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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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aber das Meiste für die Indianer, die höllisch unbequem werden, wenn sie
nicht immer 'was zu lesen kriegen." "Das wunderte uns, da er aber gleich
darauf das Gesicht wie in einem fürchterlichen Krampfe verzog und aussah,
als ob ein erdbebenhaftes Lachen bei ihm im Anzüge wäre, merkten wir,
daß seine Aeußerung ein Spaß hatte sein sollen und die Bedeutung gehabt
hatte, daß wir den größten Theil unsrer Postsachen irgendwo auf den Ebnen
abladen und den Indianern oder sonstwem, der Verlangen darnach trüge,
überlassen würden. -- Wir wechselten alle zehn Meilen die Pferde und flogen
lustig über die harte, ebne Straße dahin. Jedesmal, wenn die Kutsche Halt
Machte, sprangen wir heraus und streckten unsere Beine, und so fand uns
die Nacht noch lebendig und unermüdet."

In der folgenden Nacht zeigte fich's dann deutlich, was der Condueteur
gemeint hatte, als er von der für die Indianer bestimmten Lectüre sprach.
Plötzlich sollte ein fabelhaftes Ding entzwei sein, nämlich der "Schwung¬
riemen" der Kutsche und zwar nur von dem übernatürlichen Gewicht der
Briefsäcke, die man nun schon drei Tagereisen weit geschleppt hatte. "Grade
an dieser Stelle" sagte der Condueteur, "ist der Ort, wohin die Zeitungssäcke
adressirt sind, die für die Indianer ausgeladen werden sollten, um sie ruhig
zu erhalten. Es ist ein wahres Glück; denn wir haben es so verdammt
dunkel, daß ich unversehens dran vorbeigefahren sein würde, wenn der
Schwungriemen nicht gerissen wäre." Alle traten hinzu und halfen die Post-
säcke herausholen. Als Alles heraus war bildete es eine große Pyramide
Neben der Straße. Nun wurde es im Innern des Wagens bequem. Auf
Anordnung des Conducteurs wurden die Postpackete bis zur halben Höhe
des Wageninnern aufgestapelt, die Sitze heruntergeklappt und so ein prächtiges
ebenes Bett gewonnen. "Es war jetzt die Morgendämmerung eingetreten
und als wir unsre eingeschlafenen Beine ihrer vollen Länge nach auf den
Postsäcken ausstreckten und durch die Fenster über die weite grüne Rasen-
^note, die in kühlen, pulverrauchartigen Nebel gekleidet war, hinschauten, wo
östlichen Horizont die Sonne erwartet wurde, nahm unser vollkommenes
Wohlbehagen die Form einer ruhigen und befriedigten Ekstase an. Die Post
wirbelte weiter in raschem Gange, der Luftzug ließ die Borhänge flattern
Und hob uns in erheiterndster Weise die Rockschöße auf, die Wiege schwankte
Und schaukelte prächtig, das Trappeln der Pferdehufe, das Knallen der Peitsche
Postillons und sein "Hu, Hussa!" waren Musik, der vorüberfegende Erd¬
boden und die wälzenden Bäume schienen uns beim Vorbeisausen ein stummes
Hurrah zuzurufen und dann zu erschlaffen und uns mit Interesse oder Neio
"^r sonst etwas nachzublicken, und als wir so dalagen und die Pfeife des
Friedens rauchten und. all' diese Pracht mit den Jahren mühseligen Stadt-
^dens, die ihr vorausgegangen waren, verglichen, fühlten wir, daß es nur


aber das Meiste für die Indianer, die höllisch unbequem werden, wenn sie
nicht immer 'was zu lesen kriegen." „Das wunderte uns, da er aber gleich
darauf das Gesicht wie in einem fürchterlichen Krampfe verzog und aussah,
als ob ein erdbebenhaftes Lachen bei ihm im Anzüge wäre, merkten wir,
daß seine Aeußerung ein Spaß hatte sein sollen und die Bedeutung gehabt
hatte, daß wir den größten Theil unsrer Postsachen irgendwo auf den Ebnen
abladen und den Indianern oder sonstwem, der Verlangen darnach trüge,
überlassen würden. — Wir wechselten alle zehn Meilen die Pferde und flogen
lustig über die harte, ebne Straße dahin. Jedesmal, wenn die Kutsche Halt
Machte, sprangen wir heraus und streckten unsere Beine, und so fand uns
die Nacht noch lebendig und unermüdet."

In der folgenden Nacht zeigte fich's dann deutlich, was der Condueteur
gemeint hatte, als er von der für die Indianer bestimmten Lectüre sprach.
Plötzlich sollte ein fabelhaftes Ding entzwei sein, nämlich der „Schwung¬
riemen" der Kutsche und zwar nur von dem übernatürlichen Gewicht der
Briefsäcke, die man nun schon drei Tagereisen weit geschleppt hatte. „Grade
an dieser Stelle" sagte der Condueteur, „ist der Ort, wohin die Zeitungssäcke
adressirt sind, die für die Indianer ausgeladen werden sollten, um sie ruhig
zu erhalten. Es ist ein wahres Glück; denn wir haben es so verdammt
dunkel, daß ich unversehens dran vorbeigefahren sein würde, wenn der
Schwungriemen nicht gerissen wäre." Alle traten hinzu und halfen die Post-
säcke herausholen. Als Alles heraus war bildete es eine große Pyramide
Neben der Straße. Nun wurde es im Innern des Wagens bequem. Auf
Anordnung des Conducteurs wurden die Postpackete bis zur halben Höhe
des Wageninnern aufgestapelt, die Sitze heruntergeklappt und so ein prächtiges
ebenes Bett gewonnen. „Es war jetzt die Morgendämmerung eingetreten
und als wir unsre eingeschlafenen Beine ihrer vollen Länge nach auf den
Postsäcken ausstreckten und durch die Fenster über die weite grüne Rasen-
^note, die in kühlen, pulverrauchartigen Nebel gekleidet war, hinschauten, wo
östlichen Horizont die Sonne erwartet wurde, nahm unser vollkommenes
Wohlbehagen die Form einer ruhigen und befriedigten Ekstase an. Die Post
wirbelte weiter in raschem Gange, der Luftzug ließ die Borhänge flattern
Und hob uns in erheiterndster Weise die Rockschöße auf, die Wiege schwankte
Und schaukelte prächtig, das Trappeln der Pferdehufe, das Knallen der Peitsche
Postillons und sein „Hu, Hussa!" waren Musik, der vorüberfegende Erd¬
boden und die wälzenden Bäume schienen uns beim Vorbeisausen ein stummes
Hurrah zuzurufen und dann zu erschlaffen und uns mit Interesse oder Neio
"^r sonst etwas nachzublicken, und als wir so dalagen und die Pfeife des
Friedens rauchten und. all' diese Pracht mit den Jahren mühseligen Stadt-
^dens, die ihr vorausgegangen waren, verglichen, fühlten wir, daß es nur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/339>, abgerufen am 27.07.2024.