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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Mochte nach Ablauf der sieben Jahre ein Orleans den Thron besteigen, darin
sah auch er wohl die günstigste definitive Lösung der großen Krisis, in der
Frankreich sich befand; aber an den sieben Jahren wollte er so wenig rütteln
lassen wie Mac Mahon selbst.

Unter solchen Umständen konnte es ihm natürlich nicht erwünscht
sein, daß die Orleanisten sich ihm als einzige, wenigstens scheinbar unbe¬
dingte Anhänger des Septennats boten. Aber seine Bemühungen, die übrigen
Gruppen der Rechten an sich zu ziehen, erwiesen sich als fruchtlos. Das ein¬
zige Band, welches sie in kritischen Augenblicken zusammenhielt, war die Furcht
vor den Republicanern, besonders vor denen des linken Centrums, die in ihrer
charakteristischen Weise sich an den Marschall drängten, um sich ihm als sicherste
Stütze seiner Macht zu empfehlen. Daß Mac Mahon keine Neigung empfand,
sich mit dieser ganz unzuverlässigen Partei einzulassen, machte seinem politischen
Takte durchaus keine Schande. Er wußte recht wohl, daß ein Ministerium
Casimir Perrier unvermeidlich, selbst wider Willen, Thiers den Weg zur
Präsidentschaft bahnen mußte und der Selbsterhaltungstrieb stählte ihn daher
gegen alle Versuchungen. Nichtsdestoweniger mußten die Conservativen in den
unermüdlichen Umtrieben der gemäßigten Republikaner eine beständige Drohung
und eine Mahnung sehen, wenigstens in der Abwehr zusammenzuhalten.

Das hieß aber der Resignation der Parteien allzuviel zumuthen. Das
Mairesgesetz, auf welches die Regierung einen so außerordentlich großen Werth
legte, brachte die Rebellion im conservativen Lager Ma Ausbruch, stellte
aber auch zugleich die Schwäche der Frondeurs in ein so Helles Licht, daß
Broglie neu gestärkt aus der Krise hervorging, die ihn hatte stürzen sollen.

Am 8. Januar 1874' stand das Mairesgesetz auf der Tagesordnung der
Nationalversammlung. Man wußte, daß die Regierung die schleunige Votirung
des Gesetzes verlange. Nichtsdestoweniger wurde mit 268 gegen 228 Stimmen
beschlossen, dasselbe bis nach der Discussion über das Gemeindegesetz zu ver¬
tagen. Darüber herrschte natürlich großer Jubel im republicanischen Lager,
aber um so größerer Schrecken unter den Conservativen. Selbst diejenigen,
welche aus übler Laune gegen Broglie gestimmt hatten, wurden von Sorge
über die Folgen ihrer Abstimmung ergriffen. Kaum hatte man vernommen,
daß Broglie entschlossen sei, zurückzutreten, so faßten die Conservativen den
Beschluß, ihre Unbotmäßigkeit und Nachlässigkeit -- denn der ungünstige
Ausfall der Abstimmung war zum Theil durch die Abwesenheit einer großen
Anzahl conservativer Abgeordneter verschuldet worden -- durch ein Vertrauens¬
votum und die Zurücknahme des Votums vom 8. wieder gut zu machen.
Diesem Beweise von Reue und Hingebung konnte Herr von Broglie natür¬
lich nicht widerstehen. Alle Abwesenden wurden durch den Telegraphen zur
Rückkehr aufgefordert. Am 12. Januar wurde mit 379 gegen 321 Stimmen


Mochte nach Ablauf der sieben Jahre ein Orleans den Thron besteigen, darin
sah auch er wohl die günstigste definitive Lösung der großen Krisis, in der
Frankreich sich befand; aber an den sieben Jahren wollte er so wenig rütteln
lassen wie Mac Mahon selbst.

Unter solchen Umständen konnte es ihm natürlich nicht erwünscht
sein, daß die Orleanisten sich ihm als einzige, wenigstens scheinbar unbe¬
dingte Anhänger des Septennats boten. Aber seine Bemühungen, die übrigen
Gruppen der Rechten an sich zu ziehen, erwiesen sich als fruchtlos. Das ein¬
zige Band, welches sie in kritischen Augenblicken zusammenhielt, war die Furcht
vor den Republicanern, besonders vor denen des linken Centrums, die in ihrer
charakteristischen Weise sich an den Marschall drängten, um sich ihm als sicherste
Stütze seiner Macht zu empfehlen. Daß Mac Mahon keine Neigung empfand,
sich mit dieser ganz unzuverlässigen Partei einzulassen, machte seinem politischen
Takte durchaus keine Schande. Er wußte recht wohl, daß ein Ministerium
Casimir Perrier unvermeidlich, selbst wider Willen, Thiers den Weg zur
Präsidentschaft bahnen mußte und der Selbsterhaltungstrieb stählte ihn daher
gegen alle Versuchungen. Nichtsdestoweniger mußten die Conservativen in den
unermüdlichen Umtrieben der gemäßigten Republikaner eine beständige Drohung
und eine Mahnung sehen, wenigstens in der Abwehr zusammenzuhalten.

Das hieß aber der Resignation der Parteien allzuviel zumuthen. Das
Mairesgesetz, auf welches die Regierung einen so außerordentlich großen Werth
legte, brachte die Rebellion im conservativen Lager Ma Ausbruch, stellte
aber auch zugleich die Schwäche der Frondeurs in ein so Helles Licht, daß
Broglie neu gestärkt aus der Krise hervorging, die ihn hatte stürzen sollen.

Am 8. Januar 1874' stand das Mairesgesetz auf der Tagesordnung der
Nationalversammlung. Man wußte, daß die Regierung die schleunige Votirung
des Gesetzes verlange. Nichtsdestoweniger wurde mit 268 gegen 228 Stimmen
beschlossen, dasselbe bis nach der Discussion über das Gemeindegesetz zu ver¬
tagen. Darüber herrschte natürlich großer Jubel im republicanischen Lager,
aber um so größerer Schrecken unter den Conservativen. Selbst diejenigen,
welche aus übler Laune gegen Broglie gestimmt hatten, wurden von Sorge
über die Folgen ihrer Abstimmung ergriffen. Kaum hatte man vernommen,
daß Broglie entschlossen sei, zurückzutreten, so faßten die Conservativen den
Beschluß, ihre Unbotmäßigkeit und Nachlässigkeit — denn der ungünstige
Ausfall der Abstimmung war zum Theil durch die Abwesenheit einer großen
Anzahl conservativer Abgeordneter verschuldet worden — durch ein Vertrauens¬
votum und die Zurücknahme des Votums vom 8. wieder gut zu machen.
Diesem Beweise von Reue und Hingebung konnte Herr von Broglie natür¬
lich nicht widerstehen. Alle Abwesenden wurden durch den Telegraphen zur
Rückkehr aufgefordert. Am 12. Januar wurde mit 379 gegen 321 Stimmen


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[0336] Mochte nach Ablauf der sieben Jahre ein Orleans den Thron besteigen, darin sah auch er wohl die günstigste definitive Lösung der großen Krisis, in der Frankreich sich befand; aber an den sieben Jahren wollte er so wenig rütteln lassen wie Mac Mahon selbst. Unter solchen Umständen konnte es ihm natürlich nicht erwünscht sein, daß die Orleanisten sich ihm als einzige, wenigstens scheinbar unbe¬ dingte Anhänger des Septennats boten. Aber seine Bemühungen, die übrigen Gruppen der Rechten an sich zu ziehen, erwiesen sich als fruchtlos. Das ein¬ zige Band, welches sie in kritischen Augenblicken zusammenhielt, war die Furcht vor den Republicanern, besonders vor denen des linken Centrums, die in ihrer charakteristischen Weise sich an den Marschall drängten, um sich ihm als sicherste Stütze seiner Macht zu empfehlen. Daß Mac Mahon keine Neigung empfand, sich mit dieser ganz unzuverlässigen Partei einzulassen, machte seinem politischen Takte durchaus keine Schande. Er wußte recht wohl, daß ein Ministerium Casimir Perrier unvermeidlich, selbst wider Willen, Thiers den Weg zur Präsidentschaft bahnen mußte und der Selbsterhaltungstrieb stählte ihn daher gegen alle Versuchungen. Nichtsdestoweniger mußten die Conservativen in den unermüdlichen Umtrieben der gemäßigten Republikaner eine beständige Drohung und eine Mahnung sehen, wenigstens in der Abwehr zusammenzuhalten. Das hieß aber der Resignation der Parteien allzuviel zumuthen. Das Mairesgesetz, auf welches die Regierung einen so außerordentlich großen Werth legte, brachte die Rebellion im conservativen Lager Ma Ausbruch, stellte aber auch zugleich die Schwäche der Frondeurs in ein so Helles Licht, daß Broglie neu gestärkt aus der Krise hervorging, die ihn hatte stürzen sollen. Am 8. Januar 1874' stand das Mairesgesetz auf der Tagesordnung der Nationalversammlung. Man wußte, daß die Regierung die schleunige Votirung des Gesetzes verlange. Nichtsdestoweniger wurde mit 268 gegen 228 Stimmen beschlossen, dasselbe bis nach der Discussion über das Gemeindegesetz zu ver¬ tagen. Darüber herrschte natürlich großer Jubel im republicanischen Lager, aber um so größerer Schrecken unter den Conservativen. Selbst diejenigen, welche aus übler Laune gegen Broglie gestimmt hatten, wurden von Sorge über die Folgen ihrer Abstimmung ergriffen. Kaum hatte man vernommen, daß Broglie entschlossen sei, zurückzutreten, so faßten die Conservativen den Beschluß, ihre Unbotmäßigkeit und Nachlässigkeit — denn der ungünstige Ausfall der Abstimmung war zum Theil durch die Abwesenheit einer großen Anzahl conservativer Abgeordneter verschuldet worden — durch ein Vertrauens¬ votum und die Zurücknahme des Votums vom 8. wieder gut zu machen. Diesem Beweise von Reue und Hingebung konnte Herr von Broglie natür¬ lich nicht widerstehen. Alle Abwesenden wurden durch den Telegraphen zur Rückkehr aufgefordert. Am 12. Januar wurde mit 379 gegen 321 Stimmen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/336>, abgerufen am 27.07.2024.