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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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fährlich, wie eine doctrinäre Politik. (Es war ein ganz geschickter Kunstgriff,
dessen sich auch die Republicaner bedienten, die Orleanistischen Parteihäupter
mit dem seit Guizot's Verwaltung in Verruf gekommenen Namen der Doe-
trtnäre zu bezeichnen.) Die Anhänger derselben hätten sich angemaßt, vom
Könige Garantien zu verlangen, und heute sähen sich dieselben Männer ge¬
nöthigt, dem blinden Absolutismus in die Hände zu arbeiten. Der letztere
Ausfall war verständlich genug: die Union wollte damit andeuten, daß aus
der Regierungspolitik schließlich nur die Bonapartisten Nutzen ziehen würden.
"Sie suchen, sagte sie von den Männern der gemäßigten Rechten einige Tage
später, einen Herrscher und wenden dem Könige den Rücken. Wir schlagen
ihnen vor, sich unter einem Scepter zu sammeln, und sie suchen Büttel . . .
es giebt einen Grad des Verfalls, wo man sich nur noch mit der Knecht¬
schaft befreunden kann." Noch schärfer ging mit der Negierung die legiti-
mistische Provincialpresse ins Gericht, die, weil man in Paris wegen der Voll¬
machten der Militärbehörden sich einer gewissen Vorsicht befleißigen mußte,
grade zu den rücksichtslosesten Kundgebungen benutzt wurde. So schrieb die
"Esperance du Peuple": "Herr Graf von Chambord war den edlen Herzögen
(Broglie und Decazes), die jetzt Frankreich regieren, nicht liberal genug und
jetzt schlagen sie Gesetze vor, die wir drakonisch nennen können. . . . Dem
neuen Ministerium gegenüber haben unsere Freunde nur eins zu thun: die
Herren Herzöge zu stürzen, den loyalen Soldaten, der an der Spitze steht,
seinen Verdiensten nach respektirend." Leider befand sich nur der loyale Sol¬
dat grade jetzt im vollsten EinVerständniß mit seinen Ministern, die mehr und
mehr anfingen, als Organ Mac Mahon's sich zu fühlen und augenscheinlich
darauf bedacht waren, eine eigenthümliche von jedem besonderen Parteipro¬
gramme absehende septennalistische Politik zur Geltung zu bringen.

Größeren Beifall als bei den Republikanern und Legitimisten fand das
Mairesgesetz bei den Bonapartisten, die in demselben eine Rückkehr zu den
Principien des Kaiserthums sahen und nur wegen der Handhabung desselben
besorgt waren. Die Bonapartisten, als die einzig wirklich praktischen Poli¬
tiker, faßten überall mit sicherem Takt die Personalfrage ins Auge. Das
von ihrem Standpunkte aus vortreffliche Gesetz hatte in ihrer Schätzung doch
nur geringen Werth, wenn seine Durchführung und Handhabung nicht zuver¬
lässigen Persönlichkeiten anvertraut war. So erklärte der "Pays", das streit¬
barste der imperialistischen Blätter, das Gesetz für theoretisch ganz vortreff¬
lich; so lange aber das Personal der Präfecten so bunt zusammengesetzt sei.
ließen sich die schlimmsten Folgen von demselben befürchten. Zuerst muß die
Regierung für zuverlässige Präfecten sorgen, das war das ceterum censeo
aller Artikel der bonapartistischen Blätter, die mit unermüdlicher Zähigkeit
die Regierung zu Reinigung des Beamtenflandes drängten. Vor allem der


fährlich, wie eine doctrinäre Politik. (Es war ein ganz geschickter Kunstgriff,
dessen sich auch die Republicaner bedienten, die Orleanistischen Parteihäupter
mit dem seit Guizot's Verwaltung in Verruf gekommenen Namen der Doe-
trtnäre zu bezeichnen.) Die Anhänger derselben hätten sich angemaßt, vom
Könige Garantien zu verlangen, und heute sähen sich dieselben Männer ge¬
nöthigt, dem blinden Absolutismus in die Hände zu arbeiten. Der letztere
Ausfall war verständlich genug: die Union wollte damit andeuten, daß aus
der Regierungspolitik schließlich nur die Bonapartisten Nutzen ziehen würden.
„Sie suchen, sagte sie von den Männern der gemäßigten Rechten einige Tage
später, einen Herrscher und wenden dem Könige den Rücken. Wir schlagen
ihnen vor, sich unter einem Scepter zu sammeln, und sie suchen Büttel . . .
es giebt einen Grad des Verfalls, wo man sich nur noch mit der Knecht¬
schaft befreunden kann." Noch schärfer ging mit der Negierung die legiti-
mistische Provincialpresse ins Gericht, die, weil man in Paris wegen der Voll¬
machten der Militärbehörden sich einer gewissen Vorsicht befleißigen mußte,
grade zu den rücksichtslosesten Kundgebungen benutzt wurde. So schrieb die
„Esperance du Peuple": „Herr Graf von Chambord war den edlen Herzögen
(Broglie und Decazes), die jetzt Frankreich regieren, nicht liberal genug und
jetzt schlagen sie Gesetze vor, die wir drakonisch nennen können. . . . Dem
neuen Ministerium gegenüber haben unsere Freunde nur eins zu thun: die
Herren Herzöge zu stürzen, den loyalen Soldaten, der an der Spitze steht,
seinen Verdiensten nach respektirend." Leider befand sich nur der loyale Sol¬
dat grade jetzt im vollsten EinVerständniß mit seinen Ministern, die mehr und
mehr anfingen, als Organ Mac Mahon's sich zu fühlen und augenscheinlich
darauf bedacht waren, eine eigenthümliche von jedem besonderen Parteipro¬
gramme absehende septennalistische Politik zur Geltung zu bringen.

Größeren Beifall als bei den Republikanern und Legitimisten fand das
Mairesgesetz bei den Bonapartisten, die in demselben eine Rückkehr zu den
Principien des Kaiserthums sahen und nur wegen der Handhabung desselben
besorgt waren. Die Bonapartisten, als die einzig wirklich praktischen Poli¬
tiker, faßten überall mit sicherem Takt die Personalfrage ins Auge. Das
von ihrem Standpunkte aus vortreffliche Gesetz hatte in ihrer Schätzung doch
nur geringen Werth, wenn seine Durchführung und Handhabung nicht zuver¬
lässigen Persönlichkeiten anvertraut war. So erklärte der „Pays", das streit¬
barste der imperialistischen Blätter, das Gesetz für theoretisch ganz vortreff¬
lich; so lange aber das Personal der Präfecten so bunt zusammengesetzt sei.
ließen sich die schlimmsten Folgen von demselben befürchten. Zuerst muß die
Regierung für zuverlässige Präfecten sorgen, das war das ceterum censeo
aller Artikel der bonapartistischen Blätter, die mit unermüdlicher Zähigkeit
die Regierung zu Reinigung des Beamtenflandes drängten. Vor allem der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/330>, abgerufen am 28.07.2024.