Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.wir mindestens in Bezug auf den Unterzeichner jenes Bescheids, Freiherrn ") "Der Parallelism in der Dichtkunst" im Johannes-Album herausgegeben von Fr. Müller, Bürgermeister zu Chemnitz. Zweiter Theil S. 70 ff. -) a. a. O. S. 73. Freilich hat der "geistreiche Gebildete" Herder nicht so wundersame
Entdeckungen gemacht, wie der "gründliche Sachkenner und Forscher" v. Biedermann, der in seinem Buche "Goethe und Leipzig (Th. 1 S. 28) die Bibel "von einer Quelle erzählen" läßt, "welche dem Unschuldigen wohl bekommt, den Schuldigen aufblühe und bersten macht." Dieser Fabel scheint eine dunkle Erinnerung an das Gesetz 4. Mos, 5, 12 -- 31 zu Grunde zu liegen, über welches sich Herr von Biedermann aus Schenkel's Bibellexikon (Art. Fluch¬ wasser) Belehrung erholen kann. Auch in Betreff der Behandlung seiner Muttersprache dürfte es der so abfällig beurtheilte Herder recht wohl mit Herrn v. Biedermann aufnehmen, der wir mindestens in Bezug auf den Unterzeichner jenes Bescheids, Freiherrn ") „Der Parallelism in der Dichtkunst" im Johannes-Album herausgegeben von Fr. Müller, Bürgermeister zu Chemnitz. Zweiter Theil S. 70 ff. -) a. a. O. S. 73. Freilich hat der „geistreiche Gebildete" Herder nicht so wundersame
Entdeckungen gemacht, wie der „gründliche Sachkenner und Forscher" v. Biedermann, der in seinem Buche „Goethe und Leipzig (Th. 1 S. 28) die Bibel „von einer Quelle erzählen" läßt, „welche dem Unschuldigen wohl bekommt, den Schuldigen aufblühe und bersten macht." Dieser Fabel scheint eine dunkle Erinnerung an das Gesetz 4. Mos, 5, 12 — 31 zu Grunde zu liegen, über welches sich Herr von Biedermann aus Schenkel's Bibellexikon (Art. Fluch¬ wasser) Belehrung erholen kann. Auch in Betreff der Behandlung seiner Muttersprache dürfte es der so abfällig beurtheilte Herder recht wohl mit Herrn v. Biedermann aufnehmen, der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0470" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132692"/> <p xml:id="ID_1371" prev="#ID_1370" next="#ID_1372"> wir mindestens in Bezug auf den Unterzeichner jenes Bescheids, Freiherrn<lb/> v. Biedermann, unbedenklich bejahen zu dürfen, wenn wir den Umfang und<lb/> die Vielseitigkeit seiner außerordentlichen Thätigkeit ins Auge fassen. Herr<lb/> v. Biedermann ist nämlich, wenn wir seinem Selbstzeugnisse Glauben schenken,<lb/> ein Sprachkenner und Literarhistoriker, der seines Gleichen sucht. Hören wir<lb/> ihn selbst: „Es mangelt noch an einer allgemeinen Darstellung der Formen<lb/> der Dichtkunst, wodurch das historische Vorkommen jeder der verschiedenen<lb/> Formen, die geographische Verbreitung derselben, die Mannichfaltigkeiten in<lb/> ihrem Auftreten und ihrer Ausbildung, sowie das Weichen der einen Form<lb/> vor der andern durch vergleichende Betrachtung in möglichst vollständigem<lb/> Umfange nachgewiesen wird. Ein solches ebenso für die allgemeine Cultur¬<lb/> geschichte wie für die Erkenntniß des geschichtlichen Begriffes der Dichtkunst<lb/> wichtiges Werk hat mir schon seit Jahren als verlockende Aufgabe vorge¬<lb/> schwebt und es liegt ein ziemlich reicher, von mir gesammelter<lb/> Stoff mit denDichtungen aus etwa 200 Sprachen undMund-<lb/> arten (ungerechnet die allein fast schon dreimal so stark ver¬<lb/> tretenen germanischen) vor mir, doch fehlte mir immer noch die Muße,<lb/> ohne welche das Ordnen und Gestalten desselben nicht möglich ist." Und<lb/> im weiteren Verlaufe des Aufsatzes, der durch diese Worte eingeleitet wird*),<lb/> weiß uns Herr v. Biedermann nicht nur von Römern und Griechen, sondern<lb/> auch von Juden, Aegyptern, Phöniciern, Syrern, Arabern, Persern, Arme¬<lb/> niern, Indern, Siamesen, Birmanen, Chinesen, Malaien, Mongolen, Mand-<lb/> schus, Kalmücken, Kirgisen, Finnen, Esthen, Lappländern, Grönländern, Ost-<lb/> jaken und den poetischen Leistungen dieser Völker zu erzählen. Daß die bei<lb/> einer solchen Arbeit in Frage kommenden Studien, wenn sie anders gründlich<lb/> betrieben werden, höchst zeitraubend sind, wird kein Sachverständiger leugnen.<lb/> Und Gründlichkeit darf man doch wohl bei einem Manne voraussetzen, der<lb/> über einen Gelehrten von Herder's Verdiensten mit beneidenswerthem Selbst¬<lb/> gefühl also urtheilen kann: „Herder, der in seinen Untersuchungen über vorge¬<lb/> schichtliche Erscheinungen immer mehr den geistreichen Gebildeten als den gründ¬<lb/> lichen Sachkenner und Forscher verräth".**) Darf man einem solchen Manne<lb/> zumuthen, daß er seine kostbare Zeit damit verliere, unerquickliche Beschwerden</p><lb/> <note xml:id="FID_104" place="foot"> ") „Der Parallelism in der Dichtkunst" im Johannes-Album herausgegeben von Fr.<lb/> Müller, Bürgermeister zu Chemnitz. Zweiter Theil S. 70 ff.</note><lb/> <note xml:id="FID_105" place="foot" next="#FID_106"> -) a. a. O. S. 73. Freilich hat der „geistreiche Gebildete" Herder nicht so wundersame<lb/> Entdeckungen gemacht, wie der „gründliche Sachkenner und Forscher" v. Biedermann, der in<lb/> seinem Buche „Goethe und Leipzig (Th. 1 S. 28) die Bibel „von einer Quelle erzählen"<lb/> läßt, „welche dem Unschuldigen wohl bekommt, den Schuldigen aufblühe und bersten macht."<lb/> Dieser Fabel scheint eine dunkle Erinnerung an das Gesetz 4. Mos, 5, 12 — 31 zu Grunde<lb/> zu liegen, über welches sich Herr von Biedermann aus Schenkel's Bibellexikon (Art. Fluch¬<lb/> wasser) Belehrung erholen kann. Auch in Betreff der Behandlung seiner Muttersprache dürfte<lb/> es der so abfällig beurtheilte Herder recht wohl mit Herrn v. Biedermann aufnehmen, der</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0470]
wir mindestens in Bezug auf den Unterzeichner jenes Bescheids, Freiherrn
v. Biedermann, unbedenklich bejahen zu dürfen, wenn wir den Umfang und
die Vielseitigkeit seiner außerordentlichen Thätigkeit ins Auge fassen. Herr
v. Biedermann ist nämlich, wenn wir seinem Selbstzeugnisse Glauben schenken,
ein Sprachkenner und Literarhistoriker, der seines Gleichen sucht. Hören wir
ihn selbst: „Es mangelt noch an einer allgemeinen Darstellung der Formen
der Dichtkunst, wodurch das historische Vorkommen jeder der verschiedenen
Formen, die geographische Verbreitung derselben, die Mannichfaltigkeiten in
ihrem Auftreten und ihrer Ausbildung, sowie das Weichen der einen Form
vor der andern durch vergleichende Betrachtung in möglichst vollständigem
Umfange nachgewiesen wird. Ein solches ebenso für die allgemeine Cultur¬
geschichte wie für die Erkenntniß des geschichtlichen Begriffes der Dichtkunst
wichtiges Werk hat mir schon seit Jahren als verlockende Aufgabe vorge¬
schwebt und es liegt ein ziemlich reicher, von mir gesammelter
Stoff mit denDichtungen aus etwa 200 Sprachen undMund-
arten (ungerechnet die allein fast schon dreimal so stark ver¬
tretenen germanischen) vor mir, doch fehlte mir immer noch die Muße,
ohne welche das Ordnen und Gestalten desselben nicht möglich ist." Und
im weiteren Verlaufe des Aufsatzes, der durch diese Worte eingeleitet wird*),
weiß uns Herr v. Biedermann nicht nur von Römern und Griechen, sondern
auch von Juden, Aegyptern, Phöniciern, Syrern, Arabern, Persern, Arme¬
niern, Indern, Siamesen, Birmanen, Chinesen, Malaien, Mongolen, Mand-
schus, Kalmücken, Kirgisen, Finnen, Esthen, Lappländern, Grönländern, Ost-
jaken und den poetischen Leistungen dieser Völker zu erzählen. Daß die bei
einer solchen Arbeit in Frage kommenden Studien, wenn sie anders gründlich
betrieben werden, höchst zeitraubend sind, wird kein Sachverständiger leugnen.
Und Gründlichkeit darf man doch wohl bei einem Manne voraussetzen, der
über einen Gelehrten von Herder's Verdiensten mit beneidenswerthem Selbst¬
gefühl also urtheilen kann: „Herder, der in seinen Untersuchungen über vorge¬
schichtliche Erscheinungen immer mehr den geistreichen Gebildeten als den gründ¬
lichen Sachkenner und Forscher verräth".**) Darf man einem solchen Manne
zumuthen, daß er seine kostbare Zeit damit verliere, unerquickliche Beschwerden
") „Der Parallelism in der Dichtkunst" im Johannes-Album herausgegeben von Fr.
Müller, Bürgermeister zu Chemnitz. Zweiter Theil S. 70 ff.
-) a. a. O. S. 73. Freilich hat der „geistreiche Gebildete" Herder nicht so wundersame
Entdeckungen gemacht, wie der „gründliche Sachkenner und Forscher" v. Biedermann, der in
seinem Buche „Goethe und Leipzig (Th. 1 S. 28) die Bibel „von einer Quelle erzählen"
läßt, „welche dem Unschuldigen wohl bekommt, den Schuldigen aufblühe und bersten macht."
Dieser Fabel scheint eine dunkle Erinnerung an das Gesetz 4. Mos, 5, 12 — 31 zu Grunde
zu liegen, über welches sich Herr von Biedermann aus Schenkel's Bibellexikon (Art. Fluch¬
wasser) Belehrung erholen kann. Auch in Betreff der Behandlung seiner Muttersprache dürfte
es der so abfällig beurtheilte Herder recht wohl mit Herrn v. Biedermann aufnehmen, der
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