Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

dive Phantasie der Reporter die Rubrik "Vermischtes" in den Zeitungen
schmückt. -- Die Oeffentlichkeit der Voruntersuchung kann bis zu einem ge¬
wissen Grade auch in dem präparatorischen Verfahren des Untersuchungsrichters,
heiße er nun wie er wolle, ihre Stelle finden. Aber wie sie hier gefordert
wird, ist sie ein Ausfluß der Gestaltung des Strafverfahrens zum Partei¬
prozeß, welche der deutschen Bildung und sittlichen Anschauung wohl nimmer
wird annehmbar gemacht werden können.

Die Commission zur Vorberathung der drei Justizgesetze steht vor einem
großen und schweren Werk. Bei der Vervollkommnung des Vorschlages zur
theilweise einheitlichen Gerichtsverfassung, wie er aus dem Bundesrath her¬
vorgegangen, steht die Commission vorzugsweise politischen Schwierigkeiten
gegenüber, welche sie Hoffnung haben darf, durch die begeisterte Zustimmung
des Reichstags zur Schaffung eines wahren, gleichartigen, deutschen Richter¬
standes zu überwinden. Bei der Strafprozeßordnung steht die Commission
nicht dem particularistischen Widerstreben gegenüber, an ihrer Seite den un¬
widerstehlichen Bundesgenossen des Nationaldranges nach einem großen und
edlen Rechtsleben, sondern sie steht vor einem Problem, über welches die
öffentliche Meinung der Laien und Juristen noch in zahlreichen ungelösten
Widersprüchen befangen ist. Es wird sehr schwer sein, hier bereits etwas
Vollkommenes zu schaffen, in dem Sinne, wie menschliche Werke allerdings
vollkommen sein können und sollen, so nämlich, daß die künftige Verbesserung
eine organische Fortentwickelung des ursprünglichen Werkes darstellt. Es steht
sehr zu befürchten, das eine inconsequente, widerspruchsvolle Bildung zu Tage
tritt. Es wäre vielleicht am Besten, man schlösse sich so eng als möglich an
das mangelhafte Bestehende an, weil, wenn doch nur Mangelhaftes zu er¬
reichen ist, gewohnte Mängel besser sind als neue. ,

Bei der Civilprozeßordnung dagegen steht die Commission nach der fast
übereinstimmenden Meinung auch des Reichstages einem bereits nahezu voll¬
endeten Werk gegenüber. Hier hat sie eine verhältnißmäßig leichte Aufgabe,
die ihr neben den beiden schweren Aufgaben zu gönnen und nöthig ist. Der
Entwurf der Civilprozeßordnung ruht bekanntlich auf dem System der Münd¬
lichkeit und auf der Durchbildung des Verfahrens zum Parteiprozeß, welche
bei dem Civilprozeß ebenso naturgemäß, als bei dem Strafprozeß dem Wesen
des Strafrechts widersprechend ist. Wir stimmen demnach nicht mit dem¬
jenigen Abgeordneten überein, welcher die Frage aufwarf, welcher von den
drei bisher in Deutschland vorherrschenden Prvzeßgestalten bei der Grund¬
legung für eine deutsche Civilprozeßordnung den Vorzug verdient habe. Er
entschied sich für die Hannöversche Prozeßordnung, weil sie in der Durch¬
führung der Mündlichkeit und des Parteiprozesses das moderne Princip der
Selbstthätigkeit der Bürger zur Geltung bringe.


dive Phantasie der Reporter die Rubrik „Vermischtes" in den Zeitungen
schmückt. — Die Oeffentlichkeit der Voruntersuchung kann bis zu einem ge¬
wissen Grade auch in dem präparatorischen Verfahren des Untersuchungsrichters,
heiße er nun wie er wolle, ihre Stelle finden. Aber wie sie hier gefordert
wird, ist sie ein Ausfluß der Gestaltung des Strafverfahrens zum Partei¬
prozeß, welche der deutschen Bildung und sittlichen Anschauung wohl nimmer
wird annehmbar gemacht werden können.

Die Commission zur Vorberathung der drei Justizgesetze steht vor einem
großen und schweren Werk. Bei der Vervollkommnung des Vorschlages zur
theilweise einheitlichen Gerichtsverfassung, wie er aus dem Bundesrath her¬
vorgegangen, steht die Commission vorzugsweise politischen Schwierigkeiten
gegenüber, welche sie Hoffnung haben darf, durch die begeisterte Zustimmung
des Reichstags zur Schaffung eines wahren, gleichartigen, deutschen Richter¬
standes zu überwinden. Bei der Strafprozeßordnung steht die Commission
nicht dem particularistischen Widerstreben gegenüber, an ihrer Seite den un¬
widerstehlichen Bundesgenossen des Nationaldranges nach einem großen und
edlen Rechtsleben, sondern sie steht vor einem Problem, über welches die
öffentliche Meinung der Laien und Juristen noch in zahlreichen ungelösten
Widersprüchen befangen ist. Es wird sehr schwer sein, hier bereits etwas
Vollkommenes zu schaffen, in dem Sinne, wie menschliche Werke allerdings
vollkommen sein können und sollen, so nämlich, daß die künftige Verbesserung
eine organische Fortentwickelung des ursprünglichen Werkes darstellt. Es steht
sehr zu befürchten, das eine inconsequente, widerspruchsvolle Bildung zu Tage
tritt. Es wäre vielleicht am Besten, man schlösse sich so eng als möglich an
das mangelhafte Bestehende an, weil, wenn doch nur Mangelhaftes zu er¬
reichen ist, gewohnte Mängel besser sind als neue. ,

Bei der Civilprozeßordnung dagegen steht die Commission nach der fast
übereinstimmenden Meinung auch des Reichstages einem bereits nahezu voll¬
endeten Werk gegenüber. Hier hat sie eine verhältnißmäßig leichte Aufgabe,
die ihr neben den beiden schweren Aufgaben zu gönnen und nöthig ist. Der
Entwurf der Civilprozeßordnung ruht bekanntlich auf dem System der Münd¬
lichkeit und auf der Durchbildung des Verfahrens zum Parteiprozeß, welche
bei dem Civilprozeß ebenso naturgemäß, als bei dem Strafprozeß dem Wesen
des Strafrechts widersprechend ist. Wir stimmen demnach nicht mit dem¬
jenigen Abgeordneten überein, welcher die Frage aufwarf, welcher von den
drei bisher in Deutschland vorherrschenden Prvzeßgestalten bei der Grund¬
legung für eine deutsche Civilprozeßordnung den Vorzug verdient habe. Er
entschied sich für die Hannöversche Prozeßordnung, weil sie in der Durch¬
führung der Mündlichkeit und des Parteiprozesses das moderne Princip der
Selbstthätigkeit der Bürger zur Geltung bringe.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0438" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132660"/>
          <p xml:id="ID_1274" prev="#ID_1273"> dive Phantasie der Reporter die Rubrik &#x201E;Vermischtes" in den Zeitungen<lb/>
schmückt. &#x2014; Die Oeffentlichkeit der Voruntersuchung kann bis zu einem ge¬<lb/>
wissen Grade auch in dem präparatorischen Verfahren des Untersuchungsrichters,<lb/>
heiße er nun wie er wolle, ihre Stelle finden. Aber wie sie hier gefordert<lb/>
wird, ist sie ein Ausfluß der Gestaltung des Strafverfahrens zum Partei¬<lb/>
prozeß, welche der deutschen Bildung und sittlichen Anschauung wohl nimmer<lb/>
wird annehmbar gemacht werden können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1275"> Die Commission zur Vorberathung der drei Justizgesetze steht vor einem<lb/>
großen und schweren Werk. Bei der Vervollkommnung des Vorschlages zur<lb/>
theilweise einheitlichen Gerichtsverfassung, wie er aus dem Bundesrath her¬<lb/>
vorgegangen, steht die Commission vorzugsweise politischen Schwierigkeiten<lb/>
gegenüber, welche sie Hoffnung haben darf, durch die begeisterte Zustimmung<lb/>
des Reichstags zur Schaffung eines wahren, gleichartigen, deutschen Richter¬<lb/>
standes zu überwinden. Bei der Strafprozeßordnung steht die Commission<lb/>
nicht dem particularistischen Widerstreben gegenüber, an ihrer Seite den un¬<lb/>
widerstehlichen Bundesgenossen des Nationaldranges nach einem großen und<lb/>
edlen Rechtsleben, sondern sie steht vor einem Problem, über welches die<lb/>
öffentliche Meinung der Laien und Juristen noch in zahlreichen ungelösten<lb/>
Widersprüchen befangen ist. Es wird sehr schwer sein, hier bereits etwas<lb/>
Vollkommenes zu schaffen, in dem Sinne, wie menschliche Werke allerdings<lb/>
vollkommen sein können und sollen, so nämlich, daß die künftige Verbesserung<lb/>
eine organische Fortentwickelung des ursprünglichen Werkes darstellt. Es steht<lb/>
sehr zu befürchten, das eine inconsequente, widerspruchsvolle Bildung zu Tage<lb/>
tritt. Es wäre vielleicht am Besten, man schlösse sich so eng als möglich an<lb/>
das mangelhafte Bestehende an, weil, wenn doch nur Mangelhaftes zu er¬<lb/>
reichen ist, gewohnte Mängel besser sind als neue. ,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1276"> Bei der Civilprozeßordnung dagegen steht die Commission nach der fast<lb/>
übereinstimmenden Meinung auch des Reichstages einem bereits nahezu voll¬<lb/>
endeten Werk gegenüber. Hier hat sie eine verhältnißmäßig leichte Aufgabe,<lb/>
die ihr neben den beiden schweren Aufgaben zu gönnen und nöthig ist. Der<lb/>
Entwurf der Civilprozeßordnung ruht bekanntlich auf dem System der Münd¬<lb/>
lichkeit und auf der Durchbildung des Verfahrens zum Parteiprozeß, welche<lb/>
bei dem Civilprozeß ebenso naturgemäß, als bei dem Strafprozeß dem Wesen<lb/>
des Strafrechts widersprechend ist. Wir stimmen demnach nicht mit dem¬<lb/>
jenigen Abgeordneten überein, welcher die Frage aufwarf, welcher von den<lb/>
drei bisher in Deutschland vorherrschenden Prvzeßgestalten bei der Grund¬<lb/>
legung für eine deutsche Civilprozeßordnung den Vorzug verdient habe. Er<lb/>
entschied sich für die Hannöversche Prozeßordnung, weil sie in der Durch¬<lb/>
führung der Mündlichkeit und des Parteiprozesses das moderne Princip der<lb/>
Selbstthätigkeit der Bürger zur Geltung bringe.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0438] dive Phantasie der Reporter die Rubrik „Vermischtes" in den Zeitungen schmückt. — Die Oeffentlichkeit der Voruntersuchung kann bis zu einem ge¬ wissen Grade auch in dem präparatorischen Verfahren des Untersuchungsrichters, heiße er nun wie er wolle, ihre Stelle finden. Aber wie sie hier gefordert wird, ist sie ein Ausfluß der Gestaltung des Strafverfahrens zum Partei¬ prozeß, welche der deutschen Bildung und sittlichen Anschauung wohl nimmer wird annehmbar gemacht werden können. Die Commission zur Vorberathung der drei Justizgesetze steht vor einem großen und schweren Werk. Bei der Vervollkommnung des Vorschlages zur theilweise einheitlichen Gerichtsverfassung, wie er aus dem Bundesrath her¬ vorgegangen, steht die Commission vorzugsweise politischen Schwierigkeiten gegenüber, welche sie Hoffnung haben darf, durch die begeisterte Zustimmung des Reichstags zur Schaffung eines wahren, gleichartigen, deutschen Richter¬ standes zu überwinden. Bei der Strafprozeßordnung steht die Commission nicht dem particularistischen Widerstreben gegenüber, an ihrer Seite den un¬ widerstehlichen Bundesgenossen des Nationaldranges nach einem großen und edlen Rechtsleben, sondern sie steht vor einem Problem, über welches die öffentliche Meinung der Laien und Juristen noch in zahlreichen ungelösten Widersprüchen befangen ist. Es wird sehr schwer sein, hier bereits etwas Vollkommenes zu schaffen, in dem Sinne, wie menschliche Werke allerdings vollkommen sein können und sollen, so nämlich, daß die künftige Verbesserung eine organische Fortentwickelung des ursprünglichen Werkes darstellt. Es steht sehr zu befürchten, das eine inconsequente, widerspruchsvolle Bildung zu Tage tritt. Es wäre vielleicht am Besten, man schlösse sich so eng als möglich an das mangelhafte Bestehende an, weil, wenn doch nur Mangelhaftes zu er¬ reichen ist, gewohnte Mängel besser sind als neue. , Bei der Civilprozeßordnung dagegen steht die Commission nach der fast übereinstimmenden Meinung auch des Reichstages einem bereits nahezu voll¬ endeten Werk gegenüber. Hier hat sie eine verhältnißmäßig leichte Aufgabe, die ihr neben den beiden schweren Aufgaben zu gönnen und nöthig ist. Der Entwurf der Civilprozeßordnung ruht bekanntlich auf dem System der Münd¬ lichkeit und auf der Durchbildung des Verfahrens zum Parteiprozeß, welche bei dem Civilprozeß ebenso naturgemäß, als bei dem Strafprozeß dem Wesen des Strafrechts widersprechend ist. Wir stimmen demnach nicht mit dem¬ jenigen Abgeordneten überein, welcher die Frage aufwarf, welcher von den drei bisher in Deutschland vorherrschenden Prvzeßgestalten bei der Grund¬ legung für eine deutsche Civilprozeßordnung den Vorzug verdient habe. Er entschied sich für die Hannöversche Prozeßordnung, weil sie in der Durch¬ führung der Mündlichkeit und des Parteiprozesses das moderne Princip der Selbstthätigkeit der Bürger zur Geltung bringe.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/438
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/438>, abgerufen am 01.09.2024.