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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Der Engländer in der Fremde und der in der Heimath sind zwei ganz
verschiedene Personen. Dazu kommt noch, daß besonders unter den Ver¬
gnügungsreisenden aus dem Continent sich sehr viel -- Ausschuß befindet;
es ist diese Bemerkung schon sehr oft in Deutschland gemacht worden und
es scheint fast, als ob hier Geist und Körper Hand in Hand gingen, denn
auch von den viel gerühmten englischen Schönheiten ist auf dem Continent
wenig zu sehen, während hier zu Lande desto mehr und zwar ohne die ewige
blasse Gesichtsfarbe.

Wenn London schon zu gewöhnlichen Zeiten mit seinen so überaus be¬
lebten Straßen und Brücken auf den Fremden und besonders auf denjenigen,
der niemals früher in wirklich großen Städten gelebt hat, einen überwäl¬
tigenden Eindruck macht, wenn er sich kaum in den anscheinend regellosen
Tumult wagt, aus Furcht, er möchte buchstäblich darin umkommen, so ist
natürlich zu Zeiten, wo Alles sich auf den Straßen nach Schaugeprängen
drängt und zudem noch der an sich schon lebhafte Wagenverkehr aus den
großen Hauptstraßen in die kleinen Seiten- und Nebenstraßen verdrängt ist
und sich da mühsam durchwindet, der erste Eindruck ein noch betäubenderer.
Man wird beklommen, man fürchtet irgend welches Unglück vor seinen Augen
sich ereignen zu sehen.

Aber nichts von alledem, es hat nur den Schein, als ob irgend ein
tückisches Geschick den Menschen zu ereilen laure, die Verwirrung, der Tumult,
Alles löst und klärt sich in wenig Minuten, es wickelt sich Alles mit einer
eigenartigen Ruhe und doch verhältnißmäßiger Geschwindigkeit ab. Es ist
charakteristisch für London, daß die niedern Stände zu solchen Straßenauf-
zügen oft mit Kind und Kegel ziehen, daß man im dichtesten Gedränge kleine
Kinder, die noch auf den Armen getragen werden, und zwar nicht nur ver¬
einzelt sieht, und daß alle diese kleinen Weltbürger, wenn auch häufig schrei¬
end , doch sicher und ohne Schaden wieder nach Hause kommen.

Was ist das Geheimniß dieser so eigenthümlichen, so beruhigenden Er¬
scheinung? Halten etwa einzig und allein die Tausende von Policemen, die
in den Straßen aufgestellt sind, die Ordnung aufrecht? Gewiß tragen sie
sehr viel dazu bei, aber sie allein sind es nicht, sondern die Gesammtheit des
Volkes ist es, welches eine Ehre darein setzt, womöglich ohne irgend welche
Polizeihülfe die schwierigsten Verhältnisse zu klären. Wenn wirklich einmal
ein Ruhe- und Ordnungsstörer sich bemerklich machen will und ein Pöliceman
einschreitet, so unterstützt das Publikum, wenn irgend nothwendig, denselben
bereitwilligst, aber es ist förmlich unangenehm überrascht darüber, daß es
überhaupt hat so weit kommen können.

Selbst an Plätzen, wo fünf, sechs ja sieben Straßen sich treffen, kommen
Stockungen und Sperrungen sehr selten vor, man hört keine schreienden und


Der Engländer in der Fremde und der in der Heimath sind zwei ganz
verschiedene Personen. Dazu kommt noch, daß besonders unter den Ver¬
gnügungsreisenden aus dem Continent sich sehr viel — Ausschuß befindet;
es ist diese Bemerkung schon sehr oft in Deutschland gemacht worden und
es scheint fast, als ob hier Geist und Körper Hand in Hand gingen, denn
auch von den viel gerühmten englischen Schönheiten ist auf dem Continent
wenig zu sehen, während hier zu Lande desto mehr und zwar ohne die ewige
blasse Gesichtsfarbe.

Wenn London schon zu gewöhnlichen Zeiten mit seinen so überaus be¬
lebten Straßen und Brücken auf den Fremden und besonders auf denjenigen,
der niemals früher in wirklich großen Städten gelebt hat, einen überwäl¬
tigenden Eindruck macht, wenn er sich kaum in den anscheinend regellosen
Tumult wagt, aus Furcht, er möchte buchstäblich darin umkommen, so ist
natürlich zu Zeiten, wo Alles sich auf den Straßen nach Schaugeprängen
drängt und zudem noch der an sich schon lebhafte Wagenverkehr aus den
großen Hauptstraßen in die kleinen Seiten- und Nebenstraßen verdrängt ist
und sich da mühsam durchwindet, der erste Eindruck ein noch betäubenderer.
Man wird beklommen, man fürchtet irgend welches Unglück vor seinen Augen
sich ereignen zu sehen.

Aber nichts von alledem, es hat nur den Schein, als ob irgend ein
tückisches Geschick den Menschen zu ereilen laure, die Verwirrung, der Tumult,
Alles löst und klärt sich in wenig Minuten, es wickelt sich Alles mit einer
eigenartigen Ruhe und doch verhältnißmäßiger Geschwindigkeit ab. Es ist
charakteristisch für London, daß die niedern Stände zu solchen Straßenauf-
zügen oft mit Kind und Kegel ziehen, daß man im dichtesten Gedränge kleine
Kinder, die noch auf den Armen getragen werden, und zwar nicht nur ver¬
einzelt sieht, und daß alle diese kleinen Weltbürger, wenn auch häufig schrei¬
end , doch sicher und ohne Schaden wieder nach Hause kommen.

Was ist das Geheimniß dieser so eigenthümlichen, so beruhigenden Er¬
scheinung? Halten etwa einzig und allein die Tausende von Policemen, die
in den Straßen aufgestellt sind, die Ordnung aufrecht? Gewiß tragen sie
sehr viel dazu bei, aber sie allein sind es nicht, sondern die Gesammtheit des
Volkes ist es, welches eine Ehre darein setzt, womöglich ohne irgend welche
Polizeihülfe die schwierigsten Verhältnisse zu klären. Wenn wirklich einmal
ein Ruhe- und Ordnungsstörer sich bemerklich machen will und ein Pöliceman
einschreitet, so unterstützt das Publikum, wenn irgend nothwendig, denselben
bereitwilligst, aber es ist förmlich unangenehm überrascht darüber, daß es
überhaupt hat so weit kommen können.

Selbst an Plätzen, wo fünf, sechs ja sieben Straßen sich treffen, kommen
Stockungen und Sperrungen sehr selten vor, man hört keine schreienden und


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[0382] Der Engländer in der Fremde und der in der Heimath sind zwei ganz verschiedene Personen. Dazu kommt noch, daß besonders unter den Ver¬ gnügungsreisenden aus dem Continent sich sehr viel — Ausschuß befindet; es ist diese Bemerkung schon sehr oft in Deutschland gemacht worden und es scheint fast, als ob hier Geist und Körper Hand in Hand gingen, denn auch von den viel gerühmten englischen Schönheiten ist auf dem Continent wenig zu sehen, während hier zu Lande desto mehr und zwar ohne die ewige blasse Gesichtsfarbe. Wenn London schon zu gewöhnlichen Zeiten mit seinen so überaus be¬ lebten Straßen und Brücken auf den Fremden und besonders auf denjenigen, der niemals früher in wirklich großen Städten gelebt hat, einen überwäl¬ tigenden Eindruck macht, wenn er sich kaum in den anscheinend regellosen Tumult wagt, aus Furcht, er möchte buchstäblich darin umkommen, so ist natürlich zu Zeiten, wo Alles sich auf den Straßen nach Schaugeprängen drängt und zudem noch der an sich schon lebhafte Wagenverkehr aus den großen Hauptstraßen in die kleinen Seiten- und Nebenstraßen verdrängt ist und sich da mühsam durchwindet, der erste Eindruck ein noch betäubenderer. Man wird beklommen, man fürchtet irgend welches Unglück vor seinen Augen sich ereignen zu sehen. Aber nichts von alledem, es hat nur den Schein, als ob irgend ein tückisches Geschick den Menschen zu ereilen laure, die Verwirrung, der Tumult, Alles löst und klärt sich in wenig Minuten, es wickelt sich Alles mit einer eigenartigen Ruhe und doch verhältnißmäßiger Geschwindigkeit ab. Es ist charakteristisch für London, daß die niedern Stände zu solchen Straßenauf- zügen oft mit Kind und Kegel ziehen, daß man im dichtesten Gedränge kleine Kinder, die noch auf den Armen getragen werden, und zwar nicht nur ver¬ einzelt sieht, und daß alle diese kleinen Weltbürger, wenn auch häufig schrei¬ end , doch sicher und ohne Schaden wieder nach Hause kommen. Was ist das Geheimniß dieser so eigenthümlichen, so beruhigenden Er¬ scheinung? Halten etwa einzig und allein die Tausende von Policemen, die in den Straßen aufgestellt sind, die Ordnung aufrecht? Gewiß tragen sie sehr viel dazu bei, aber sie allein sind es nicht, sondern die Gesammtheit des Volkes ist es, welches eine Ehre darein setzt, womöglich ohne irgend welche Polizeihülfe die schwierigsten Verhältnisse zu klären. Wenn wirklich einmal ein Ruhe- und Ordnungsstörer sich bemerklich machen will und ein Pöliceman einschreitet, so unterstützt das Publikum, wenn irgend nothwendig, denselben bereitwilligst, aber es ist förmlich unangenehm überrascht darüber, daß es überhaupt hat so weit kommen können. Selbst an Plätzen, wo fünf, sechs ja sieben Straßen sich treffen, kommen Stockungen und Sperrungen sehr selten vor, man hört keine schreienden und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/382>, abgerufen am 27.07.2024.