die fabrik¬ mäßige Herstellung der Wohngebäude ihrer äußern Wirkung entschieden feind¬ selig. Selbst in dem herrlichen Edinburgh, das von der Natur mit ver¬ schwenderischer Pracht sowohl hinsichtlich seiner Lage, als auch hinsichtlich seiner eigenen Gruppirung ausgestattet ist, dämpft diese ewige Wiederholung derselben Formen, die wie ein Fluch auf der englischen neuen Architectur zu lasten scheint, die günstige Wirkung der Stadt ganz erheblich und sie ist hier am allerunbegreiflichsten, wo doch die Natur und die alten Baumeister mit einer Fülle der herrlichsten Abwechselungen durchaus nicht gegeizt haben. Die alte ehrwürdige Highstreet wirkt trotz ihres Schmutzes und trotz der viel ein¬ fachern Mittel ihrer Faxaden doch sehr viel anregender, als die neuen Straßen der vornehmen Welt, oder gar der Moray Place, bei dem das ewige Einerlei seiner Paläste einen unglaublich düstern und langweiligen Eindruck hervorbringt, der selbst nicht durch das schöne Grün, in dem sein innerer Theil prangt, ganz aufgehoben werden kann. Großartig zu bauen verstehen die Briten, wie wohl kaum ein anderes lebendes Volk, aber die Schönheit kommt dabei sehr oft schlecht genug weg. Trotz der so bedeutenden Mittel, über die England und seine Bewohner zu verfügen haben, tragen unsere continentalen Großstädte doch einen viel monu- mentaleren Charakter, und unsere deutsche Hauptstadt vor allen kann sich trotz ihrer bescheidenen Mittel in dieser Hinsicht dreist mit jeder Stadt diesseits des Kanals messen. Der Grund für diesen auffallenden Mangel an entwickeltem Kunstsinn unter den neuern Architecten Großbritanniens dürste wohl hauptsächlich darin seinen Grund haben, daß dieselben nicht ordentlich geschult werden, wobei dieser Ausdruck natürlich in seinem besten Sinne gemeint ist. Die Kunst kann weder handwerksmäßig erlernt werden, noch in ganz Grenzboten IV. 1874. 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/501>, abgerufen am 27.07.2024.