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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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auch nach keiner Seite hin eine entschiedene Blöße bot. Sehr entrüstet waren
über das Rundschreiben dagegen die Legitimisten, denen Broglie in seiner
doppelgängigen Weise vor der Abstimmung über das Gesetz nach ihrer, von
der andern Seite jedoch bestrittenen Behauptung erklärt haben sollte, daß das
Septennat kein Dogma sei. Vollkommen befriedigt sprachen sich, ihrer allge¬
meinen Haltung gegenüber dem Septennat entsprechend, nur die Orleanisten
aus, die Broglie Alles verziehen, so lange sie ihn als ihr Werkzeug glaubten
ansehen zu können. Einen noch bedeutendem Eindruck machte es, daß Mac
Mahon selbst in einer Unterredung mit dem Präsidenten des Handelstribunals
in Paris seine Verwunderung darüber aussprach, daß man in Betreff der
Stabilität der Regierung sich Befürchtungen hingeben könne und dann hinzu¬
fügte: die Nationalversammlung hat mir die Executivgewalt auf 7 Jahre
anvertraut und als Chef der vollziehenden Gewalt werde ich während dieses
Zeitraums dafür Sorge tragen, daß dieser Beschluß der Nationalversammlung
aufrecht erhalten wird.

Das war ein stolzes Wort. Die Parteien fühlten, daß sie sich einen Ge¬
bieter gegeben hatten, daß die Gewalt von dem rechtmäßigen Souverän auf
den Delegirten der Nationalversammlung übergegangen war. Das war
eine Thatsache, mit der jede Partei, die nicht wie die Legitimisten, ausschlie߬
lich den Eingebungen des Verdrusses und der Leidenschaft folgte, rechnen
mußten. Selbst die Bonapartisten, wie sehr mit ihren Hoffnungen auch ihr
Hochmuth gewachsen war, sahen ein, daß ihr Vortheil es erheischte, sich mit
dem Septennat auf möglichst guten Fuß zu stellen, trotz Broglie und den
Orleanisten, die jede Gelegenheit benutzten, um mit ihrem Mac-Mahonismus
Staat zu machen. Ein bonapartistisches Provincialblatt, das sich unehrer¬
bietig' über das gegenwärtige System ausgesprochen hatte, erhielt von Rouher
eine Zuschrift, in welcher der Führer der Bonapartisten erklärte, man müsse
das Septennat respectiren, denn dasselbe sei der Ausdruck des Willens der
Nation und lasse doch die Zukunft offen. Zu bedauern sei nur, daß Mac
Mahon in seiner Unparteilichkeit nicht besser gegen kleinliche Intrigue ge¬
schützt werde. Das Septennat sei ein Waffenstillstand und dürfe von der
Partei nicht als eine Art von Schirm gemißbraucht werden, hinter den man
sich erst versteckt, um ehrgeizige Pläne zu schmieden. Eine directe Berufung
an den Willen der Nation sei erforderlich, um alles durch den Aufstand vom
4. September 1870 herbeigeführte Unheil wieder gut zu machen. Wenn der
Tag dieser Berufung gekommen sei, werde sich zeigen, daß es nur zwei Formen
für die Regierung Frankreichs gebe: die Republik oder das Kaiserthum.

Diese Erklärung für das Septennat war allerdings außerordentlich ver-
elausulirt, aber sie enthielt doch immer eine Anerkennung, die für Mac
Mahon sehr werthvoll war, namentlich auch deshalb, weil selbst ein bedingter


auch nach keiner Seite hin eine entschiedene Blöße bot. Sehr entrüstet waren
über das Rundschreiben dagegen die Legitimisten, denen Broglie in seiner
doppelgängigen Weise vor der Abstimmung über das Gesetz nach ihrer, von
der andern Seite jedoch bestrittenen Behauptung erklärt haben sollte, daß das
Septennat kein Dogma sei. Vollkommen befriedigt sprachen sich, ihrer allge¬
meinen Haltung gegenüber dem Septennat entsprechend, nur die Orleanisten
aus, die Broglie Alles verziehen, so lange sie ihn als ihr Werkzeug glaubten
ansehen zu können. Einen noch bedeutendem Eindruck machte es, daß Mac
Mahon selbst in einer Unterredung mit dem Präsidenten des Handelstribunals
in Paris seine Verwunderung darüber aussprach, daß man in Betreff der
Stabilität der Regierung sich Befürchtungen hingeben könne und dann hinzu¬
fügte: die Nationalversammlung hat mir die Executivgewalt auf 7 Jahre
anvertraut und als Chef der vollziehenden Gewalt werde ich während dieses
Zeitraums dafür Sorge tragen, daß dieser Beschluß der Nationalversammlung
aufrecht erhalten wird.

Das war ein stolzes Wort. Die Parteien fühlten, daß sie sich einen Ge¬
bieter gegeben hatten, daß die Gewalt von dem rechtmäßigen Souverän auf
den Delegirten der Nationalversammlung übergegangen war. Das war
eine Thatsache, mit der jede Partei, die nicht wie die Legitimisten, ausschlie߬
lich den Eingebungen des Verdrusses und der Leidenschaft folgte, rechnen
mußten. Selbst die Bonapartisten, wie sehr mit ihren Hoffnungen auch ihr
Hochmuth gewachsen war, sahen ein, daß ihr Vortheil es erheischte, sich mit
dem Septennat auf möglichst guten Fuß zu stellen, trotz Broglie und den
Orleanisten, die jede Gelegenheit benutzten, um mit ihrem Mac-Mahonismus
Staat zu machen. Ein bonapartistisches Provincialblatt, das sich unehrer¬
bietig' über das gegenwärtige System ausgesprochen hatte, erhielt von Rouher
eine Zuschrift, in welcher der Führer der Bonapartisten erklärte, man müsse
das Septennat respectiren, denn dasselbe sei der Ausdruck des Willens der
Nation und lasse doch die Zukunft offen. Zu bedauern sei nur, daß Mac
Mahon in seiner Unparteilichkeit nicht besser gegen kleinliche Intrigue ge¬
schützt werde. Das Septennat sei ein Waffenstillstand und dürfe von der
Partei nicht als eine Art von Schirm gemißbraucht werden, hinter den man
sich erst versteckt, um ehrgeizige Pläne zu schmieden. Eine directe Berufung
an den Willen der Nation sei erforderlich, um alles durch den Aufstand vom
4. September 1870 herbeigeführte Unheil wieder gut zu machen. Wenn der
Tag dieser Berufung gekommen sei, werde sich zeigen, daß es nur zwei Formen
für die Regierung Frankreichs gebe: die Republik oder das Kaiserthum.

Diese Erklärung für das Septennat war allerdings außerordentlich ver-
elausulirt, aber sie enthielt doch immer eine Anerkennung, die für Mac
Mahon sehr werthvoll war, namentlich auch deshalb, weil selbst ein bedingter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/415>, abgerufen am 28.07.2024.