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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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gelangt, widmete er nun den vaterländischen Dingen seine Bemühungen:
1847 und 1848 erschienen seine "Neun Bücher Preußischer Geschichte."

Die Aufnahme epochemachender historischer Werke durch das Publikum,
dem sie zuerst zugehen, läßt sich häufig ganz anders an, als die Werth¬
schätzung, der dieselben Werke nachher zu begegnen gewohnt werden. Wer
die ersten kritischen Aeußerungen über die großen Geschichtswerke Ranke's
einmal durchmustert, wird in ihnen auf staunenswerthe Sätze stoßen: man
würde vielleicht das Urtheil wagen dürfen, daß erst das letzte Jahrzehnt an¬
gefangen, Ranke's Bedeutung annähernd richtig zu würdigen, ja daß sogar
heute eine volle und ganze Werthschätzung seiner großartigen Werke erst bet
wenigen Personen sich vorfindet. Damals war man an die Albernheiten
Rotteck's und die drastischen Aeußerungen historischen Unverstandes, mit welchen
Schlosser die Welt erfreuete. noch allzusehr gewohnt, als daß man sich durch
Ranke's objectives historisches Wesen befriedigt gefühlt hätte. Ueber seine
preußische" Geschichte war man ziemlich einig im Urtheile -- eine bestellte
"Hofhistoriographie" (Ranke war zum preußischen Historiographen ernannt
worden), eine "schönfärbende Künstelei" betitelten die einsichtigeren und sach¬
verständigen Kritiker sein Werk: es bedarf kaum einer längeren Ausführung,
wie die Stimmen der gewöhnlichen Publicistik ihn mitnahmen! Ueber das
letztere darf man sich doch nicht allzusehr wundern. Ranke's Buch fällt ja
gerade in eine Zeit, in welcher die gebildete Welt, unbefriedigt und geärgert
durch die politischen Experimente des preußischen Königs Friedrich Wilhelm's IV.,
jenes Fürsten, dem der mildeste historische Beurthetler nicht viel angenehmes
wird nachrühmen können, zu nichts weniger gestimmt war als zu einer vor-
urtheilsfreien Anerkennung des preußischen Königthumes. Unbeirrt von
dieser Strömung der Tagesmeinung, setzte Ranke in lichtvoller, alle Seiten
des historischen Lebens beleuchtender Erörterung die fundamentalen Leistungen
der preußischen Könige auseinander: scharf und blank kam bei ihm die That¬
sache zum Ausdruck, daß der preußische Staat eine Schöpfung seiner Könige
ist, ein Urtheil, das heute nur die bodenloseste Unwissenheit noch bestreiten
könnte, das damals zuerst von Ranke in so bestimmter Weise und in so
weitem Umfang aufgestellt wurde. Ranke hatte dann die Anfänge Friedrich's II.
in ihrer so blendenden Virtuosität aus neuem Stoffe mit neuen Thatsachen
gemalt, in einer Zeichnung, die wohl 'kaum viele Verbesserungen noch er¬
warten dürste.

Es hieße Wasser ins Meer schöpfen, wenn man heute die Forschung
Ranke's als eine wissenschaftliche erst besonders preisen wollte. Damals
flüchtete sich der Aerger über seine Resultate hinter die Bemängelung seiner
Studien als ungründlich und eilig gleichsam allein aä Koe gemachter. Aller¬
dings bei allem Licht bietet uns seine preußische Geschichte auch Schatten. Auf


gelangt, widmete er nun den vaterländischen Dingen seine Bemühungen:
1847 und 1848 erschienen seine „Neun Bücher Preußischer Geschichte."

Die Aufnahme epochemachender historischer Werke durch das Publikum,
dem sie zuerst zugehen, läßt sich häufig ganz anders an, als die Werth¬
schätzung, der dieselben Werke nachher zu begegnen gewohnt werden. Wer
die ersten kritischen Aeußerungen über die großen Geschichtswerke Ranke's
einmal durchmustert, wird in ihnen auf staunenswerthe Sätze stoßen: man
würde vielleicht das Urtheil wagen dürfen, daß erst das letzte Jahrzehnt an¬
gefangen, Ranke's Bedeutung annähernd richtig zu würdigen, ja daß sogar
heute eine volle und ganze Werthschätzung seiner großartigen Werke erst bet
wenigen Personen sich vorfindet. Damals war man an die Albernheiten
Rotteck's und die drastischen Aeußerungen historischen Unverstandes, mit welchen
Schlosser die Welt erfreuete. noch allzusehr gewohnt, als daß man sich durch
Ranke's objectives historisches Wesen befriedigt gefühlt hätte. Ueber seine
preußische" Geschichte war man ziemlich einig im Urtheile — eine bestellte
„Hofhistoriographie" (Ranke war zum preußischen Historiographen ernannt
worden), eine „schönfärbende Künstelei" betitelten die einsichtigeren und sach¬
verständigen Kritiker sein Werk: es bedarf kaum einer längeren Ausführung,
wie die Stimmen der gewöhnlichen Publicistik ihn mitnahmen! Ueber das
letztere darf man sich doch nicht allzusehr wundern. Ranke's Buch fällt ja
gerade in eine Zeit, in welcher die gebildete Welt, unbefriedigt und geärgert
durch die politischen Experimente des preußischen Königs Friedrich Wilhelm's IV.,
jenes Fürsten, dem der mildeste historische Beurthetler nicht viel angenehmes
wird nachrühmen können, zu nichts weniger gestimmt war als zu einer vor-
urtheilsfreien Anerkennung des preußischen Königthumes. Unbeirrt von
dieser Strömung der Tagesmeinung, setzte Ranke in lichtvoller, alle Seiten
des historischen Lebens beleuchtender Erörterung die fundamentalen Leistungen
der preußischen Könige auseinander: scharf und blank kam bei ihm die That¬
sache zum Ausdruck, daß der preußische Staat eine Schöpfung seiner Könige
ist, ein Urtheil, das heute nur die bodenloseste Unwissenheit noch bestreiten
könnte, das damals zuerst von Ranke in so bestimmter Weise und in so
weitem Umfang aufgestellt wurde. Ranke hatte dann die Anfänge Friedrich's II.
in ihrer so blendenden Virtuosität aus neuem Stoffe mit neuen Thatsachen
gemalt, in einer Zeichnung, die wohl 'kaum viele Verbesserungen noch er¬
warten dürste.

Es hieße Wasser ins Meer schöpfen, wenn man heute die Forschung
Ranke's als eine wissenschaftliche erst besonders preisen wollte. Damals
flüchtete sich der Aerger über seine Resultate hinter die Bemängelung seiner
Studien als ungründlich und eilig gleichsam allein aä Koe gemachter. Aller¬
dings bei allem Licht bietet uns seine preußische Geschichte auch Schatten. Auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/450>, abgerufen am 28.07.2024.