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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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sich zankenden Fuhrleute, die sich um den Vorrang streiten und damit mehr
Zeit und Lunge vergeuden, als die ganze Sache werth ist. Jeder Wagen
wartet bis die Reihe an ihm ist; ein einfacher Wink des Schutzmanns genügt,
um den Verkehr zu regeln, und indem sich ein Jeder bemüht, die Ordnung
nach Möglichkeit aufrecht zu erhalten und dabei etwaigen Polizeianordnungen
unbedingt Folge leistet, gelangt auch ein Jeder am schnellsten und sichersten
zu seinem Ziel.

Welch wohlthuenden Contrast bilden solche Zustände gegen die unserer
lieben deutschen Hauptstadt Berlin.

Wer jemals Gelegenheit hatte sich in Berlin sowohl zu gewöhnlichen
Zeiten, als besonders zur Zeit von Festlichkeiten aufzuhalten, der wird be¬
merkt haben, daß an besonders lebhaften Punkten der Stadt die zahlreich
zu Roß und zu Fuß aufgestellte Polizei kaum im Stande ist, den Verkehr
in Ordnung zu erhalten. Die Wagen fahren häufig durch einander, so daß
sie sich verwirren, die Kutscher suchen ihr Recht ihres Gleichen gegenüber,
häufig von der Peitsche in der Hand Gebrauch machend, zu beweisen, und
wenn bei feierlichen Aufzügen die Polizei für dieselben Platz machen will und
etwaige vorlaute Straßenjungens zurecht weist, so wird sie bei der Ausübung
dieses ihres nothwendigen Amtes von dem anwesenden Publikum aufs Gröbste
durch widerwärtiges Geschrei verhöhnt. Wo überhaupt irgendwo in Berlin
die Polizei auf öffentlicher Straße einschreitet und dafür, daß das häufig ge¬
nug vorkommt, sorgt schon das sich auf den Straßen bewegende Publikum,
giebt es eine sehr große Anzahl von Personen, die gegen die Polizei Partei
ergreifen, mag dieselbe noch so sehr in ihrem Rechte sein. Man mag mir
vielleicht entgegenhalten, daß das Alles nur vom Pöbel gethan werde und
ich will das bereitwilligst zugeben, aber dann muß ich einen erstaunlich großen
Theil der Einwohnerzahl zum Pöbel rechnen, Kreise, die man sonst nicht
dazu zu zählen pflegt. Man wird mir vielleicht erwidern, daß die Polizei
selbst eine sehr große Schuld an diesen Zuständen trage, weil ihre niedern
Organe vielfach aus rohen, ungebildeten Leuten beständen, die das Publikum
nicht richtig zu behandeln wüßten. Auch daran mag viel Wahres sein, aber
jedenfalls ist diese consequente Widersetzlichkeit gegen alle Anordnungen der
Polizei, die durch so viel Schichten der Berliner Bevölkerung geht, am aller¬
wenigsten dazu angethan, die Polizei und ihre untern Organe zu bessern.

Es wäre wohl eine würdige Ausgabe derjenigen Berliner Presse, die vor¬
zugsweise von den niederen Ständen gelesen wird, das Volk dahin zu erziehen,
daß die oben angedeuteten, der deutschen Hauptstadt so unwürdigen Zustände,
sich bessern und mildern. Je mehr das Publikum seinen Widerstand abstreift,
um so mehr wird sich auch die Polizei bemühen, höflich zu sein; wenn aber
"N großer Theil der ebengenannten Presse mit Vorliebe nur die etwaigen


sich zankenden Fuhrleute, die sich um den Vorrang streiten und damit mehr
Zeit und Lunge vergeuden, als die ganze Sache werth ist. Jeder Wagen
wartet bis die Reihe an ihm ist; ein einfacher Wink des Schutzmanns genügt,
um den Verkehr zu regeln, und indem sich ein Jeder bemüht, die Ordnung
nach Möglichkeit aufrecht zu erhalten und dabei etwaigen Polizeianordnungen
unbedingt Folge leistet, gelangt auch ein Jeder am schnellsten und sichersten
zu seinem Ziel.

Welch wohlthuenden Contrast bilden solche Zustände gegen die unserer
lieben deutschen Hauptstadt Berlin.

Wer jemals Gelegenheit hatte sich in Berlin sowohl zu gewöhnlichen
Zeiten, als besonders zur Zeit von Festlichkeiten aufzuhalten, der wird be¬
merkt haben, daß an besonders lebhaften Punkten der Stadt die zahlreich
zu Roß und zu Fuß aufgestellte Polizei kaum im Stande ist, den Verkehr
in Ordnung zu erhalten. Die Wagen fahren häufig durch einander, so daß
sie sich verwirren, die Kutscher suchen ihr Recht ihres Gleichen gegenüber,
häufig von der Peitsche in der Hand Gebrauch machend, zu beweisen, und
wenn bei feierlichen Aufzügen die Polizei für dieselben Platz machen will und
etwaige vorlaute Straßenjungens zurecht weist, so wird sie bei der Ausübung
dieses ihres nothwendigen Amtes von dem anwesenden Publikum aufs Gröbste
durch widerwärtiges Geschrei verhöhnt. Wo überhaupt irgendwo in Berlin
die Polizei auf öffentlicher Straße einschreitet und dafür, daß das häufig ge¬
nug vorkommt, sorgt schon das sich auf den Straßen bewegende Publikum,
giebt es eine sehr große Anzahl von Personen, die gegen die Polizei Partei
ergreifen, mag dieselbe noch so sehr in ihrem Rechte sein. Man mag mir
vielleicht entgegenhalten, daß das Alles nur vom Pöbel gethan werde und
ich will das bereitwilligst zugeben, aber dann muß ich einen erstaunlich großen
Theil der Einwohnerzahl zum Pöbel rechnen, Kreise, die man sonst nicht
dazu zu zählen pflegt. Man wird mir vielleicht erwidern, daß die Polizei
selbst eine sehr große Schuld an diesen Zuständen trage, weil ihre niedern
Organe vielfach aus rohen, ungebildeten Leuten beständen, die das Publikum
nicht richtig zu behandeln wüßten. Auch daran mag viel Wahres sein, aber
jedenfalls ist diese consequente Widersetzlichkeit gegen alle Anordnungen der
Polizei, die durch so viel Schichten der Berliner Bevölkerung geht, am aller¬
wenigsten dazu angethan, die Polizei und ihre untern Organe zu bessern.

Es wäre wohl eine würdige Ausgabe derjenigen Berliner Presse, die vor¬
zugsweise von den niederen Ständen gelesen wird, das Volk dahin zu erziehen,
daß die oben angedeuteten, der deutschen Hauptstadt so unwürdigen Zustände,
sich bessern und mildern. Je mehr das Publikum seinen Widerstand abstreift,
um so mehr wird sich auch die Polizei bemühen, höflich zu sein; wenn aber
"N großer Theil der ebengenannten Presse mit Vorliebe nur die etwaigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/383>, abgerufen am 28.07.2024.