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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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sie geräth außer sich über solch bodenlose Schlechtigkeit des Mannes, für den
sie "so sehr geschwärmt". Da eben kommt Marlow. Er beginnt die An¬
wendung seines unfehlbaren Mittels und nun kennt Eva's Zorn keine Grenzen
mehr. Er zieht beschämt von dannen und sie zerfließt in Thränen. Am andern
Tag Aufführung des Stücks. Eine bezahlte Opposition hat die beiden ersten
Acte nahezu zu Falle gebracht. Eben hat der dritte Act begonnen. Eva,
die mit ihrer Mutter im Theater ist, kann das traurige Schicksal Marlow's
nicht mehr mit ansehen, er "thut ihr gär zu leid"; sie bleibt allein im
Foyer zurück. Da stürzt der Dichter heraus, ganz in Verzweiflung. Nun
eine lange Bemitleidungs- und Ermuthigungsscene, die mit der unvermeid¬
lichen Liebeserklärung abschließt, während drinnen im Theater der dritte Act
selbstverständlich den entschiedensten Erfolg davonträgt. Damit endet auch der
dritte Act des Lindau'schen Stücks. Der vierte ist nur noch dazu da, das
Hochgefühl des gefeierten Dichters zu veranschaulichen und der heimlichen
Verlobung aus dem Foyer die conventionelle Sanction zu geben. Das ist
der Kern der Fabel; eine Reihe von Ansätzen, die sich um ihn gruppiren,
ist ohne organischen Zusammenhang mit ihm.

Der Schwerpunkt des Ganzen fällt in die Scenen zwischen Marlow und
Eva. Sie sind auch die natürlichsten und ansprechendsten des ganzen Stückes.
Wie die Backsischnaturen stets Lindau's Force gewesen sind, so ist ihm
auch hier wieder der Charakter der Eva am besten gelungen. Viel zu der
gewinnenden Wirkung desselben trägt freilich das unübertreffliche Spiel der
Frau Hedwig Niemann-Raabe bei, welche mit dieser Rolle ein hoffentlich recht
langes Gastspiel an der königl. Bühne begonnen hat. Neben der Eva ist
deren Mutter, ein dichtender Blaustrumpf, doch eine gutherzige Frau, am
meisten mit individuellem Leben ausgestattet. Was der Dichter an der Figur
etwa noch versäumt hat, weiß die geniale Kunst der Fried-Blumauer hinzu¬
zufügen. Der Held des Stückes dagegen, Fritz Marlow, streift bereits
stark ans schablonenhafte. Die übrigen Personen sind entweder nur
skizzenhaft angedeutet, oder man weiß schlechterdings nicht, was man
in diesem Rahmen mit ihnen anfangen soll. So die Figur des Baron Fabro.
Wer er ist, woher er kommt und wohin er geht, warum er von einen tät¬
lichen Haß gegen Marlow beseelt ist -- darüber, kurz über Alles, was ihn
eigentlich als nothwendigen Bestandtheil des Ganzen kennzeichnen könnte,
bleiben wir vollständig im Dunkeln. Er soll das böse Prinzip darstellen,
"einen Theil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute
schafft." Die Aufgabe erfüllt er; warum er sie aber grade in dieser bestimm¬
ten concreten Gestalt erfüllt, darüber bleibt er uns jede Rechenschaft schuldig.

Der Dialog ist lebendig, die Sprache theilweise edel und schwungvoll,
theilweise aber auch entsetzlich salopp. Wo Lindau den Ton der ungezwungenen


sie geräth außer sich über solch bodenlose Schlechtigkeit des Mannes, für den
sie „so sehr geschwärmt". Da eben kommt Marlow. Er beginnt die An¬
wendung seines unfehlbaren Mittels und nun kennt Eva's Zorn keine Grenzen
mehr. Er zieht beschämt von dannen und sie zerfließt in Thränen. Am andern
Tag Aufführung des Stücks. Eine bezahlte Opposition hat die beiden ersten
Acte nahezu zu Falle gebracht. Eben hat der dritte Act begonnen. Eva,
die mit ihrer Mutter im Theater ist, kann das traurige Schicksal Marlow's
nicht mehr mit ansehen, er „thut ihr gär zu leid"; sie bleibt allein im
Foyer zurück. Da stürzt der Dichter heraus, ganz in Verzweiflung. Nun
eine lange Bemitleidungs- und Ermuthigungsscene, die mit der unvermeid¬
lichen Liebeserklärung abschließt, während drinnen im Theater der dritte Act
selbstverständlich den entschiedensten Erfolg davonträgt. Damit endet auch der
dritte Act des Lindau'schen Stücks. Der vierte ist nur noch dazu da, das
Hochgefühl des gefeierten Dichters zu veranschaulichen und der heimlichen
Verlobung aus dem Foyer die conventionelle Sanction zu geben. Das ist
der Kern der Fabel; eine Reihe von Ansätzen, die sich um ihn gruppiren,
ist ohne organischen Zusammenhang mit ihm.

Der Schwerpunkt des Ganzen fällt in die Scenen zwischen Marlow und
Eva. Sie sind auch die natürlichsten und ansprechendsten des ganzen Stückes.
Wie die Backsischnaturen stets Lindau's Force gewesen sind, so ist ihm
auch hier wieder der Charakter der Eva am besten gelungen. Viel zu der
gewinnenden Wirkung desselben trägt freilich das unübertreffliche Spiel der
Frau Hedwig Niemann-Raabe bei, welche mit dieser Rolle ein hoffentlich recht
langes Gastspiel an der königl. Bühne begonnen hat. Neben der Eva ist
deren Mutter, ein dichtender Blaustrumpf, doch eine gutherzige Frau, am
meisten mit individuellem Leben ausgestattet. Was der Dichter an der Figur
etwa noch versäumt hat, weiß die geniale Kunst der Fried-Blumauer hinzu¬
zufügen. Der Held des Stückes dagegen, Fritz Marlow, streift bereits
stark ans schablonenhafte. Die übrigen Personen sind entweder nur
skizzenhaft angedeutet, oder man weiß schlechterdings nicht, was man
in diesem Rahmen mit ihnen anfangen soll. So die Figur des Baron Fabro.
Wer er ist, woher er kommt und wohin er geht, warum er von einen tät¬
lichen Haß gegen Marlow beseelt ist — darüber, kurz über Alles, was ihn
eigentlich als nothwendigen Bestandtheil des Ganzen kennzeichnen könnte,
bleiben wir vollständig im Dunkeln. Er soll das böse Prinzip darstellen,
„einen Theil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute
schafft." Die Aufgabe erfüllt er; warum er sie aber grade in dieser bestimm¬
ten concreten Gestalt erfüllt, darüber bleibt er uns jede Rechenschaft schuldig.

Der Dialog ist lebendig, die Sprache theilweise edel und schwungvoll,
theilweise aber auch entsetzlich salopp. Wo Lindau den Ton der ungezwungenen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/388>, abgerufen am 27.07.2024.