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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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des reisenden Publikums eingehend zu erörtern? Wenn aber dies billiger-
weise von Herrn v. Biedermann nicht zu verlangen ist und gleichwohl das
Publikum ein Recht darauf hat, daß seine begründeten Beschwerden nicht
kurzer Hand abgewiesen, sondern nach Gebühr berücksichtigt werden, was soll
dann geschehen? Wir meinen, dieses Dilemma löst sich am einfachsten da¬
durch, daß das Finanzministerium, als die Herrn v. Biedermann vorgesetzte
Behörde für ihn ein gutes Wort bei dem Cultusmtnisterium einlegt und
dieses letztere ihn recht bald in eine Professur der vergleichenden Literatur¬
geschichte an der Universität Leipzig beruft, der ein Mann von seinen Kennt¬
nissen nur zur Zierde gereichen wird. Damit erhält er die erwünschte Muße
zum Ordnen und Gestalten seines reichen Stoffes und kann endlich die ge¬
lehrte Welt mit dem Werke beschenken, das ihm schon seit Jahren als eine
lockende Aufgabe vorschwebt. Seine Stelle wäre dann mit einem weniger ge¬
lehrten und vielseitigen Nachfolger zu besetzen, der eben vermöge seines be¬
schränkteren geistigen Horizontes mehr Zeit und Neigung hätte, sich mit so
unerquicklichen und prosaischen Dingen, wie Beschwerden des Publikums sind,
zu befassen. Daß ein Eisenbahndirector literargeschichtliche Untersuchungen
anstellt und etwa 200 fremde Sprachen versteht, ist nicht nöthig, daß er aber
die wohlbegründeten Beschwerden gebildeter Reisender genau untersucht und
ihnen gegenüber die Sprache zu reden versteht, die man sonst von Behörden
des 19. Jahrhunderts zu hören pflegt, das ist allerdings nöthig.


Max Krenkel.


Ane neue Ausgabe von Jeremias Hotthels.

Die Grenzboten haben schon mehrfach eine Lanze eingelegt für den sein
Volk so treu wiederspiegelnden und doch im Volk noch nicht genug gekannten
und gewürdigten Dichter des Schweizer Dorfes, Jeremias Gotthelf.
'

Eine Lanze eingelegt -- denn von namhaften Kritikern ists dem guten
Landprediger schon gar oft herzlich schlecht ergangen, hat doch ihre ästhetische
Entrüstung sogar schon im Namen der beleidigten Geruchsnerven Protest ein¬
gelegt gegen die Atmosphäre der Gotth^is'schen Schriften.


z- B. in dem nur erwähnten Buche die Präposition "wegen" mit dem Dativ verbindet ("wegen
Irrthümern", Th. 1 S. 50), einen jungen Mann "nach sorgfältig genossener häuslicher
Erziehung" auf die Hochschule gehen läßt (Th. 1 S. 185) und folgende ganz der "Dresdner
Nachrichten" würdigeParticipialconstruction leistet: "Nur beiläufig bemerkend, daß unter
dem bestellten Papier sogenanntes Untersatzpapier, zum Aufziehen von Kupferstichen verstanden
war, sind dagegen die thätigen Söhne Wetgel's näher zu beachten." (Th. 2
S, 170.)

des reisenden Publikums eingehend zu erörtern? Wenn aber dies billiger-
weise von Herrn v. Biedermann nicht zu verlangen ist und gleichwohl das
Publikum ein Recht darauf hat, daß seine begründeten Beschwerden nicht
kurzer Hand abgewiesen, sondern nach Gebühr berücksichtigt werden, was soll
dann geschehen? Wir meinen, dieses Dilemma löst sich am einfachsten da¬
durch, daß das Finanzministerium, als die Herrn v. Biedermann vorgesetzte
Behörde für ihn ein gutes Wort bei dem Cultusmtnisterium einlegt und
dieses letztere ihn recht bald in eine Professur der vergleichenden Literatur¬
geschichte an der Universität Leipzig beruft, der ein Mann von seinen Kennt¬
nissen nur zur Zierde gereichen wird. Damit erhält er die erwünschte Muße
zum Ordnen und Gestalten seines reichen Stoffes und kann endlich die ge¬
lehrte Welt mit dem Werke beschenken, das ihm schon seit Jahren als eine
lockende Aufgabe vorschwebt. Seine Stelle wäre dann mit einem weniger ge¬
lehrten und vielseitigen Nachfolger zu besetzen, der eben vermöge seines be¬
schränkteren geistigen Horizontes mehr Zeit und Neigung hätte, sich mit so
unerquicklichen und prosaischen Dingen, wie Beschwerden des Publikums sind,
zu befassen. Daß ein Eisenbahndirector literargeschichtliche Untersuchungen
anstellt und etwa 200 fremde Sprachen versteht, ist nicht nöthig, daß er aber
die wohlbegründeten Beschwerden gebildeter Reisender genau untersucht und
ihnen gegenüber die Sprache zu reden versteht, die man sonst von Behörden
des 19. Jahrhunderts zu hören pflegt, das ist allerdings nöthig.


Max Krenkel.


Ane neue Ausgabe von Jeremias Hotthels.

Die Grenzboten haben schon mehrfach eine Lanze eingelegt für den sein
Volk so treu wiederspiegelnden und doch im Volk noch nicht genug gekannten
und gewürdigten Dichter des Schweizer Dorfes, Jeremias Gotthelf.
'

Eine Lanze eingelegt — denn von namhaften Kritikern ists dem guten
Landprediger schon gar oft herzlich schlecht ergangen, hat doch ihre ästhetische
Entrüstung sogar schon im Namen der beleidigten Geruchsnerven Protest ein¬
gelegt gegen die Atmosphäre der Gotth^is'schen Schriften.


z- B. in dem nur erwähnten Buche die Präposition „wegen" mit dem Dativ verbindet („wegen
Irrthümern", Th. 1 S. 50), einen jungen Mann „nach sorgfältig genossener häuslicher
Erziehung" auf die Hochschule gehen läßt (Th. 1 S. 185) und folgende ganz der „Dresdner
Nachrichten" würdigeParticipialconstruction leistet: „Nur beiläufig bemerkend, daß unter
dem bestellten Papier sogenanntes Untersatzpapier, zum Aufziehen von Kupferstichen verstanden
war, sind dagegen die thätigen Söhne Wetgel's näher zu beachten." (Th. 2
S, 170.)
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[0471] des reisenden Publikums eingehend zu erörtern? Wenn aber dies billiger- weise von Herrn v. Biedermann nicht zu verlangen ist und gleichwohl das Publikum ein Recht darauf hat, daß seine begründeten Beschwerden nicht kurzer Hand abgewiesen, sondern nach Gebühr berücksichtigt werden, was soll dann geschehen? Wir meinen, dieses Dilemma löst sich am einfachsten da¬ durch, daß das Finanzministerium, als die Herrn v. Biedermann vorgesetzte Behörde für ihn ein gutes Wort bei dem Cultusmtnisterium einlegt und dieses letztere ihn recht bald in eine Professur der vergleichenden Literatur¬ geschichte an der Universität Leipzig beruft, der ein Mann von seinen Kennt¬ nissen nur zur Zierde gereichen wird. Damit erhält er die erwünschte Muße zum Ordnen und Gestalten seines reichen Stoffes und kann endlich die ge¬ lehrte Welt mit dem Werke beschenken, das ihm schon seit Jahren als eine lockende Aufgabe vorschwebt. Seine Stelle wäre dann mit einem weniger ge¬ lehrten und vielseitigen Nachfolger zu besetzen, der eben vermöge seines be¬ schränkteren geistigen Horizontes mehr Zeit und Neigung hätte, sich mit so unerquicklichen und prosaischen Dingen, wie Beschwerden des Publikums sind, zu befassen. Daß ein Eisenbahndirector literargeschichtliche Untersuchungen anstellt und etwa 200 fremde Sprachen versteht, ist nicht nöthig, daß er aber die wohlbegründeten Beschwerden gebildeter Reisender genau untersucht und ihnen gegenüber die Sprache zu reden versteht, die man sonst von Behörden des 19. Jahrhunderts zu hören pflegt, das ist allerdings nöthig. Max Krenkel. Ane neue Ausgabe von Jeremias Hotthels. Die Grenzboten haben schon mehrfach eine Lanze eingelegt für den sein Volk so treu wiederspiegelnden und doch im Volk noch nicht genug gekannten und gewürdigten Dichter des Schweizer Dorfes, Jeremias Gotthelf. ' Eine Lanze eingelegt — denn von namhaften Kritikern ists dem guten Landprediger schon gar oft herzlich schlecht ergangen, hat doch ihre ästhetische Entrüstung sogar schon im Namen der beleidigten Geruchsnerven Protest ein¬ gelegt gegen die Atmosphäre der Gotth^is'schen Schriften. z- B. in dem nur erwähnten Buche die Präposition „wegen" mit dem Dativ verbindet („wegen Irrthümern", Th. 1 S. 50), einen jungen Mann „nach sorgfältig genossener häuslicher Erziehung" auf die Hochschule gehen läßt (Th. 1 S. 185) und folgende ganz der „Dresdner Nachrichten" würdigeParticipialconstruction leistet: „Nur beiläufig bemerkend, daß unter dem bestellten Papier sogenanntes Untersatzpapier, zum Aufziehen von Kupferstichen verstanden war, sind dagegen die thätigen Söhne Wetgel's näher zu beachten." (Th. 2 S, 170.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/471>, abgerufen am 27.07.2024.