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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Umgangssprache anschlägt, ist er stets in Gefahr, platt zu werden. Das
gleiche Schicksal hat sein Witz; derselbe ist fortwährend hart an der Grenze
des Kalauers, wenn er dieselbe, was auch vorkommt, nicht vollends über¬
schreitet.

Alles in Allem ist das Stück, wie gesagt, harmlos und wenig bedeutend.
Die Absicht des Dichters ist allerdings eine nichts weniger als harmlose
gewesen; den Erfolg des "Erfolges" aber hat er lediglich dem Umstände zu
verdanken, daß das große Publikum von dieser Absicht nichts merkt. Die
Abhandlung, welche eine Freundin Marlow's im Theaterfoyer über den Un¬
verstand und die Haßseligkeit der Kritik, und die larmoyanten Stoßseufzer
welche Marlow selbst in gleicher Richtung zum Besten giebt, werden von der
Majorität des Auditoriums geduldig mit in den Kauf genommen, ohne daß
man sich etwas Besonderes dabei denkt. Die Berliner Kritik indeß ist nicht
so gutmüthig gewesen. Sie hat überall persönliche Anspielungen gewittert
und darüber gewaltigen Lärm geschlagen. Herr Lindau versichert nun freilich,
daß er an persönliche Anspielungen gar nicht gedacht habe. Dann bleibt aber
zum mindesten auffallend, daß seine guten Freunde Wochen lang vor der
ersten Aufführung die detaillirtesten Andeutungen über die in dem Stück per-
siflirten Persönlichkeiten gemacht haben und daß der Autor in der That einer
dieser Persönlichkeiten den Wortlaut verschiedener Sätze aus der Kritik eines
hiesigen Schriftstellers über seine "Diana" in den Mund gelegt hat. Für den
nur halbwegs Kundigen kann kein Zweifel sein, daß Lindau sich mit dem
"Erfolg" an seinen Tadlern rächen wollte. Daß die königliche Bühne sich
auf diese Weise zum Mittel für des Dichters Privatzwecke hergab, ist immer¬
hin ein starkes Stück. Vielleicht mag die Bühnenleitung von vornherein der
Ueberzeugung gewesen sein, daß das Publikum diese Seite des Stücks mehr
oder weniger übersehen werde. Aber es ist dem königlichen Schauspielhause
nicht erspart geblieben, am Abend der ersten Aufführung der Tummelplatz
eines größeren Skandals gewesen zu sein. Hoffentlich ist man in Zukunft
etwas sorgfältiger darauf bedacht, den der wahren Kunst gewidmeten Tempel
vor solcher Entweihung zu bewahren.

Unter den kleineren Bühnen sei heute in erster Linie des Restdenztheaters
gedacht. Dasselbe hat im Laufe des Sommers eine höchst vortheilhafte Ver¬
jüngung seiner Räume vorgenommen und zählt jetzt, was geschmackvolle
Eleganz der Ausstattung anlangt, zu den ersten Etablissements der Haupt¬
stadt. Was die schauspielerischen Leistungen betrifft, so gehören dieselben
auch in der gegenwärtigen Saison mit zu dem Besten. was uns außerhalb
der königlichen Bühne geboten wird. Es kann freilich bedauert werden, daß
diese Leistungsfähigkeit fast ausschließlich an das französische Sensationsdrama
verschwendet wird, aus welchem das Nesivenztheater sich seit Jahren eine


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Umgangssprache anschlägt, ist er stets in Gefahr, platt zu werden. Das
gleiche Schicksal hat sein Witz; derselbe ist fortwährend hart an der Grenze
des Kalauers, wenn er dieselbe, was auch vorkommt, nicht vollends über¬
schreitet.

Alles in Allem ist das Stück, wie gesagt, harmlos und wenig bedeutend.
Die Absicht des Dichters ist allerdings eine nichts weniger als harmlose
gewesen; den Erfolg des „Erfolges" aber hat er lediglich dem Umstände zu
verdanken, daß das große Publikum von dieser Absicht nichts merkt. Die
Abhandlung, welche eine Freundin Marlow's im Theaterfoyer über den Un¬
verstand und die Haßseligkeit der Kritik, und die larmoyanten Stoßseufzer
welche Marlow selbst in gleicher Richtung zum Besten giebt, werden von der
Majorität des Auditoriums geduldig mit in den Kauf genommen, ohne daß
man sich etwas Besonderes dabei denkt. Die Berliner Kritik indeß ist nicht
so gutmüthig gewesen. Sie hat überall persönliche Anspielungen gewittert
und darüber gewaltigen Lärm geschlagen. Herr Lindau versichert nun freilich,
daß er an persönliche Anspielungen gar nicht gedacht habe. Dann bleibt aber
zum mindesten auffallend, daß seine guten Freunde Wochen lang vor der
ersten Aufführung die detaillirtesten Andeutungen über die in dem Stück per-
siflirten Persönlichkeiten gemacht haben und daß der Autor in der That einer
dieser Persönlichkeiten den Wortlaut verschiedener Sätze aus der Kritik eines
hiesigen Schriftstellers über seine „Diana" in den Mund gelegt hat. Für den
nur halbwegs Kundigen kann kein Zweifel sein, daß Lindau sich mit dem
„Erfolg" an seinen Tadlern rächen wollte. Daß die königliche Bühne sich
auf diese Weise zum Mittel für des Dichters Privatzwecke hergab, ist immer¬
hin ein starkes Stück. Vielleicht mag die Bühnenleitung von vornherein der
Ueberzeugung gewesen sein, daß das Publikum diese Seite des Stücks mehr
oder weniger übersehen werde. Aber es ist dem königlichen Schauspielhause
nicht erspart geblieben, am Abend der ersten Aufführung der Tummelplatz
eines größeren Skandals gewesen zu sein. Hoffentlich ist man in Zukunft
etwas sorgfältiger darauf bedacht, den der wahren Kunst gewidmeten Tempel
vor solcher Entweihung zu bewahren.

Unter den kleineren Bühnen sei heute in erster Linie des Restdenztheaters
gedacht. Dasselbe hat im Laufe des Sommers eine höchst vortheilhafte Ver¬
jüngung seiner Räume vorgenommen und zählt jetzt, was geschmackvolle
Eleganz der Ausstattung anlangt, zu den ersten Etablissements der Haupt¬
stadt. Was die schauspielerischen Leistungen betrifft, so gehören dieselben
auch in der gegenwärtigen Saison mit zu dem Besten. was uns außerhalb
der königlichen Bühne geboten wird. Es kann freilich bedauert werden, daß
diese Leistungsfähigkeit fast ausschließlich an das französische Sensationsdrama
verschwendet wird, aus welchem das Nesivenztheater sich seit Jahren eine


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[0389] Umgangssprache anschlägt, ist er stets in Gefahr, platt zu werden. Das gleiche Schicksal hat sein Witz; derselbe ist fortwährend hart an der Grenze des Kalauers, wenn er dieselbe, was auch vorkommt, nicht vollends über¬ schreitet. Alles in Allem ist das Stück, wie gesagt, harmlos und wenig bedeutend. Die Absicht des Dichters ist allerdings eine nichts weniger als harmlose gewesen; den Erfolg des „Erfolges" aber hat er lediglich dem Umstände zu verdanken, daß das große Publikum von dieser Absicht nichts merkt. Die Abhandlung, welche eine Freundin Marlow's im Theaterfoyer über den Un¬ verstand und die Haßseligkeit der Kritik, und die larmoyanten Stoßseufzer welche Marlow selbst in gleicher Richtung zum Besten giebt, werden von der Majorität des Auditoriums geduldig mit in den Kauf genommen, ohne daß man sich etwas Besonderes dabei denkt. Die Berliner Kritik indeß ist nicht so gutmüthig gewesen. Sie hat überall persönliche Anspielungen gewittert und darüber gewaltigen Lärm geschlagen. Herr Lindau versichert nun freilich, daß er an persönliche Anspielungen gar nicht gedacht habe. Dann bleibt aber zum mindesten auffallend, daß seine guten Freunde Wochen lang vor der ersten Aufführung die detaillirtesten Andeutungen über die in dem Stück per- siflirten Persönlichkeiten gemacht haben und daß der Autor in der That einer dieser Persönlichkeiten den Wortlaut verschiedener Sätze aus der Kritik eines hiesigen Schriftstellers über seine „Diana" in den Mund gelegt hat. Für den nur halbwegs Kundigen kann kein Zweifel sein, daß Lindau sich mit dem „Erfolg" an seinen Tadlern rächen wollte. Daß die königliche Bühne sich auf diese Weise zum Mittel für des Dichters Privatzwecke hergab, ist immer¬ hin ein starkes Stück. Vielleicht mag die Bühnenleitung von vornherein der Ueberzeugung gewesen sein, daß das Publikum diese Seite des Stücks mehr oder weniger übersehen werde. Aber es ist dem königlichen Schauspielhause nicht erspart geblieben, am Abend der ersten Aufführung der Tummelplatz eines größeren Skandals gewesen zu sein. Hoffentlich ist man in Zukunft etwas sorgfältiger darauf bedacht, den der wahren Kunst gewidmeten Tempel vor solcher Entweihung zu bewahren. Unter den kleineren Bühnen sei heute in erster Linie des Restdenztheaters gedacht. Dasselbe hat im Laufe des Sommers eine höchst vortheilhafte Ver¬ jüngung seiner Räume vorgenommen und zählt jetzt, was geschmackvolle Eleganz der Ausstattung anlangt, zu den ersten Etablissements der Haupt¬ stadt. Was die schauspielerischen Leistungen betrifft, so gehören dieselben auch in der gegenwärtigen Saison mit zu dem Besten. was uns außerhalb der königlichen Bühne geboten wird. Es kann freilich bedauert werden, daß diese Leistungsfähigkeit fast ausschließlich an das französische Sensationsdrama verschwendet wird, aus welchem das Nesivenztheater sich seit Jahren eine Grenzboten IV. I87-I. 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/389>, abgerufen am 27.07.2024.