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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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ein paar Seiten drängt sich die ganze Geschichte bis 1688 zusammen; selbst
König Friedrich Wilhelm I. wird mehr beurtheilt als dargestellt: was so oft
bei Ranke unbequem ist, -- seine offenkundige Abneigung bekanntes zu er¬
zählen, oft erzähltes zu wiederholen, -- das stört hier in ganz besonderer
Weise den Leser; hier wird viel, ja zu viel als bekannt vorausgesetzt; und
die Darstellung erhält dadurch etwas zerrissenes, unfertiges, fragmentarisches;
es rächt sich selbst bei Ranke, wenn er ausschließlich für die Kenner preußischer
Geschichte zu schreiben wagt.

Immerhin war hier der Zusammenhang preußischer und deutscher Ge¬
schichte in einer neuen Weise gezeigt, es waren die charakteristischen Momente
Preußischer Entwicklung mit sicherem Griffe aus der Masse der Thatsachen
hervorgeholt, es war das persönliche Verhältniß und die innere Bedeutung
der drei großen Regierungen des großen Kurfürsten, Friedrich Wilhelm's I.
und Friedrich's II. mit festen Zügen gezeichnet: der eigentliche Inhalt, die
historische Idee dieser preußischen Geschichte war aufgedeckt. Es galt dies
neue Licht weiterhin auf alle Theile der Geschichte zu werfen, die Skizze
Ranke's zu einem das ganze Leben..wiedergebenden Bilde auszuführen.

Wie gesagt, als das Buch erschien, verhielt man meistens ihm gegenüber
sich ablehnend. Ranke's kühle und vornehme Zurückhaltung, seine unbefangene
Anerkennung des Königthums mußten damals ihn als Gegner der Wünsche
des Jahres 1848 darstellen. Ohne großen Eindruck von dem Werke empfan¬
gen zu haben ging die öffentliche Meinung an ihm vorüber.

Die Hoffnungen, welche deutsche und preußische Patrioten damals 1848
und 1849 über die deutsche und preußische Zukunft gehegt, waren bald zer¬
ronnen: die liberalen und nationalen Parteien hatten ihr Ziel nicht erreicht.
Entmuthigung und Abspannung bemächtigte sich dann der Geister. Aber
grade in der Zeit des heftigsten politischen Katzenjammers der nationalen
Partei, grade in der traurigsten Periode politischer Erbärmlichkeit in Preußen,
'w Jahre 1855 trat Einer der Vorkämpfer unserer nationalen Wünsche und
Hoffnungen von 1848 mit einem groß und gewaltig angelegten historischen
Werke über Preußen auf, das wie eine historische Rechtfertigung aller ge¬
hegten Ideale und wie ein prophetisches Trostwort auf eine bessere Zukunft
aussah, wir meinen die Geschichte der preußischen Politik von
I- G. Droysen. Von den Anfängen der Mark, von den Ahnherren des
Zollernschen Hauses an unternimmt dieser Autor es die deutsche Politik
Brandenburg-Preußens nachzuweisen: was 1848 die Frankfurter Kaiserpartei
erstrebt, wurde als das traditionelle Programm preußischer Geschichte und
preußischer Politik gezeigt. Eine Erfrischung gesunkener Hoffnungen, eine
Belebung ersterbender Wünsche wurde hier den Vaterlandsfreunden darge¬
reicht. Und es war nicht ein politisches Pamphlet, nicht eine leichte, schnell


ein paar Seiten drängt sich die ganze Geschichte bis 1688 zusammen; selbst
König Friedrich Wilhelm I. wird mehr beurtheilt als dargestellt: was so oft
bei Ranke unbequem ist, — seine offenkundige Abneigung bekanntes zu er¬
zählen, oft erzähltes zu wiederholen, — das stört hier in ganz besonderer
Weise den Leser; hier wird viel, ja zu viel als bekannt vorausgesetzt; und
die Darstellung erhält dadurch etwas zerrissenes, unfertiges, fragmentarisches;
es rächt sich selbst bei Ranke, wenn er ausschließlich für die Kenner preußischer
Geschichte zu schreiben wagt.

Immerhin war hier der Zusammenhang preußischer und deutscher Ge¬
schichte in einer neuen Weise gezeigt, es waren die charakteristischen Momente
Preußischer Entwicklung mit sicherem Griffe aus der Masse der Thatsachen
hervorgeholt, es war das persönliche Verhältniß und die innere Bedeutung
der drei großen Regierungen des großen Kurfürsten, Friedrich Wilhelm's I.
und Friedrich's II. mit festen Zügen gezeichnet: der eigentliche Inhalt, die
historische Idee dieser preußischen Geschichte war aufgedeckt. Es galt dies
neue Licht weiterhin auf alle Theile der Geschichte zu werfen, die Skizze
Ranke's zu einem das ganze Leben..wiedergebenden Bilde auszuführen.

Wie gesagt, als das Buch erschien, verhielt man meistens ihm gegenüber
sich ablehnend. Ranke's kühle und vornehme Zurückhaltung, seine unbefangene
Anerkennung des Königthums mußten damals ihn als Gegner der Wünsche
des Jahres 1848 darstellen. Ohne großen Eindruck von dem Werke empfan¬
gen zu haben ging die öffentliche Meinung an ihm vorüber.

Die Hoffnungen, welche deutsche und preußische Patrioten damals 1848
und 1849 über die deutsche und preußische Zukunft gehegt, waren bald zer¬
ronnen: die liberalen und nationalen Parteien hatten ihr Ziel nicht erreicht.
Entmuthigung und Abspannung bemächtigte sich dann der Geister. Aber
grade in der Zeit des heftigsten politischen Katzenjammers der nationalen
Partei, grade in der traurigsten Periode politischer Erbärmlichkeit in Preußen,
'w Jahre 1855 trat Einer der Vorkämpfer unserer nationalen Wünsche und
Hoffnungen von 1848 mit einem groß und gewaltig angelegten historischen
Werke über Preußen auf, das wie eine historische Rechtfertigung aller ge¬
hegten Ideale und wie ein prophetisches Trostwort auf eine bessere Zukunft
aussah, wir meinen die Geschichte der preußischen Politik von
I- G. Droysen. Von den Anfängen der Mark, von den Ahnherren des
Zollernschen Hauses an unternimmt dieser Autor es die deutsche Politik
Brandenburg-Preußens nachzuweisen: was 1848 die Frankfurter Kaiserpartei
erstrebt, wurde als das traditionelle Programm preußischer Geschichte und
preußischer Politik gezeigt. Eine Erfrischung gesunkener Hoffnungen, eine
Belebung ersterbender Wünsche wurde hier den Vaterlandsfreunden darge¬
reicht. Und es war nicht ein politisches Pamphlet, nicht eine leichte, schnell


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[0451] ein paar Seiten drängt sich die ganze Geschichte bis 1688 zusammen; selbst König Friedrich Wilhelm I. wird mehr beurtheilt als dargestellt: was so oft bei Ranke unbequem ist, — seine offenkundige Abneigung bekanntes zu er¬ zählen, oft erzähltes zu wiederholen, — das stört hier in ganz besonderer Weise den Leser; hier wird viel, ja zu viel als bekannt vorausgesetzt; und die Darstellung erhält dadurch etwas zerrissenes, unfertiges, fragmentarisches; es rächt sich selbst bei Ranke, wenn er ausschließlich für die Kenner preußischer Geschichte zu schreiben wagt. Immerhin war hier der Zusammenhang preußischer und deutscher Ge¬ schichte in einer neuen Weise gezeigt, es waren die charakteristischen Momente Preußischer Entwicklung mit sicherem Griffe aus der Masse der Thatsachen hervorgeholt, es war das persönliche Verhältniß und die innere Bedeutung der drei großen Regierungen des großen Kurfürsten, Friedrich Wilhelm's I. und Friedrich's II. mit festen Zügen gezeichnet: der eigentliche Inhalt, die historische Idee dieser preußischen Geschichte war aufgedeckt. Es galt dies neue Licht weiterhin auf alle Theile der Geschichte zu werfen, die Skizze Ranke's zu einem das ganze Leben..wiedergebenden Bilde auszuführen. Wie gesagt, als das Buch erschien, verhielt man meistens ihm gegenüber sich ablehnend. Ranke's kühle und vornehme Zurückhaltung, seine unbefangene Anerkennung des Königthums mußten damals ihn als Gegner der Wünsche des Jahres 1848 darstellen. Ohne großen Eindruck von dem Werke empfan¬ gen zu haben ging die öffentliche Meinung an ihm vorüber. Die Hoffnungen, welche deutsche und preußische Patrioten damals 1848 und 1849 über die deutsche und preußische Zukunft gehegt, waren bald zer¬ ronnen: die liberalen und nationalen Parteien hatten ihr Ziel nicht erreicht. Entmuthigung und Abspannung bemächtigte sich dann der Geister. Aber grade in der Zeit des heftigsten politischen Katzenjammers der nationalen Partei, grade in der traurigsten Periode politischer Erbärmlichkeit in Preußen, 'w Jahre 1855 trat Einer der Vorkämpfer unserer nationalen Wünsche und Hoffnungen von 1848 mit einem groß und gewaltig angelegten historischen Werke über Preußen auf, das wie eine historische Rechtfertigung aller ge¬ hegten Ideale und wie ein prophetisches Trostwort auf eine bessere Zukunft aussah, wir meinen die Geschichte der preußischen Politik von I- G. Droysen. Von den Anfängen der Mark, von den Ahnherren des Zollernschen Hauses an unternimmt dieser Autor es die deutsche Politik Brandenburg-Preußens nachzuweisen: was 1848 die Frankfurter Kaiserpartei erstrebt, wurde als das traditionelle Programm preußischer Geschichte und preußischer Politik gezeigt. Eine Erfrischung gesunkener Hoffnungen, eine Belebung ersterbender Wünsche wurde hier den Vaterlandsfreunden darge¬ reicht. Und es war nicht ein politisches Pamphlet, nicht eine leichte, schnell

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/451>, abgerufen am 28.07.2024.