Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.zeßordnung von dem Vorwurf der Anglomanie nicht freizusprechen. Der Die tiefen Gedanken der Gneist'schen Schrift, die aber, weil sie gleichwohl Grenzboten IV. 1874. 65
zeßordnung von dem Vorwurf der Anglomanie nicht freizusprechen. Der Die tiefen Gedanken der Gneist'schen Schrift, die aber, weil sie gleichwohl Grenzboten IV. 1874. 65
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0437" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132659"/> <p xml:id="ID_1272" prev="#ID_1271"> zeßordnung von dem Vorwurf der Anglomanie nicht freizusprechen. Der<lb/> englische Strafprozeß ist eine in sich durchaus consequente Rechtsbildung, ent¬<lb/> spricht aber einer niedrigen Stufe des sittlichen Lebens. Ihn zur Nachahmung<lb/> empfehlen, ist gerade, als wollte man uns das Bildungsgesetz der chinesischen<lb/> Sprache empfehlen (? d. Red.), einer Sprache, welche mit wunderbarer Consequenz<lb/> und Sicherheit, bei dem elementarsten Stande der Sprachform die Aus¬<lb/> drucksmittel für ein entwickeltes Vorstellungssystem hervorbringt. Es ist<lb/> sicherlich Anglomanie, wenn man ein einzelnes Formgebilde von dort zum<lb/> Muster nimmt, anstatt die große Triebfeder des staatlichen Bildungsweges<lb/> selbst zu erkennen und auf die höheren Bildungsbedingungen unseres Bodens<lb/> zu übertragen. Der englische Strafprozeß ist ein beredtes Beispiel unter an¬<lb/> deren, daß in England oftmals der staatsrechtliche Gedanke auf dem eigensten<lb/> Gebiet des Staats nicht, wie er sollte, den privatrechtlichen Gedanken ge¬<lb/> schlagen hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_1273" next="#ID_1274"> Die tiefen Gedanken der Gneist'schen Schrift, die aber, weil sie gleichwohl<lb/> nicht die erschöpfenden Prämissen ausmachen, in den Conclufionen nur zu<lb/> glänzenden Irrthümern geführt, haben den Geist Laster's gänzlich unterwor¬<lb/> fen. Namentlich hat ihm die geforderte Oeffentlichkeit der Voruntersuchung<lb/> eingeleuchtet, und im Reichstag exemplificirte er sogar, um diese Oeffentlichkeit<lb/> zu empfehlen, auf den Prozeß Arnim, ohne den Namen zu nennen. Die<lb/> Oeffentlichkeit der Voruntersuchung ist aber ein leerer Name, so lange man die<lb/> technische Gestaltung derselben nicht in bestimmten Zügen vor Augen hat.<lb/> Will man bloß, daß der Anklagebeschluß in einem öffentlichen, die einzelnen<lb/> Resultate der Untersuchung zusammenfassenden Verfahren festgestellt werde,<lb/> so wird wenig dagegen zu sagen sein. Soll aber jeder einzelne Akt von dem<lb/> ersten Verdachtsmomente an ein öffentlicher sein, so ist es sonderbar, auf den<lb/> Fall Arnim zu exemplificiren. Sollte etwa der Beschluß der Verhaftung und<lb/> Haussuchung in öffentlicher Gerichtssitzung unter Verlesung der Denunziation<lb/> gefaßt werden! Wir möchten wissen, in welchem Fall es dann gelingen sollte,<lb/> die Spuren entwendeter Urkunden oder beabsichtigten Mißbrauchs derselben<lb/> aufzufinden. Gneist nimmt bei Empfehlung der öffentlichen Voruntersuchung<lb/> seine Betspiele lediglich aus der Kategorie der gemeinen und schweren Ver¬<lb/> brechen, wo die Untersuchung das gesammte, nicht der Verbrecherwelt ange-<lb/> hörige Publikum zum natürlichen Bundesgenossen hat oder haben sollte.<lb/> Aber selbst der deutsche Reichstag, der für Laster's Wort soviel Aufmerksam¬<lb/> keit hat, vernahm Ausrufe des Erstaunens und der Befremdung aus allen<lb/> Reihen, als der Redner die ungeheuerliche Behauptung aussprach: die eng¬<lb/> lische Criminaljusttz sei die prompteste bei den gebildeten Völkern. Wahr-<lb/> scheinlich hat der Redner die märchenhaften Erzählungen von den Wunder,<lb/> thaten englischer Detectives für pure Wahrheit gehalten, womit die produc-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1874. 65</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0437]
zeßordnung von dem Vorwurf der Anglomanie nicht freizusprechen. Der
englische Strafprozeß ist eine in sich durchaus consequente Rechtsbildung, ent¬
spricht aber einer niedrigen Stufe des sittlichen Lebens. Ihn zur Nachahmung
empfehlen, ist gerade, als wollte man uns das Bildungsgesetz der chinesischen
Sprache empfehlen (? d. Red.), einer Sprache, welche mit wunderbarer Consequenz
und Sicherheit, bei dem elementarsten Stande der Sprachform die Aus¬
drucksmittel für ein entwickeltes Vorstellungssystem hervorbringt. Es ist
sicherlich Anglomanie, wenn man ein einzelnes Formgebilde von dort zum
Muster nimmt, anstatt die große Triebfeder des staatlichen Bildungsweges
selbst zu erkennen und auf die höheren Bildungsbedingungen unseres Bodens
zu übertragen. Der englische Strafprozeß ist ein beredtes Beispiel unter an¬
deren, daß in England oftmals der staatsrechtliche Gedanke auf dem eigensten
Gebiet des Staats nicht, wie er sollte, den privatrechtlichen Gedanken ge¬
schlagen hat.
Die tiefen Gedanken der Gneist'schen Schrift, die aber, weil sie gleichwohl
nicht die erschöpfenden Prämissen ausmachen, in den Conclufionen nur zu
glänzenden Irrthümern geführt, haben den Geist Laster's gänzlich unterwor¬
fen. Namentlich hat ihm die geforderte Oeffentlichkeit der Voruntersuchung
eingeleuchtet, und im Reichstag exemplificirte er sogar, um diese Oeffentlichkeit
zu empfehlen, auf den Prozeß Arnim, ohne den Namen zu nennen. Die
Oeffentlichkeit der Voruntersuchung ist aber ein leerer Name, so lange man die
technische Gestaltung derselben nicht in bestimmten Zügen vor Augen hat.
Will man bloß, daß der Anklagebeschluß in einem öffentlichen, die einzelnen
Resultate der Untersuchung zusammenfassenden Verfahren festgestellt werde,
so wird wenig dagegen zu sagen sein. Soll aber jeder einzelne Akt von dem
ersten Verdachtsmomente an ein öffentlicher sein, so ist es sonderbar, auf den
Fall Arnim zu exemplificiren. Sollte etwa der Beschluß der Verhaftung und
Haussuchung in öffentlicher Gerichtssitzung unter Verlesung der Denunziation
gefaßt werden! Wir möchten wissen, in welchem Fall es dann gelingen sollte,
die Spuren entwendeter Urkunden oder beabsichtigten Mißbrauchs derselben
aufzufinden. Gneist nimmt bei Empfehlung der öffentlichen Voruntersuchung
seine Betspiele lediglich aus der Kategorie der gemeinen und schweren Ver¬
brechen, wo die Untersuchung das gesammte, nicht der Verbrecherwelt ange-
hörige Publikum zum natürlichen Bundesgenossen hat oder haben sollte.
Aber selbst der deutsche Reichstag, der für Laster's Wort soviel Aufmerksam¬
keit hat, vernahm Ausrufe des Erstaunens und der Befremdung aus allen
Reihen, als der Redner die ungeheuerliche Behauptung aussprach: die eng¬
lische Criminaljusttz sei die prompteste bei den gebildeten Völkern. Wahr-
scheinlich hat der Redner die märchenhaften Erzählungen von den Wunder,
thaten englischer Detectives für pure Wahrheit gehalten, womit die produc-
Grenzboten IV. 1874. 65
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |