Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Droysen ihm zuweist. In die letzten Jahre des 16. und in den Anfang des
17. Jahrhunderts erst fällt die aufdämmernde Ahnung einer neuen Zukunft
dieses Landes. Für den allgemeinen Standpunkt Droysen's wäre es besser
gewesen, wenn er nicht 3 Bände, sondern höchstens 300 Seiten dieser Vor¬
bereitung seines Hauptwerkes gewidmet.

Mit dem großen Kurfürsten beginnt der preußische Staat: eine spezifisch
preußische Politik ist erst durch ihn ins Leben gerufen. Bei diesem Abschnitt
erbreitert sich Droysen's Darstellung noch um ein bedeutendes. Sein bleibendes
Verdienst ruht in den Forschungen über das erste Jahrhundert der eigentlich
Preußischen Staatsgeschichte. Von 1640 bis 1740 reichen sechs Bände; die
Jahre 1740 -- 1742 umfaßt der jüngst erschienene Theil. Die Darstellung
des großen Kurfürsten in 3 Bänden ist eine monumentale Leistung. Mit
ausgedehntester Benutzung der gedruckten Literatur verbindet sich eine rastlos
unermüdliche Forschung in Archivalien. Sorgfältiges und eingehendes Detail¬
studium des Berliner Archives ist das charakteristische Merkmal Droysen's:
auf den Aktenstücken des preußischen Staatsarchives, auf den ächtesten unver¬
fälschtesten und sichersten Zeugnissen, welche die preußische Politik und Diplo¬
matie und Verwaltung von sich selbst hinterlassen, beruht alles, was wir in
diesen sieben Bänden lesen.

Es ist eine Arbeit hier angehäuft, die nicht leicht Jemand in dieser Weise
unternimmt und in diesem Umfange durchführt.

Droysen's Studium Hut sich im wesentlichen selbst die Beschränkung auf
das Berliner Archiv gesetzt; er zieht nicht fremde Archive zur Controle und
Ergänzung hinzu. Dies Verfahren, aber beruht auf freiem Entschlüsse des
Forschers; er folgt dabei einer festen Methode und einem eigenen kritischen
Gedanken. Droysen entwickelt vornämlich den Inhalt der preußischen Staats¬
papiere; er spiegelt in seinem Buche die Auffassung der Welt wieder, wie sie
den preußischen Staatsmännern während ihrer politischen Arbeit sich darge¬
stellt hat; er schildert die Wechselbeziehungen und Verflechtungen preußischer
mit österreichischen, französischen, englischen Dingen, aber er bleibt dabei ab.
hängig von der Auffassung, wie sie im Lauf der Geschäfte die preußischen
Politiker gehabt haben. Recht oft würden dieselben Dinge, von französischer
oder englischer oder österreichischer Seite aus angesehen, eine ganz andere
Farbe oder Gestalt annehmen. Gewiß ist es für den politischen Praktiker
ein unerläßliches Gesetz, nur von seinem Standpunkte aus die Ereignisse zu
sehen und zu beurtheilen; und auch dem Historiker mag es gestattet sein, auf
diesen Standpunkt eines bestimmten politischen Praktikers zu treten und mit
dessen Augen die politische Welt zu sehen. Der methodische Standpunkt
Droysen's ist als ein berechtigter sicher zuzugeben; die Geschichte eines mäch¬
tigen Staates oder einer kräftigen Nation zieht aus solchem Boden, der ihr


Grenzboten IV. 1S74. ö7

Droysen ihm zuweist. In die letzten Jahre des 16. und in den Anfang des
17. Jahrhunderts erst fällt die aufdämmernde Ahnung einer neuen Zukunft
dieses Landes. Für den allgemeinen Standpunkt Droysen's wäre es besser
gewesen, wenn er nicht 3 Bände, sondern höchstens 300 Seiten dieser Vor¬
bereitung seines Hauptwerkes gewidmet.

Mit dem großen Kurfürsten beginnt der preußische Staat: eine spezifisch
preußische Politik ist erst durch ihn ins Leben gerufen. Bei diesem Abschnitt
erbreitert sich Droysen's Darstellung noch um ein bedeutendes. Sein bleibendes
Verdienst ruht in den Forschungen über das erste Jahrhundert der eigentlich
Preußischen Staatsgeschichte. Von 1640 bis 1740 reichen sechs Bände; die
Jahre 1740 — 1742 umfaßt der jüngst erschienene Theil. Die Darstellung
des großen Kurfürsten in 3 Bänden ist eine monumentale Leistung. Mit
ausgedehntester Benutzung der gedruckten Literatur verbindet sich eine rastlos
unermüdliche Forschung in Archivalien. Sorgfältiges und eingehendes Detail¬
studium des Berliner Archives ist das charakteristische Merkmal Droysen's:
auf den Aktenstücken des preußischen Staatsarchives, auf den ächtesten unver¬
fälschtesten und sichersten Zeugnissen, welche die preußische Politik und Diplo¬
matie und Verwaltung von sich selbst hinterlassen, beruht alles, was wir in
diesen sieben Bänden lesen.

Es ist eine Arbeit hier angehäuft, die nicht leicht Jemand in dieser Weise
unternimmt und in diesem Umfange durchführt.

Droysen's Studium Hut sich im wesentlichen selbst die Beschränkung auf
das Berliner Archiv gesetzt; er zieht nicht fremde Archive zur Controle und
Ergänzung hinzu. Dies Verfahren, aber beruht auf freiem Entschlüsse des
Forschers; er folgt dabei einer festen Methode und einem eigenen kritischen
Gedanken. Droysen entwickelt vornämlich den Inhalt der preußischen Staats¬
papiere; er spiegelt in seinem Buche die Auffassung der Welt wieder, wie sie
den preußischen Staatsmännern während ihrer politischen Arbeit sich darge¬
stellt hat; er schildert die Wechselbeziehungen und Verflechtungen preußischer
mit österreichischen, französischen, englischen Dingen, aber er bleibt dabei ab.
hängig von der Auffassung, wie sie im Lauf der Geschäfte die preußischen
Politiker gehabt haben. Recht oft würden dieselben Dinge, von französischer
oder englischer oder österreichischer Seite aus angesehen, eine ganz andere
Farbe oder Gestalt annehmen. Gewiß ist es für den politischen Praktiker
ein unerläßliches Gesetz, nur von seinem Standpunkte aus die Ereignisse zu
sehen und zu beurtheilen; und auch dem Historiker mag es gestattet sein, auf
diesen Standpunkt eines bestimmten politischen Praktikers zu treten und mit
dessen Augen die politische Welt zu sehen. Der methodische Standpunkt
Droysen's ist als ein berechtigter sicher zuzugeben; die Geschichte eines mäch¬
tigen Staates oder einer kräftigen Nation zieht aus solchem Boden, der ihr


Grenzboten IV. 1S74. ö7
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0453" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132675"/>
          <p xml:id="ID_1322" prev="#ID_1321"> Droysen ihm zuweist. In die letzten Jahre des 16. und in den Anfang des<lb/>
17. Jahrhunderts erst fällt die aufdämmernde Ahnung einer neuen Zukunft<lb/>
dieses Landes. Für den allgemeinen Standpunkt Droysen's wäre es besser<lb/>
gewesen, wenn er nicht 3 Bände, sondern höchstens 300 Seiten dieser Vor¬<lb/>
bereitung seines Hauptwerkes gewidmet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1323"> Mit dem großen Kurfürsten beginnt der preußische Staat: eine spezifisch<lb/>
preußische Politik ist erst durch ihn ins Leben gerufen. Bei diesem Abschnitt<lb/>
erbreitert sich Droysen's Darstellung noch um ein bedeutendes. Sein bleibendes<lb/>
Verdienst ruht in den Forschungen über das erste Jahrhundert der eigentlich<lb/>
Preußischen Staatsgeschichte. Von 1640 bis 1740 reichen sechs Bände; die<lb/>
Jahre 1740 &#x2014; 1742 umfaßt der jüngst erschienene Theil. Die Darstellung<lb/>
des großen Kurfürsten in 3 Bänden ist eine monumentale Leistung. Mit<lb/>
ausgedehntester Benutzung der gedruckten Literatur verbindet sich eine rastlos<lb/>
unermüdliche Forschung in Archivalien. Sorgfältiges und eingehendes Detail¬<lb/>
studium des Berliner Archives ist das charakteristische Merkmal Droysen's:<lb/>
auf den Aktenstücken des preußischen Staatsarchives, auf den ächtesten unver¬<lb/>
fälschtesten und sichersten Zeugnissen, welche die preußische Politik und Diplo¬<lb/>
matie und Verwaltung von sich selbst hinterlassen, beruht alles, was wir in<lb/>
diesen sieben Bänden lesen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1324"> Es ist eine Arbeit hier angehäuft, die nicht leicht Jemand in dieser Weise<lb/>
unternimmt und in diesem Umfange durchführt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1325" next="#ID_1326"> Droysen's Studium Hut sich im wesentlichen selbst die Beschränkung auf<lb/>
das Berliner Archiv gesetzt; er zieht nicht fremde Archive zur Controle und<lb/>
Ergänzung hinzu. Dies Verfahren, aber beruht auf freiem Entschlüsse des<lb/>
Forschers; er folgt dabei einer festen Methode und einem eigenen kritischen<lb/>
Gedanken. Droysen entwickelt vornämlich den Inhalt der preußischen Staats¬<lb/>
papiere; er spiegelt in seinem Buche die Auffassung der Welt wieder, wie sie<lb/>
den preußischen Staatsmännern während ihrer politischen Arbeit sich darge¬<lb/>
stellt hat; er schildert die Wechselbeziehungen und Verflechtungen preußischer<lb/>
mit österreichischen, französischen, englischen Dingen, aber er bleibt dabei ab.<lb/>
hängig von der Auffassung, wie sie im Lauf der Geschäfte die preußischen<lb/>
Politiker gehabt haben. Recht oft würden dieselben Dinge, von französischer<lb/>
oder englischer oder österreichischer Seite aus angesehen, eine ganz andere<lb/>
Farbe oder Gestalt annehmen. Gewiß ist es für den politischen Praktiker<lb/>
ein unerläßliches Gesetz, nur von seinem Standpunkte aus die Ereignisse zu<lb/>
sehen und zu beurtheilen; und auch dem Historiker mag es gestattet sein, auf<lb/>
diesen Standpunkt eines bestimmten politischen Praktikers zu treten und mit<lb/>
dessen Augen die politische Welt zu sehen. Der methodische Standpunkt<lb/>
Droysen's ist als ein berechtigter sicher zuzugeben; die Geschichte eines mäch¬<lb/>
tigen Staates oder einer kräftigen Nation zieht aus solchem Boden, der ihr</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1S74. ö7</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0453] Droysen ihm zuweist. In die letzten Jahre des 16. und in den Anfang des 17. Jahrhunderts erst fällt die aufdämmernde Ahnung einer neuen Zukunft dieses Landes. Für den allgemeinen Standpunkt Droysen's wäre es besser gewesen, wenn er nicht 3 Bände, sondern höchstens 300 Seiten dieser Vor¬ bereitung seines Hauptwerkes gewidmet. Mit dem großen Kurfürsten beginnt der preußische Staat: eine spezifisch preußische Politik ist erst durch ihn ins Leben gerufen. Bei diesem Abschnitt erbreitert sich Droysen's Darstellung noch um ein bedeutendes. Sein bleibendes Verdienst ruht in den Forschungen über das erste Jahrhundert der eigentlich Preußischen Staatsgeschichte. Von 1640 bis 1740 reichen sechs Bände; die Jahre 1740 — 1742 umfaßt der jüngst erschienene Theil. Die Darstellung des großen Kurfürsten in 3 Bänden ist eine monumentale Leistung. Mit ausgedehntester Benutzung der gedruckten Literatur verbindet sich eine rastlos unermüdliche Forschung in Archivalien. Sorgfältiges und eingehendes Detail¬ studium des Berliner Archives ist das charakteristische Merkmal Droysen's: auf den Aktenstücken des preußischen Staatsarchives, auf den ächtesten unver¬ fälschtesten und sichersten Zeugnissen, welche die preußische Politik und Diplo¬ matie und Verwaltung von sich selbst hinterlassen, beruht alles, was wir in diesen sieben Bänden lesen. Es ist eine Arbeit hier angehäuft, die nicht leicht Jemand in dieser Weise unternimmt und in diesem Umfange durchführt. Droysen's Studium Hut sich im wesentlichen selbst die Beschränkung auf das Berliner Archiv gesetzt; er zieht nicht fremde Archive zur Controle und Ergänzung hinzu. Dies Verfahren, aber beruht auf freiem Entschlüsse des Forschers; er folgt dabei einer festen Methode und einem eigenen kritischen Gedanken. Droysen entwickelt vornämlich den Inhalt der preußischen Staats¬ papiere; er spiegelt in seinem Buche die Auffassung der Welt wieder, wie sie den preußischen Staatsmännern während ihrer politischen Arbeit sich darge¬ stellt hat; er schildert die Wechselbeziehungen und Verflechtungen preußischer mit österreichischen, französischen, englischen Dingen, aber er bleibt dabei ab. hängig von der Auffassung, wie sie im Lauf der Geschäfte die preußischen Politiker gehabt haben. Recht oft würden dieselben Dinge, von französischer oder englischer oder österreichischer Seite aus angesehen, eine ganz andere Farbe oder Gestalt annehmen. Gewiß ist es für den politischen Praktiker ein unerläßliches Gesetz, nur von seinem Standpunkte aus die Ereignisse zu sehen und zu beurtheilen; und auch dem Historiker mag es gestattet sein, auf diesen Standpunkt eines bestimmten politischen Praktikers zu treten und mit dessen Augen die politische Welt zu sehen. Der methodische Standpunkt Droysen's ist als ein berechtigter sicher zuzugeben; die Geschichte eines mäch¬ tigen Staates oder einer kräftigen Nation zieht aus solchem Boden, der ihr Grenzboten IV. 1S74. ö7

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/453
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/453>, abgerufen am 28.07.2024.