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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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jeder Arm des Querschiffes besteht aus der ebenfalls roh ausgeführten Copie
der Horenhalle desselben griechischen Tempels und der Thurm über der West--
sacade ist durch zweimaliges Uebereinandersetzen des Thurmes der Winde, des
ältesten korinthischen Bauwerks, gebildet. Die Gesimse sind nach dem Erech-
theion und dem Thurm der Winde combtnirt; und das ganze Bauwerk macht
in dieser Zusammensetzung ganz den Eindruck, als ob es nur ausgeführt
worden sei, um damit einen ewigen Hohn auszusprechen. Wahrlich, berliner
Architecten würden sich in der Weise niemals an den schönsten Formen attisch
jonischer Baukunst versündigt haben; sie besitzen allerdings glücklicher Weise
nicht genug "Originalität" um die edlen Verhältnisse des Erechtheion
mit seinen herrlichen Karyatiden dem Spotte Preis zu geben. Ebenso be¬
findet sich in Birmingham am Eingange zum Güterbahnhof der London-
und North - Western Eisenbahngesellschaft ein großartiger jonischer Porticus.
Man könnte wirklich herzlich lachen, wenn derartige Verirrungen nicht so
sehr traurig wären, oder soll dadurch etwa der Güterschuppen als Tempel
des Hermes dargestellt werden? --

Unter diesen Umständen wundert es mich daher auch gar nicht, daß
unter den Künstlern aller Zeiten und aller Länder die als Reliefs auf dem
Unterbau des Albert Memorials dargestellt sind, der größte Baumeister dieses
Jahrhunderts, Schinkel. fehlt, während die englischen Architecten zweifel¬
hafter Größe in einer Vollständigkeit vorgeführt werden, die sich selbst durch
die nationale Eitelkeit nicht erklären läßt, wenn man eben erst ihre Werke
gesehen hat.

Der Engländer hat eine ganz besondere Vorliebe dafür, seine Helden,
Generäle und sonstigen berühmten Männer möglichst hoch auf Säulen oder
dergleichen zu stellen. So stehen in London Nelson auf dem Trafalgar-
Square, York am Ende der Regent Street nach dem Se. James-Park zu auf
hohen Säulen. Wellington an der Hyde Park Comer auf einem großen
Triumphbogen und in Newcastle upon Tyne und in Edinburgh finden sich
wieder berühmte Männer auf hohen schlanken Säulen.

Es ist diese Art von Monumenten allerdings nicht eine englische Er-
findung. sondern das Vorbild aller mag wohl ursprünglich die Trajanssäule
gewesen sein. Da aber diese nicht allein aus der Zeit des Verfalls der römi¬
schen Kunst stammt, sondern gerade diesen Verfall mit am allerdeutlichsten
in sich darstellte, so hätte man glauben sollen, daß das in ihr ausgeprägte
Prinzip keine Nachahmung finden werde.

Wollen die Engländer mit ihrem aufs Materielle bedachten Sinn etwa
die geistige Höhe ihrer Helden gleich räumlich darstellen, oder stellen sie die¬
selben deßhalb auf solche Höhen, daß man sie nicht mehr mit unbewaffnetem


jeder Arm des Querschiffes besteht aus der ebenfalls roh ausgeführten Copie
der Horenhalle desselben griechischen Tempels und der Thurm über der West--
sacade ist durch zweimaliges Uebereinandersetzen des Thurmes der Winde, des
ältesten korinthischen Bauwerks, gebildet. Die Gesimse sind nach dem Erech-
theion und dem Thurm der Winde combtnirt; und das ganze Bauwerk macht
in dieser Zusammensetzung ganz den Eindruck, als ob es nur ausgeführt
worden sei, um damit einen ewigen Hohn auszusprechen. Wahrlich, berliner
Architecten würden sich in der Weise niemals an den schönsten Formen attisch
jonischer Baukunst versündigt haben; sie besitzen allerdings glücklicher Weise
nicht genug „Originalität" um die edlen Verhältnisse des Erechtheion
mit seinen herrlichen Karyatiden dem Spotte Preis zu geben. Ebenso be¬
findet sich in Birmingham am Eingange zum Güterbahnhof der London-
und North - Western Eisenbahngesellschaft ein großartiger jonischer Porticus.
Man könnte wirklich herzlich lachen, wenn derartige Verirrungen nicht so
sehr traurig wären, oder soll dadurch etwa der Güterschuppen als Tempel
des Hermes dargestellt werden? —

Unter diesen Umständen wundert es mich daher auch gar nicht, daß
unter den Künstlern aller Zeiten und aller Länder die als Reliefs auf dem
Unterbau des Albert Memorials dargestellt sind, der größte Baumeister dieses
Jahrhunderts, Schinkel. fehlt, während die englischen Architecten zweifel¬
hafter Größe in einer Vollständigkeit vorgeführt werden, die sich selbst durch
die nationale Eitelkeit nicht erklären läßt, wenn man eben erst ihre Werke
gesehen hat.

Der Engländer hat eine ganz besondere Vorliebe dafür, seine Helden,
Generäle und sonstigen berühmten Männer möglichst hoch auf Säulen oder
dergleichen zu stellen. So stehen in London Nelson auf dem Trafalgar-
Square, York am Ende der Regent Street nach dem Se. James-Park zu auf
hohen Säulen. Wellington an der Hyde Park Comer auf einem großen
Triumphbogen und in Newcastle upon Tyne und in Edinburgh finden sich
wieder berühmte Männer auf hohen schlanken Säulen.

Es ist diese Art von Monumenten allerdings nicht eine englische Er-
findung. sondern das Vorbild aller mag wohl ursprünglich die Trajanssäule
gewesen sein. Da aber diese nicht allein aus der Zeit des Verfalls der römi¬
schen Kunst stammt, sondern gerade diesen Verfall mit am allerdeutlichsten
in sich darstellte, so hätte man glauben sollen, daß das in ihr ausgeprägte
Prinzip keine Nachahmung finden werde.

Wollen die Engländer mit ihrem aufs Materielle bedachten Sinn etwa
die geistige Höhe ihrer Helden gleich räumlich darstellen, oder stellen sie die¬
selben deßhalb auf solche Höhen, daß man sie nicht mehr mit unbewaffnetem


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[0503] jeder Arm des Querschiffes besteht aus der ebenfalls roh ausgeführten Copie der Horenhalle desselben griechischen Tempels und der Thurm über der West-- sacade ist durch zweimaliges Uebereinandersetzen des Thurmes der Winde, des ältesten korinthischen Bauwerks, gebildet. Die Gesimse sind nach dem Erech- theion und dem Thurm der Winde combtnirt; und das ganze Bauwerk macht in dieser Zusammensetzung ganz den Eindruck, als ob es nur ausgeführt worden sei, um damit einen ewigen Hohn auszusprechen. Wahrlich, berliner Architecten würden sich in der Weise niemals an den schönsten Formen attisch jonischer Baukunst versündigt haben; sie besitzen allerdings glücklicher Weise nicht genug „Originalität" um die edlen Verhältnisse des Erechtheion mit seinen herrlichen Karyatiden dem Spotte Preis zu geben. Ebenso be¬ findet sich in Birmingham am Eingange zum Güterbahnhof der London- und North - Western Eisenbahngesellschaft ein großartiger jonischer Porticus. Man könnte wirklich herzlich lachen, wenn derartige Verirrungen nicht so sehr traurig wären, oder soll dadurch etwa der Güterschuppen als Tempel des Hermes dargestellt werden? — Unter diesen Umständen wundert es mich daher auch gar nicht, daß unter den Künstlern aller Zeiten und aller Länder die als Reliefs auf dem Unterbau des Albert Memorials dargestellt sind, der größte Baumeister dieses Jahrhunderts, Schinkel. fehlt, während die englischen Architecten zweifel¬ hafter Größe in einer Vollständigkeit vorgeführt werden, die sich selbst durch die nationale Eitelkeit nicht erklären läßt, wenn man eben erst ihre Werke gesehen hat. Der Engländer hat eine ganz besondere Vorliebe dafür, seine Helden, Generäle und sonstigen berühmten Männer möglichst hoch auf Säulen oder dergleichen zu stellen. So stehen in London Nelson auf dem Trafalgar- Square, York am Ende der Regent Street nach dem Se. James-Park zu auf hohen Säulen. Wellington an der Hyde Park Comer auf einem großen Triumphbogen und in Newcastle upon Tyne und in Edinburgh finden sich wieder berühmte Männer auf hohen schlanken Säulen. Es ist diese Art von Monumenten allerdings nicht eine englische Er- findung. sondern das Vorbild aller mag wohl ursprünglich die Trajanssäule gewesen sein. Da aber diese nicht allein aus der Zeit des Verfalls der römi¬ schen Kunst stammt, sondern gerade diesen Verfall mit am allerdeutlichsten in sich darstellte, so hätte man glauben sollen, daß das in ihr ausgeprägte Prinzip keine Nachahmung finden werde. Wollen die Engländer mit ihrem aufs Materielle bedachten Sinn etwa die geistige Höhe ihrer Helden gleich räumlich darstellen, oder stellen sie die¬ selben deßhalb auf solche Höhen, daß man sie nicht mehr mit unbewaffnetem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/503>, abgerufen am 27.07.2024.