Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.zu verwesende Broschüre, sondern ein Werk solider und massiver Gelehrsam¬ Doch das ist seine Wirkung auf das öffentliche Leben unserer Zeit. Zuerst ist darauf hinzuweisen, daß Droysen nicht eine preußische Geschichte, zu verwesende Broschüre, sondern ein Werk solider und massiver Gelehrsam¬ Doch das ist seine Wirkung auf das öffentliche Leben unserer Zeit. Zuerst ist darauf hinzuweisen, daß Droysen nicht eine preußische Geschichte, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0452" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132674"/> <p xml:id="ID_1319" prev="#ID_1318"> zu verwesende Broschüre, sondern ein Werk solider und massiver Gelehrsam¬<lb/> keit, nicht eine Frucht augenblicklicher Laune, sondern das Resultat langer<lb/> und mühsamer Studien. Die Geschichte unsrer nationalen Entwicklung in<lb/> den beiden letzten Jahrzehnten läßt sich nicht verstehen, wenn man von<lb/> Drossen's preußischer Politik absehen wollte!</p><lb/> <p xml:id="ID_1320"> Doch das ist seine Wirkung auf das öffentliche Leben unserer Zeit.<lb/> Prüfen wir seinen wissenschaftlichen Charakter.</p><lb/> <p xml:id="ID_1321" next="#ID_1322"> Zuerst ist darauf hinzuweisen, daß Droysen nicht eine preußische Geschichte,<lb/> sondern eine Geschichte der preußischen Politik schreibt, und in hervorragender<lb/> Ausdehnung nur die auswärtige Politik behandelt; ja wenn man genauer<lb/> hinsteht, beschränkt Droysen's Thema sich noch enger auf die deutsche Politik<lb/> Preußens: was der preußische Staat für die nationalen Aufgaben und Be¬<lb/> strebungen Deutschlands geleistet, das im Einzelnen hinzustellen und die ein¬<lb/> zelnen Thatsachen und Erscheinungen des historischen Lebens als Glieder einer<lb/> zusammenhängenden Kette, als Aeußerungen eines bleibend und einheitlich<lb/> gedachten nationalen Programms aufzuweisen ist die leitende Idee seiner Ar--<lb/> den. Große Mühe und viele Studien hat er aufgewendet, in der früheren<lb/> Geschichte bis 1640 die einzelnen Ansätze dieser Richtung aufzuspüren und<lb/> als solche zu beleuchten; dem Zeitraum, den man als die Vorgeschichte des<lb/> preußischen Staates verstehen und ansehen muß, hat er allein drei Bände<lb/> gewidmet. Das ist nicht nur ein Fehler der künstlerischen Composttion,<lb/> sondern auch ein Fehler des historischen Gedankens selbst: man kann nicht<lb/> von einer constanten traditionellen preußischen Politik reden für eine Epoche,<lb/> in der das noch gar nicht vorhanden ist, was man den preußischen Staat<lb/> nennt. Es wird bereitwillig zugegeben und gern anerkannt werden müssen,<lb/> daß diese ersten Bände Droysen's für die deutsche Geschichte des 15. Jahr¬<lb/> hunderts sehr schätzenswerthe Resultate enthalten oder doch den Studien über<lb/> dies Gebiet erfreuliche Anregungen bringen; auch für das 16. Jahrhundert<lb/> kann man manches aus Droysen lernen. Aber die preußische Geschichte gehen<lb/> diese Dinge nicht viel an; ja sie rufen sehr leicht und sehr oft eine falsche Auf¬<lb/> fassung der Thatsachen brandenburgischer Geschichte hervor. Das was später¬<lb/> hin den Brandenburgern eigenthümlich gewesen, wird hier in die frühere Zeit<lb/> hineingetragen: Personen und Ereignisse früherer Epochen erhalten ein Licht<lb/> über sich ausgegossen, das nichts anderes als der Reflex der späteren Dinge<lb/> ist. So wird eine objective und ruhige Erwägung die Glorificirung des<lb/> Kurfürsten Friedrich I. als eine einseitige Betrachtung auf ein anderes Ur¬<lb/> theil ermäßigen, die Bewunderung Albrecht Achilles' als ganz unmotivirt, die<lb/> Joachim I. beigelegte höhere Bedeutung als eine ungerechtfertigte Ueber¬<lb/> schätzung bezeichnen müssen: im Is. und 16. Jahrhundert spielt weder in der<lb/> deutschen noch in der allgemeinen Geschichte Brandenburg die Rolle, die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0452]
zu verwesende Broschüre, sondern ein Werk solider und massiver Gelehrsam¬
keit, nicht eine Frucht augenblicklicher Laune, sondern das Resultat langer
und mühsamer Studien. Die Geschichte unsrer nationalen Entwicklung in
den beiden letzten Jahrzehnten läßt sich nicht verstehen, wenn man von
Drossen's preußischer Politik absehen wollte!
Doch das ist seine Wirkung auf das öffentliche Leben unserer Zeit.
Prüfen wir seinen wissenschaftlichen Charakter.
Zuerst ist darauf hinzuweisen, daß Droysen nicht eine preußische Geschichte,
sondern eine Geschichte der preußischen Politik schreibt, und in hervorragender
Ausdehnung nur die auswärtige Politik behandelt; ja wenn man genauer
hinsteht, beschränkt Droysen's Thema sich noch enger auf die deutsche Politik
Preußens: was der preußische Staat für die nationalen Aufgaben und Be¬
strebungen Deutschlands geleistet, das im Einzelnen hinzustellen und die ein¬
zelnen Thatsachen und Erscheinungen des historischen Lebens als Glieder einer
zusammenhängenden Kette, als Aeußerungen eines bleibend und einheitlich
gedachten nationalen Programms aufzuweisen ist die leitende Idee seiner Ar--
den. Große Mühe und viele Studien hat er aufgewendet, in der früheren
Geschichte bis 1640 die einzelnen Ansätze dieser Richtung aufzuspüren und
als solche zu beleuchten; dem Zeitraum, den man als die Vorgeschichte des
preußischen Staates verstehen und ansehen muß, hat er allein drei Bände
gewidmet. Das ist nicht nur ein Fehler der künstlerischen Composttion,
sondern auch ein Fehler des historischen Gedankens selbst: man kann nicht
von einer constanten traditionellen preußischen Politik reden für eine Epoche,
in der das noch gar nicht vorhanden ist, was man den preußischen Staat
nennt. Es wird bereitwillig zugegeben und gern anerkannt werden müssen,
daß diese ersten Bände Droysen's für die deutsche Geschichte des 15. Jahr¬
hunderts sehr schätzenswerthe Resultate enthalten oder doch den Studien über
dies Gebiet erfreuliche Anregungen bringen; auch für das 16. Jahrhundert
kann man manches aus Droysen lernen. Aber die preußische Geschichte gehen
diese Dinge nicht viel an; ja sie rufen sehr leicht und sehr oft eine falsche Auf¬
fassung der Thatsachen brandenburgischer Geschichte hervor. Das was später¬
hin den Brandenburgern eigenthümlich gewesen, wird hier in die frühere Zeit
hineingetragen: Personen und Ereignisse früherer Epochen erhalten ein Licht
über sich ausgegossen, das nichts anderes als der Reflex der späteren Dinge
ist. So wird eine objective und ruhige Erwägung die Glorificirung des
Kurfürsten Friedrich I. als eine einseitige Betrachtung auf ein anderes Ur¬
theil ermäßigen, die Bewunderung Albrecht Achilles' als ganz unmotivirt, die
Joachim I. beigelegte höhere Bedeutung als eine ungerechtfertigte Ueber¬
schätzung bezeichnen müssen: im Is. und 16. Jahrhundert spielt weder in der
deutschen noch in der allgemeinen Geschichte Brandenburg die Rolle, die
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