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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Specialität gebildet hat. Zwar hat es wiederholt den Anlauf genommen, in
andere Bahnen einzulenken' so auch jetzt wieder bei seiner Neueröffnung, aber
stets ohne Glück. Unter diesen Umständen wird man denn freilich nichts
dagegen einwenden können, wenn diese Bühne auch jetzt wieder ihre Haupt¬
aufgabe in der Pflege des genannten Pariser Genres erblickt. In dieser
Richtung hat sie uns soeben mit des jüngeren Dumas "Monsieur Alphonse"
bekannt gemacht. Das Stück gehört zu der Gattung der Ehebruchsdramen,
aber es ist eine ganz besondere Spielart derselben. Ein biederer Schiffs-
capitän in bereits vorgerückten Jahren, Herr Montaiglin, besitzt eine reizende,
noch ziemlich junge Frau, Raymonde, und einen noch dito Freund, Octave.
Der Letztere befleißigt sich eines wenig erfreulichen Lebenswandels, ist außer¬
dem im Begriff, sich mit einer gesellschaftlich und geistig tief unter ihm stehenden
Frau, einer Restaurateuröwittwe und ehemaligen Köchin von nicht ganz
zweifelloser Vergangenheit aber sehr ansehnlichem Vermögen, Madame Guichard,
zu verheirathen. Alle Gegenvorstellungen Montaiglin's sind vergebens. Um
seinen Plan auszuführen, muß Octave aber noch einen Gegenstand aus dem
Wege schaffen. Er hat eine Tochter. Angeblich um sie vor der Guichard
sicherzustellen, bittet er den kinderlosen Montaiglin, sie in seinem Hause auf¬
zunehmen. Das elfjährige Kind wird gebracht. Es ist, wie sich bald genug
herausstellt, die Tochter von Montaiglin's Frau. Die mißtrauische Guichard
hat Witterung von dem Kinde bekommen, sie rückt frischweg in das Haus
des Capitäns, zwingt Octave in der demüthigensten Weise zum Geständniß
und verlangt dann, daß man das Kind ihr gebe. Octave sagt zu, nach
Ablauf einiger Stunden soll die Kleine geholt werden. Begreiflich der
Schrecken der wahren Mutter, als ihr diese Kunde kommt. Sie vergißt sich
in ihrem Schmerze und -- ihr Mann hat Alles errathen. Folgt nun die
bekannte Scene der verzweifelten Selbstanklage und, da die Unglückliche
natürlich nur das "Opfer eines schmählichen Verraths" gewesen, der gro߬
müthigen Verzeihung. Von nun an vereinigtes Vorgehen des Ehepaares
Montaiglin. Der Notar wird gerufen, Montaiglin erkennt die kleine Adrienne
als seine Tochter an und der elende Octave wird gezwungen, als Zeuge zu
unterschreiben. Nun erscheint Madame Guichard, die sich inzwischen als
Adriennens Mutter in das Civilstandsregister hat eintragen lassen. Man
begreift ihre Verwunderung über das vorliegende tuit aeeomxli. Aber sie
will nicht glauben, daß Octave sich nur einen Scherz gemacht, als er ihr
zugestand, Adriennens Vater zu sein. Und richtig, durch eine List kommt
sie hinter den vollen wahren Sachverhalt. Nun ein gewaltiges Donnerwetter
über den sauberen Herrn Octave, oder, wie er sich in dem Hause, wo sein
Kind erzogen wurde, nennen ließ, Monsieur Alphonse, der schließlich als der¬
selbe impertinente Lump abzieht, als welcher er sich das ganze Stück über


Specialität gebildet hat. Zwar hat es wiederholt den Anlauf genommen, in
andere Bahnen einzulenken' so auch jetzt wieder bei seiner Neueröffnung, aber
stets ohne Glück. Unter diesen Umständen wird man denn freilich nichts
dagegen einwenden können, wenn diese Bühne auch jetzt wieder ihre Haupt¬
aufgabe in der Pflege des genannten Pariser Genres erblickt. In dieser
Richtung hat sie uns soeben mit des jüngeren Dumas „Monsieur Alphonse"
bekannt gemacht. Das Stück gehört zu der Gattung der Ehebruchsdramen,
aber es ist eine ganz besondere Spielart derselben. Ein biederer Schiffs-
capitän in bereits vorgerückten Jahren, Herr Montaiglin, besitzt eine reizende,
noch ziemlich junge Frau, Raymonde, und einen noch dito Freund, Octave.
Der Letztere befleißigt sich eines wenig erfreulichen Lebenswandels, ist außer¬
dem im Begriff, sich mit einer gesellschaftlich und geistig tief unter ihm stehenden
Frau, einer Restaurateuröwittwe und ehemaligen Köchin von nicht ganz
zweifelloser Vergangenheit aber sehr ansehnlichem Vermögen, Madame Guichard,
zu verheirathen. Alle Gegenvorstellungen Montaiglin's sind vergebens. Um
seinen Plan auszuführen, muß Octave aber noch einen Gegenstand aus dem
Wege schaffen. Er hat eine Tochter. Angeblich um sie vor der Guichard
sicherzustellen, bittet er den kinderlosen Montaiglin, sie in seinem Hause auf¬
zunehmen. Das elfjährige Kind wird gebracht. Es ist, wie sich bald genug
herausstellt, die Tochter von Montaiglin's Frau. Die mißtrauische Guichard
hat Witterung von dem Kinde bekommen, sie rückt frischweg in das Haus
des Capitäns, zwingt Octave in der demüthigensten Weise zum Geständniß
und verlangt dann, daß man das Kind ihr gebe. Octave sagt zu, nach
Ablauf einiger Stunden soll die Kleine geholt werden. Begreiflich der
Schrecken der wahren Mutter, als ihr diese Kunde kommt. Sie vergißt sich
in ihrem Schmerze und — ihr Mann hat Alles errathen. Folgt nun die
bekannte Scene der verzweifelten Selbstanklage und, da die Unglückliche
natürlich nur das „Opfer eines schmählichen Verraths" gewesen, der gro߬
müthigen Verzeihung. Von nun an vereinigtes Vorgehen des Ehepaares
Montaiglin. Der Notar wird gerufen, Montaiglin erkennt die kleine Adrienne
als seine Tochter an und der elende Octave wird gezwungen, als Zeuge zu
unterschreiben. Nun erscheint Madame Guichard, die sich inzwischen als
Adriennens Mutter in das Civilstandsregister hat eintragen lassen. Man
begreift ihre Verwunderung über das vorliegende tuit aeeomxli. Aber sie
will nicht glauben, daß Octave sich nur einen Scherz gemacht, als er ihr
zugestand, Adriennens Vater zu sein. Und richtig, durch eine List kommt
sie hinter den vollen wahren Sachverhalt. Nun ein gewaltiges Donnerwetter
über den sauberen Herrn Octave, oder, wie er sich in dem Hause, wo sein
Kind erzogen wurde, nennen ließ, Monsieur Alphonse, der schließlich als der¬
selbe impertinente Lump abzieht, als welcher er sich das ganze Stück über


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/390>, abgerufen am 28.07.2024.