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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Anspruch mehr machen konnten, nahm der Gegensatz zwischen Orleanisten und
Bonapartisten eine^ immer drohendere Gestalt und einen immer bitterem
Charakter an. Es war das gewissermaßen ein Kampf um die Hegemonie
innerhalb der konservativen Partei, auf welche die Orleanisten wegen ihrer
summarischen Ueberlegenheit und ihrer starken Vertretung in der Regierung
Anspruch erhoben, während die Bonapartisten mit kecker Zuversicht behaupteten,
daß sie allein im Stande wären, den Republikanern im Lande das Gegen¬
gewicht zu halten und daß namentlich bei den Wahlen die Conservativen nur
unter bonapartistischer Führung und unter Anwendung der bonapartistischen
Wahltaktik auf Erfolg rechnen könnten. Die sämmtlichen neuen Ersatzwahlen
haben bewiesen, daß dies keine leere Prahlerei war: damals jedoch sträubten
die übrigen Parteien sich noch, die Richtigkeit der bonapartistischen Behaup¬
tung anzuerkennen. Die Ahnung, daß in den Bonapartisten die Republik
ihre einzigen gefährlichen Gegner zu sehen habe, regte sich allerdings überall;
aber einen klaren Einblick in die ganze Größe der drohenden Gefahr gewann
man erst einige Monate später. Es mußte indessen auf diesen Punkt hier
schon nachdrücklich hingewiesen werden, weil in der That das Ringen der
Bonapartisten um die Hegemonie in der conservativen Parteigruppe, besonders
im Gegensatz zu den Orleanisten, den eigentlichen Inhalt der Geschichte des
Septennats ausmacht.

Diese widerstrebenden Elemente zu einer Septennatspartei zu vereinigen
und zusammenzuhalten, das war eine Aufgabe, an der auch Mac Mahon's
zähes Phlegma und Broglie's Gewandtheit scheitern mußte. Broglie wurde
von den Orleanisten als einer der Ihrigen angesehen und deshalb von den
Legitimisten und Bonapartisten mit großem Mißtrauen beobachtet. Ob das
Vertrauen der Einen und der Argwohn der Andern ganz gerechtfertigt war,
ist aber doch zweifelhaft. Broglie hatte seinen Vortheil dabei gesehen, sich
Mac Mahon zur Verfügung zu stellen und war schwerlich geneigt, Intriguen
zu begünstigen, die, wenn sie zum Ziele geführt hätten, doch schließlich auch
seine Stellung in Frage gestellt haben würden. Von Hause aus war er
allerdings eifriger, dabei ziemlich stark klerikal gefärbter Orleanist. Aber er
war auch wetterkundig genug, um zu sehen, daß gegenwärtig die orleanistische
Sache trotz der starken parlamentarischen Stellung der Partei nicht besonders
günstig stand, und daß es für ihn ein Gebot der Klugheit sei, sich nicht zu
eng mit ihr zu verbünden. Für einen Staatsmann, der sich für alle Fälle
möglich erhalten wollte, war es offenbar das Sicherste, sich keiner Partei
ganz hinzugeben, und gegen jede Zumuthung mit dem Schild des Septennats
sich zu decken. Broglie war vor allen andern Staatsmännern geeignet, die
Orleanisten beim septennium festzuhalten, aber das septennium zum Werk¬
zeug der Orleans zu machen, war damals schwerlich noch seine Absicht.


Anspruch mehr machen konnten, nahm der Gegensatz zwischen Orleanisten und
Bonapartisten eine^ immer drohendere Gestalt und einen immer bitterem
Charakter an. Es war das gewissermaßen ein Kampf um die Hegemonie
innerhalb der konservativen Partei, auf welche die Orleanisten wegen ihrer
summarischen Ueberlegenheit und ihrer starken Vertretung in der Regierung
Anspruch erhoben, während die Bonapartisten mit kecker Zuversicht behaupteten,
daß sie allein im Stande wären, den Republikanern im Lande das Gegen¬
gewicht zu halten und daß namentlich bei den Wahlen die Conservativen nur
unter bonapartistischer Führung und unter Anwendung der bonapartistischen
Wahltaktik auf Erfolg rechnen könnten. Die sämmtlichen neuen Ersatzwahlen
haben bewiesen, daß dies keine leere Prahlerei war: damals jedoch sträubten
die übrigen Parteien sich noch, die Richtigkeit der bonapartistischen Behaup¬
tung anzuerkennen. Die Ahnung, daß in den Bonapartisten die Republik
ihre einzigen gefährlichen Gegner zu sehen habe, regte sich allerdings überall;
aber einen klaren Einblick in die ganze Größe der drohenden Gefahr gewann
man erst einige Monate später. Es mußte indessen auf diesen Punkt hier
schon nachdrücklich hingewiesen werden, weil in der That das Ringen der
Bonapartisten um die Hegemonie in der conservativen Parteigruppe, besonders
im Gegensatz zu den Orleanisten, den eigentlichen Inhalt der Geschichte des
Septennats ausmacht.

Diese widerstrebenden Elemente zu einer Septennatspartei zu vereinigen
und zusammenzuhalten, das war eine Aufgabe, an der auch Mac Mahon's
zähes Phlegma und Broglie's Gewandtheit scheitern mußte. Broglie wurde
von den Orleanisten als einer der Ihrigen angesehen und deshalb von den
Legitimisten und Bonapartisten mit großem Mißtrauen beobachtet. Ob das
Vertrauen der Einen und der Argwohn der Andern ganz gerechtfertigt war,
ist aber doch zweifelhaft. Broglie hatte seinen Vortheil dabei gesehen, sich
Mac Mahon zur Verfügung zu stellen und war schwerlich geneigt, Intriguen
zu begünstigen, die, wenn sie zum Ziele geführt hätten, doch schließlich auch
seine Stellung in Frage gestellt haben würden. Von Hause aus war er
allerdings eifriger, dabei ziemlich stark klerikal gefärbter Orleanist. Aber er
war auch wetterkundig genug, um zu sehen, daß gegenwärtig die orleanistische
Sache trotz der starken parlamentarischen Stellung der Partei nicht besonders
günstig stand, und daß es für ihn ein Gebot der Klugheit sei, sich nicht zu
eng mit ihr zu verbünden. Für einen Staatsmann, der sich für alle Fälle
möglich erhalten wollte, war es offenbar das Sicherste, sich keiner Partei
ganz hinzugeben, und gegen jede Zumuthung mit dem Schild des Septennats
sich zu decken. Broglie war vor allen andern Staatsmännern geeignet, die
Orleanisten beim septennium festzuhalten, aber das septennium zum Werk¬
zeug der Orleans zu machen, war damals schwerlich noch seine Absicht.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/335>, abgerufen am 27.07.2024.