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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Partien schon mit historisch-politischem Geiste behandelt. Wir geben hier kein
Verzeichnis) solcher Monographien.

Nur zwei merkwürdige Erscheinungen jener Tage mag es gestattet sein,
kurz zu berühren. Der feudale Publicist Adam Müller unterwarf den
modernen Charakter, den schon Friedrich II. der preußischen Staatsgeschichte
aufgeprägt, einer scharfen Kritik, während Manso, der liberal gesinnte
Historiker sich vorgenommen, nach der Katastrophe von 1807 den Niedergang
des preußischen Staates durch historische Darlegung zu erklären. Die beste
Kritik des Buches von Manso haben die Ereignisse geliefert: das Jahr 1813
strafte den Historiker Lügen, der 1807 als den nothwendigen Ausgang seiner
Geschichte in Aussicht genommen; und so stehen hier Anfang und Ende des
Geschichtswerkes in seltsamem Widerspruche zu einander. Nur wer in die
Endziele unserer Geschichtsentwickelung ein unerschütterliches Vertrauen ge¬
wonnen, war im Stande sür eine preußische GesamMtgeschichte die richtige
Tonart zu wählen.

Unvollendet geblieben sind die Werke von Lanci zolle's (1828) und
Helwing's (1833), beide Kinder ernsten und eindringenden kritischen
Studiums, beide etwas schwerfällig gearbeitet, für größere Kreise nicht an¬
ziehend, aber dem wissenschaftlichen Studium preußischer Geschichte lohnend
und gewinnreich. Helwing hat dabei auch die inneren Verhältnisse ernsthaft
genommen, die so leicht der Tummelplatz oberflächlicher Behauptungen und
tendenziöser Phrasen zu sein pflegen. Mit Unrecht sind die genannten beiden
Bücher durch das Werk von Stenzel in den Hintergrund gedrängt worden.

Wie das große Unternehmen des Buchhändlers Perrhes, die Sammlung
europäischer Staatengeschichten überhaupt, so ist auch die Preußische Geschichte
Stenzel's für das Bedürfniß des größeren Lesepublikum bestimmt und be¬
rechnet. Von 1830 bis 18S4 sind fünf Bände fertig geworden, welche bis
1763 reichen. Die einzelnen Theile sind sehr ungleichen Werthes: anfangs
kaum mehr als eine Compilation aus fremden Arbeiten, beruht das spätere
aus eigenen selbständigen Studien. Der erste Band erzählt synchronistisch die
Geschichte der einzelnen Theile der späteren preußischen Monarchie, "ein Potpourri
pommerscher, schlesischer, preußischer und polnischer und Gott weiß! noch
welcher Provinzialgeschichten." Stenzel folgt dem offenbar unrichtigen Ge¬
danken, die Geschichten aller derjenigen Länder, die nachher den preußischen
Staat gebildet haben, nebeneinander zu erzählen, statt aus der Geschichte der
Mark Brandenburg den brandenburgisch-preußischen Staat zu entwickeln. So
hoch man auch immer das anschlagen mag. was Preußen und die Rheinlande
und noch später Schlesien für das Ganze des Staates geworden sind, es bleibt
doch eine schiefe Ausfassung, wenn nicht von vornherein festgehalten wird, daß
Wiege und Fundament unseres Staates Brandenburg gewesen ist. Wer aber


Partien schon mit historisch-politischem Geiste behandelt. Wir geben hier kein
Verzeichnis) solcher Monographien.

Nur zwei merkwürdige Erscheinungen jener Tage mag es gestattet sein,
kurz zu berühren. Der feudale Publicist Adam Müller unterwarf den
modernen Charakter, den schon Friedrich II. der preußischen Staatsgeschichte
aufgeprägt, einer scharfen Kritik, während Manso, der liberal gesinnte
Historiker sich vorgenommen, nach der Katastrophe von 1807 den Niedergang
des preußischen Staates durch historische Darlegung zu erklären. Die beste
Kritik des Buches von Manso haben die Ereignisse geliefert: das Jahr 1813
strafte den Historiker Lügen, der 1807 als den nothwendigen Ausgang seiner
Geschichte in Aussicht genommen; und so stehen hier Anfang und Ende des
Geschichtswerkes in seltsamem Widerspruche zu einander. Nur wer in die
Endziele unserer Geschichtsentwickelung ein unerschütterliches Vertrauen ge¬
wonnen, war im Stande sür eine preußische GesamMtgeschichte die richtige
Tonart zu wählen.

Unvollendet geblieben sind die Werke von Lanci zolle's (1828) und
Helwing's (1833), beide Kinder ernsten und eindringenden kritischen
Studiums, beide etwas schwerfällig gearbeitet, für größere Kreise nicht an¬
ziehend, aber dem wissenschaftlichen Studium preußischer Geschichte lohnend
und gewinnreich. Helwing hat dabei auch die inneren Verhältnisse ernsthaft
genommen, die so leicht der Tummelplatz oberflächlicher Behauptungen und
tendenziöser Phrasen zu sein pflegen. Mit Unrecht sind die genannten beiden
Bücher durch das Werk von Stenzel in den Hintergrund gedrängt worden.

Wie das große Unternehmen des Buchhändlers Perrhes, die Sammlung
europäischer Staatengeschichten überhaupt, so ist auch die Preußische Geschichte
Stenzel's für das Bedürfniß des größeren Lesepublikum bestimmt und be¬
rechnet. Von 1830 bis 18S4 sind fünf Bände fertig geworden, welche bis
1763 reichen. Die einzelnen Theile sind sehr ungleichen Werthes: anfangs
kaum mehr als eine Compilation aus fremden Arbeiten, beruht das spätere
aus eigenen selbständigen Studien. Der erste Band erzählt synchronistisch die
Geschichte der einzelnen Theile der späteren preußischen Monarchie, „ein Potpourri
pommerscher, schlesischer, preußischer und polnischer und Gott weiß! noch
welcher Provinzialgeschichten." Stenzel folgt dem offenbar unrichtigen Ge¬
danken, die Geschichten aller derjenigen Länder, die nachher den preußischen
Staat gebildet haben, nebeneinander zu erzählen, statt aus der Geschichte der
Mark Brandenburg den brandenburgisch-preußischen Staat zu entwickeln. So
hoch man auch immer das anschlagen mag. was Preußen und die Rheinlande
und noch später Schlesien für das Ganze des Staates geworden sind, es bleibt
doch eine schiefe Ausfassung, wenn nicht von vornherein festgehalten wird, daß
Wiege und Fundament unseres Staates Brandenburg gewesen ist. Wer aber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/448>, abgerufen am 28.07.2024.