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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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historischen Wissenschaften ein. Auf dem Gebiete, das wir betrachten, ent¬
stand daraus die sehr interessante historisch-politische Kritik, welche der Fran¬
zose Mirabeau, einer der Führer der neuen Tendenzen, über den preußischen
Staat geschrieben: anregende und fruchtbare Discussionen rief dergleichen na¬
türlich hervor.

Seitdem konnte man nicht wohl mehr bei der hergebrachten Regenten-
und Volksgeschichte sich begnügen; man empfand das Verlangen die ma߬
gebenden politischen Faktoren der preußischen Geschichte zu begreifen; und
eine von politischem Geiste eingegebene Geschichte des preußischen Staates war
und blieb nun ein Thema, das vor, während und nach den Freiheitskriegen
manche Geister reizen mußte. Dieser preußische Staat, der damals Deutschland
aus fremdem Joche errettet, dem die Deutschgesinnten ihre Blicke immer
intensiver zuwandten, war eine Erscheinung, mit der die neue politische
Doctrin sich in irgend einer Weise abfinden mußte: in manchen Stücken sah
sie in ihm verwandtes, andererseits aber auch manches, was sie abstoßen und
zurückschrecken mußte; -- von den verschiedenen Seiten, die der Betrachtung
sich boten, galt es seine Geschichte zu verstehen oder zu studiren. Das natio¬
nale und patriotische Gefühl steigerte das Interesse an der Aufgabe; -- und
doch ist trotz vieler Anläufe diese Aufgabe damals nicht gelöst worden.

Wir wissen, daß Friedrich's II. Minister Herzberg sich mit der Absicht
einer Geschichte getragen. Es ist bekannt, daß der gefeiertste Historiker seiner
Zeit, Johannes von Müller ein großes Werk dieser Art zu schreiben,
nach Berlin berufen war: aus seiner nachmals gehaltenen Rede über Friedrich II.
schöpfen wir das Gefühl dankbarer Befriedigung darüber, daß er nicht damit
zu Stande gekommen. Dagegen bedauern wir es auf das Lebhafteste, daß
der Schöpfer unserer kritischen Geschichtsforschung, B. G. Niebuhr seinen
Gedanken einer Preußischen Geschichte nicht ausgeführt hat: er wäre der Mann
für diese Sache gewesen! Der Anstoß, den er ernsten und eindringenden
Studien gegeben , wirkte natürlich auch auf diesem Felde förderlich weiter;
kritische und grundlegende Forschungen wurden unternommen: man braucht
nur an die Namen von W. von Raumer, Klöden. Lancizolle,
Riedel u. A. zu erinnern, um die Bedeutung und die Resultate vieler mono¬
graphischer Untersuchungen und vieler archivalischer Forschungen hervorzuheben.
Daneben hatten auch in Berlin die Professoren Rühs, Stuhr, Siegfried
Hirsch, in Königsberg Schubert die Absicht, preußische Gesammtgeschichten
zu schreiben; von allen aber sind nur Fragmente fertig geworden sehr.ver¬
schiedenen Werthes. In den Jahrzehnten nach den Freiheitskriegen ist
Manches ernstlich gemeinte Buch über einzelne Abschnitte preußischer Geschichte
zu Stande gekommen; es ist durch energischen Sammlerfleiß für die ältere
Zeit das urkundliche Material zusammengetragen; es sind auch einzelne


historischen Wissenschaften ein. Auf dem Gebiete, das wir betrachten, ent¬
stand daraus die sehr interessante historisch-politische Kritik, welche der Fran¬
zose Mirabeau, einer der Führer der neuen Tendenzen, über den preußischen
Staat geschrieben: anregende und fruchtbare Discussionen rief dergleichen na¬
türlich hervor.

Seitdem konnte man nicht wohl mehr bei der hergebrachten Regenten-
und Volksgeschichte sich begnügen; man empfand das Verlangen die ma߬
gebenden politischen Faktoren der preußischen Geschichte zu begreifen; und
eine von politischem Geiste eingegebene Geschichte des preußischen Staates war
und blieb nun ein Thema, das vor, während und nach den Freiheitskriegen
manche Geister reizen mußte. Dieser preußische Staat, der damals Deutschland
aus fremdem Joche errettet, dem die Deutschgesinnten ihre Blicke immer
intensiver zuwandten, war eine Erscheinung, mit der die neue politische
Doctrin sich in irgend einer Weise abfinden mußte: in manchen Stücken sah
sie in ihm verwandtes, andererseits aber auch manches, was sie abstoßen und
zurückschrecken mußte; — von den verschiedenen Seiten, die der Betrachtung
sich boten, galt es seine Geschichte zu verstehen oder zu studiren. Das natio¬
nale und patriotische Gefühl steigerte das Interesse an der Aufgabe; — und
doch ist trotz vieler Anläufe diese Aufgabe damals nicht gelöst worden.

Wir wissen, daß Friedrich's II. Minister Herzberg sich mit der Absicht
einer Geschichte getragen. Es ist bekannt, daß der gefeiertste Historiker seiner
Zeit, Johannes von Müller ein großes Werk dieser Art zu schreiben,
nach Berlin berufen war: aus seiner nachmals gehaltenen Rede über Friedrich II.
schöpfen wir das Gefühl dankbarer Befriedigung darüber, daß er nicht damit
zu Stande gekommen. Dagegen bedauern wir es auf das Lebhafteste, daß
der Schöpfer unserer kritischen Geschichtsforschung, B. G. Niebuhr seinen
Gedanken einer Preußischen Geschichte nicht ausgeführt hat: er wäre der Mann
für diese Sache gewesen! Der Anstoß, den er ernsten und eindringenden
Studien gegeben , wirkte natürlich auch auf diesem Felde förderlich weiter;
kritische und grundlegende Forschungen wurden unternommen: man braucht
nur an die Namen von W. von Raumer, Klöden. Lancizolle,
Riedel u. A. zu erinnern, um die Bedeutung und die Resultate vieler mono¬
graphischer Untersuchungen und vieler archivalischer Forschungen hervorzuheben.
Daneben hatten auch in Berlin die Professoren Rühs, Stuhr, Siegfried
Hirsch, in Königsberg Schubert die Absicht, preußische Gesammtgeschichten
zu schreiben; von allen aber sind nur Fragmente fertig geworden sehr.ver¬
schiedenen Werthes. In den Jahrzehnten nach den Freiheitskriegen ist
Manches ernstlich gemeinte Buch über einzelne Abschnitte preußischer Geschichte
zu Stande gekommen; es ist durch energischen Sammlerfleiß für die ältere
Zeit das urkundliche Material zusammengetragen; es sind auch einzelne


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[0447] historischen Wissenschaften ein. Auf dem Gebiete, das wir betrachten, ent¬ stand daraus die sehr interessante historisch-politische Kritik, welche der Fran¬ zose Mirabeau, einer der Führer der neuen Tendenzen, über den preußischen Staat geschrieben: anregende und fruchtbare Discussionen rief dergleichen na¬ türlich hervor. Seitdem konnte man nicht wohl mehr bei der hergebrachten Regenten- und Volksgeschichte sich begnügen; man empfand das Verlangen die ma߬ gebenden politischen Faktoren der preußischen Geschichte zu begreifen; und eine von politischem Geiste eingegebene Geschichte des preußischen Staates war und blieb nun ein Thema, das vor, während und nach den Freiheitskriegen manche Geister reizen mußte. Dieser preußische Staat, der damals Deutschland aus fremdem Joche errettet, dem die Deutschgesinnten ihre Blicke immer intensiver zuwandten, war eine Erscheinung, mit der die neue politische Doctrin sich in irgend einer Weise abfinden mußte: in manchen Stücken sah sie in ihm verwandtes, andererseits aber auch manches, was sie abstoßen und zurückschrecken mußte; — von den verschiedenen Seiten, die der Betrachtung sich boten, galt es seine Geschichte zu verstehen oder zu studiren. Das natio¬ nale und patriotische Gefühl steigerte das Interesse an der Aufgabe; — und doch ist trotz vieler Anläufe diese Aufgabe damals nicht gelöst worden. Wir wissen, daß Friedrich's II. Minister Herzberg sich mit der Absicht einer Geschichte getragen. Es ist bekannt, daß der gefeiertste Historiker seiner Zeit, Johannes von Müller ein großes Werk dieser Art zu schreiben, nach Berlin berufen war: aus seiner nachmals gehaltenen Rede über Friedrich II. schöpfen wir das Gefühl dankbarer Befriedigung darüber, daß er nicht damit zu Stande gekommen. Dagegen bedauern wir es auf das Lebhafteste, daß der Schöpfer unserer kritischen Geschichtsforschung, B. G. Niebuhr seinen Gedanken einer Preußischen Geschichte nicht ausgeführt hat: er wäre der Mann für diese Sache gewesen! Der Anstoß, den er ernsten und eindringenden Studien gegeben , wirkte natürlich auch auf diesem Felde förderlich weiter; kritische und grundlegende Forschungen wurden unternommen: man braucht nur an die Namen von W. von Raumer, Klöden. Lancizolle, Riedel u. A. zu erinnern, um die Bedeutung und die Resultate vieler mono¬ graphischer Untersuchungen und vieler archivalischer Forschungen hervorzuheben. Daneben hatten auch in Berlin die Professoren Rühs, Stuhr, Siegfried Hirsch, in Königsberg Schubert die Absicht, preußische Gesammtgeschichten zu schreiben; von allen aber sind nur Fragmente fertig geworden sehr.ver¬ schiedenen Werthes. In den Jahrzehnten nach den Freiheitskriegen ist Manches ernstlich gemeinte Buch über einzelne Abschnitte preußischer Geschichte zu Stande gekommen; es ist durch energischen Sammlerfleiß für die ältere Zeit das urkundliche Material zusammengetragen; es sind auch einzelne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/447>, abgerufen am 27.07.2024.