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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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ein vollständiges und ganz befriedigendes Wohlbefinden in der Welt gab,
und daß wir dies gefunden hätten."

So erreichten sie die Grenzen von Nebraska, 180 Meilen von Se. Joseph.
Die Gegend ist eine Einöde; das einzige Thier, das man trifft, das "Esels-
Kaninchen", die einzige Pflanze der "Salbei-Busch", der wie ein verzwergter
Eichbaum überall in der weiten Sandwüste seine Wurzeln treibt, und dem
hierher verschlagenen Wanderer Alles in Allem ist: ihm als Wegweiser dient,
Feuerung und Holz zu warmen Mahlzeiten bietet, nur nicht die Mahlzeit selbst.
Denn nur Esel und Kameele vermögen auch Salbei zu verzehren wie Alles
andere. Diese Behauptung giebt Mark Twain Anlaß zu einer köstlichen
Abschweifung. "In Syrien", sagt er, "an den Quellen des Jordan nahm
einst ein Kameel meinen Ueberrock, während die Zelte aufgeschlagen wurden,
und untersuchte ihn über und über mit kritischem Auge und mit soviel In¬
teresse, als ob ihm die Idee vorschwebte, sich eben so einen machen zu lassen,
und dann, nachdem es fertig damit war, sich ihn als Kleidungsstück einzu¬
prägen, begann es, ihn als ein Stück Nahrung zu betrachten. Es stellte
seinen Fuß auf ihn und pflückte mit seinen Zähnen den einen Aermel ab,
kaute und kaute an ihm herum und nahm ihn allmählich zu sich, und die
ganze Zeit über öffnete und schloß es seine Augen in einer Art religiöser
Verzückung, als ob es niemals in seinem Leben etwas so Gutes geschmeckt
hätte als einen Ueberrock. Dann schmatzte es ein paar Mal mit den Lippen
und reichte nach dem andern Aermel. Hierauf versuchte es zunächst den
Sammetkragen und lächelte dazu ein so zufriedenes Lächeln, daß klar zu sehen
war, es betrachtete den als den zartesten Theil an einem Ueberrock. Darnach
verschwanden in seinem Maule die Schöße in Gesellschaft einiger Zünd¬
hütchen, etlicher Stücke Hustenzucker und eines Klumpen Feigen-Pasta aus
Konstantinopel. Und dann fiel meine Zeitungscorrespondenz heraus und es
versuchte es auch damit -- Briefe im Manuscript. die ich für die Blätter in
der Heimath geschrieben hatte. Aber jetzt war es auf gefährlichem Boden-
Es stieß in diesen Documenten aus solides Wissen, welches ihm ziemlich
schwer im Magen lag, und gelegentlich verspeiste es einen Witz, über den es
sich vor Lachen schüttelte, bis ihm die Zähne wacklig wurden. Die Sache
fing an, gefährlich für mein Kameel zu werden, aber es hielt mit guteB
Muth und hoffnungsvoll fest, was es ergriffen hatte, bis es zuletzt übel
Behauptungen zu stolpern begann, die selbst ein Kameel nicht ungestraft
verschlucken kann. Es begann zu würgen und nach Luft zu schnappen, die
Augen traten ihm aus dem Kopfe, seine Vorderbeine spreizten sich, und in
etwa einer Viertelminute fiel es um, so steif wie die Schnitzbank eines
Zimmermanns, und starb nach einem unbeschreiblich schweren TodeskamP^'
Ich ging hin und zog ihm das Manuscript aus dem Maule und fand, daß


ein vollständiges und ganz befriedigendes Wohlbefinden in der Welt gab,
und daß wir dies gefunden hätten."

So erreichten sie die Grenzen von Nebraska, 180 Meilen von Se. Joseph.
Die Gegend ist eine Einöde; das einzige Thier, das man trifft, das „Esels-
Kaninchen", die einzige Pflanze der „Salbei-Busch", der wie ein verzwergter
Eichbaum überall in der weiten Sandwüste seine Wurzeln treibt, und dem
hierher verschlagenen Wanderer Alles in Allem ist: ihm als Wegweiser dient,
Feuerung und Holz zu warmen Mahlzeiten bietet, nur nicht die Mahlzeit selbst.
Denn nur Esel und Kameele vermögen auch Salbei zu verzehren wie Alles
andere. Diese Behauptung giebt Mark Twain Anlaß zu einer köstlichen
Abschweifung. „In Syrien", sagt er, „an den Quellen des Jordan nahm
einst ein Kameel meinen Ueberrock, während die Zelte aufgeschlagen wurden,
und untersuchte ihn über und über mit kritischem Auge und mit soviel In¬
teresse, als ob ihm die Idee vorschwebte, sich eben so einen machen zu lassen,
und dann, nachdem es fertig damit war, sich ihn als Kleidungsstück einzu¬
prägen, begann es, ihn als ein Stück Nahrung zu betrachten. Es stellte
seinen Fuß auf ihn und pflückte mit seinen Zähnen den einen Aermel ab,
kaute und kaute an ihm herum und nahm ihn allmählich zu sich, und die
ganze Zeit über öffnete und schloß es seine Augen in einer Art religiöser
Verzückung, als ob es niemals in seinem Leben etwas so Gutes geschmeckt
hätte als einen Ueberrock. Dann schmatzte es ein paar Mal mit den Lippen
und reichte nach dem andern Aermel. Hierauf versuchte es zunächst den
Sammetkragen und lächelte dazu ein so zufriedenes Lächeln, daß klar zu sehen
war, es betrachtete den als den zartesten Theil an einem Ueberrock. Darnach
verschwanden in seinem Maule die Schöße in Gesellschaft einiger Zünd¬
hütchen, etlicher Stücke Hustenzucker und eines Klumpen Feigen-Pasta aus
Konstantinopel. Und dann fiel meine Zeitungscorrespondenz heraus und es
versuchte es auch damit — Briefe im Manuscript. die ich für die Blätter in
der Heimath geschrieben hatte. Aber jetzt war es auf gefährlichem Boden-
Es stieß in diesen Documenten aus solides Wissen, welches ihm ziemlich
schwer im Magen lag, und gelegentlich verspeiste es einen Witz, über den es
sich vor Lachen schüttelte, bis ihm die Zähne wacklig wurden. Die Sache
fing an, gefährlich für mein Kameel zu werden, aber es hielt mit guteB
Muth und hoffnungsvoll fest, was es ergriffen hatte, bis es zuletzt übel
Behauptungen zu stolpern begann, die selbst ein Kameel nicht ungestraft
verschlucken kann. Es begann zu würgen und nach Luft zu schnappen, die
Augen traten ihm aus dem Kopfe, seine Vorderbeine spreizten sich, und in
etwa einer Viertelminute fiel es um, so steif wie die Schnitzbank eines
Zimmermanns, und starb nach einem unbeschreiblich schweren TodeskamP^'
Ich ging hin und zog ihm das Manuscript aus dem Maule und fand, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/340>, abgerufen am 28.07.2024.