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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Coupe desselben Wagens mehrere Personen ein, von denen sich ein Mann in
höchst anstößiger Weise bemerklich machte. Als ihm sein unanständiges Be¬
nehmen gegen eine mitfahrende Dame von seinem Nachbar, einem älteren
Herrn, verwiesen wurde, wendete er sich voll Erbitterung gegen denselben,
drängte ihn in die Ecke und insultirte ihn während der ganzen übrigen Fahrt,
indem er u. a. äußerte: "Wenn Sie ein junger Kerl wären, hätte ich Sie
schon längst an die Wand geschmissen und Ihnen ein Paar in die -- ge¬
geben/' Da der alte Herr, der ihm oft mit Anzeige gedroht, offenbar aus
Furcht vor Thätlichkeiten sich nicht mehr zu rühren wagte, hielten meine
Reisegefährten und ich es für unsere Pflicht, uns desselben anzunehmen und
beschlossen, den Excedenten bei der Ankunft in Dresden arretiren zu lassen.
Sobald der Zug stand, setzte ich den Schaffner von unserm Vorhaben in
Kenntniß und bat ihn, uns einen Polizisten zu besorgen. Der Schaffner
sagte, daß er das betreffende Coupe' nicht öffnen werde und daß wir uns um
dasselbe stellen möchten, im Uebrigen verwies er mich an einen den Perron
daherkommenden, durch ein rothes Behänge kenntlichen Beamten. Während
ich mich an diesen wendete, öffneten die Insassen das betreffende Coupe' und
stiegen aus. Indeß einige meiner Freunde dem bewußten Excedenten möglichst
zur Seite blieben, sagte ich jenem Beamten, daß wir den vor uns gehenden
Mann, den ich ihm bezeichnete, verhaften zu lassen wünschten, und bat ihn
bei der Dringlichkeit der Sache um seinen Beistand und um Nachweisung
eines Polizisten. Indem er nicht die geringste Neigung zeigte, uns zu unter-
stützen, erwiderte er: "Sie wollen jemand arretiren lassen? Weswegen wollen
Sie ihn denn arretiren lassen?" Ich antwortete, daß ich Alles vertreten
würde und eine ganze Anzahl Zeugen für das unanständige Geocchren jenes
Mannes hatte, worauf er, ohne seine Schritte zu beschleunigen, versetzte: "Da
halten Sie ihn nur fest!" Da wir auf dem von vielen Menschen gefüllten
Perron das nicht wagen durften, ohne die ernstesten Conflicte für uns be¬
fürchten zu müssen, bat ich ihn wiederholt um seinen Beistand, erhielt aber
nur die Antwort: "Was geht das mich an? Da müssen Sie sich an den--
wenden." (Hier nannte er einen Beamten des Zuges, wenn ich nicht ganz
irre, den Zugführer, was. wie ich nachher erfuhr, er selbst war.) Er ging
dabei, mit anderen Leuten plaudernd, möglichst langsam den Perron entlang
und gab auf meine Vorstellungen barsche und nicht zur Sache gehörige Ant¬
worten, ja er hielt es nicht einmal der Mühe werth, mir zu sagen, wo ich
einen Gensdarmen finden könne. Nachdem ich vergeblich auf dem Perron
einen solchen gesucht, fand ich endlich einen Polizisten nahe der Treppe, wo
die Droschkenmarken ausgegeben werden, aber mittlerweile war es dem Exce¬
denten, dem meine Freunde im Gedränge nicht mehr zur Seite bleiben konnten,
gelungen, durch einen Nebenausgang zu entkommen. In unserer ganzen Ge-


Coupe desselben Wagens mehrere Personen ein, von denen sich ein Mann in
höchst anstößiger Weise bemerklich machte. Als ihm sein unanständiges Be¬
nehmen gegen eine mitfahrende Dame von seinem Nachbar, einem älteren
Herrn, verwiesen wurde, wendete er sich voll Erbitterung gegen denselben,
drängte ihn in die Ecke und insultirte ihn während der ganzen übrigen Fahrt,
indem er u. a. äußerte: „Wenn Sie ein junger Kerl wären, hätte ich Sie
schon längst an die Wand geschmissen und Ihnen ein Paar in die — ge¬
geben/' Da der alte Herr, der ihm oft mit Anzeige gedroht, offenbar aus
Furcht vor Thätlichkeiten sich nicht mehr zu rühren wagte, hielten meine
Reisegefährten und ich es für unsere Pflicht, uns desselben anzunehmen und
beschlossen, den Excedenten bei der Ankunft in Dresden arretiren zu lassen.
Sobald der Zug stand, setzte ich den Schaffner von unserm Vorhaben in
Kenntniß und bat ihn, uns einen Polizisten zu besorgen. Der Schaffner
sagte, daß er das betreffende Coupe' nicht öffnen werde und daß wir uns um
dasselbe stellen möchten, im Uebrigen verwies er mich an einen den Perron
daherkommenden, durch ein rothes Behänge kenntlichen Beamten. Während
ich mich an diesen wendete, öffneten die Insassen das betreffende Coupe' und
stiegen aus. Indeß einige meiner Freunde dem bewußten Excedenten möglichst
zur Seite blieben, sagte ich jenem Beamten, daß wir den vor uns gehenden
Mann, den ich ihm bezeichnete, verhaften zu lassen wünschten, und bat ihn
bei der Dringlichkeit der Sache um seinen Beistand und um Nachweisung
eines Polizisten. Indem er nicht die geringste Neigung zeigte, uns zu unter-
stützen, erwiderte er: „Sie wollen jemand arretiren lassen? Weswegen wollen
Sie ihn denn arretiren lassen?" Ich antwortete, daß ich Alles vertreten
würde und eine ganze Anzahl Zeugen für das unanständige Geocchren jenes
Mannes hatte, worauf er, ohne seine Schritte zu beschleunigen, versetzte: „Da
halten Sie ihn nur fest!" Da wir auf dem von vielen Menschen gefüllten
Perron das nicht wagen durften, ohne die ernstesten Conflicte für uns be¬
fürchten zu müssen, bat ich ihn wiederholt um seinen Beistand, erhielt aber
nur die Antwort: „Was geht das mich an? Da müssen Sie sich an den—
wenden." (Hier nannte er einen Beamten des Zuges, wenn ich nicht ganz
irre, den Zugführer, was. wie ich nachher erfuhr, er selbst war.) Er ging
dabei, mit anderen Leuten plaudernd, möglichst langsam den Perron entlang
und gab auf meine Vorstellungen barsche und nicht zur Sache gehörige Ant¬
worten, ja er hielt es nicht einmal der Mühe werth, mir zu sagen, wo ich
einen Gensdarmen finden könne. Nachdem ich vergeblich auf dem Perron
einen solchen gesucht, fand ich endlich einen Polizisten nahe der Treppe, wo
die Droschkenmarken ausgegeben werden, aber mittlerweile war es dem Exce¬
denten, dem meine Freunde im Gedränge nicht mehr zur Seite bleiben konnten,
gelungen, durch einen Nebenausgang zu entkommen. In unserer ganzen Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/460>, abgerufen am 27.07.2024.