Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

"Pays" betrieb das Denunciationsgeschäft mit einer cynischen Unverschämt¬
heit. Man könnte es auffallend finden, daß sie einen Minister, der ihnen
doch so verdächtig war, wie Broglie, zu strengen Maßregeln in der Personen¬
frage drängten. Ihre Haltung erklärt sich indessen ganz einfach aus dem
Umstand, daß sie wußten, Broglie werde bei jeder größern "Präfecten-
bewegung" seine Zuflucht zu den alten kaiserlichen Beamten nehmen
müssen, weil in den übrigen konservativen Gruppen das tüchtig geschulte
Veamtenthum fast gänzlich fehlte. Hierin lag ja gerade ein Hauptgrund der
Unenrbehrlichkeir und Unfehlbarkeit der Bonapartisten, und diesem Umstand
verdanken sie es nicht am wenigsten, daß sie nach und nach immer entschiedener
als die Vorkämpfer der conservativen Parteien den Republicanern gegenüber
in den Vordergrund traten. Uebrigens bedürfte es für den Herzog von Broglie
nicht erst der Ermahnung zur strengen Handhabung der Beamtendiseiplin den
Präfecten gegenüber: noch im Laufe des Decembers wurden 18 neue Präfecten
und zahlreiche Unterpräfecten ernannt, wobei die Bonapartisten natürlich nicht
zu kurz kamen.

Daß das orleanistische rechte Centrum und die gemäßigte Rechte Nichts
einzuwenden hatten, war selbstverständlich. Die Orleanisten betrachteten sich
als die eigentliche Regierungspartei, oder benahmen sich doch wenigstens als
solche, und daher mußten sie einem Gesetze, welches darauf berechnet war,
die Macht der Regierung zu verstärken, freudig ihre Zustimmung geben. Be¬
denken grundsätzlicher Art lagen dieser Partei fern. Den absolutistischen Be¬
strebungen der reinen Legirimisten hatten sie allerdings während des Fusions¬
dramas Widerstand entgegengesetzt, weil sie von der Undurchführbarst der
Pläne des Grafen von Chambord überzeugt waren und nicht Lust hatten, sich
für eine Donquichotterie aufzuopfern; ganz abgesehen davon, daß für sie die
Aufrechterhaltung der parlamentarischen Regierung unter dem legitimen König
gradezu eine Lebensfrage war, da sie nur in einer einflußreichen Kammer
einen Schutz gegen die Fanatiker des anoien rSgime zu finden hoffen durfte,
die in den orleanistischen Verbündeten einen nothwendigen, aber lästigen An¬
hang sahen, dessen man sich sofort zu entledigen haben würde, sobald er
seinen Dienst geleistet. In der gegenwärtigen Lage aber gab es für sie durch¬
aus kein Bedenken, die Negierung in allen ihren Plänen zu unterstützen.
Hätten sie dabei den Schein des Liberalismus wahren können, desto
besser. Ließ sich der Liberalismus mit dem Macmahonismus nicht ver¬
einigen, so entschieden sie sich ohne allen Scrupel für den letzteren. Auf¬
richtige Anhänger Mac Mahon's waren sie natürlich nicht, und dafür wur¬
den sie auch von Mac Mahon nicht gehalten, der immer deutlicher zu erken¬
nen gab, daß er nicht die Absicht habe, sich als Werkzeug irgend einer Par¬
tei gebrauchen zu lassen. Dies entging auch den Orleanisten nicht; aber durch


„Pays" betrieb das Denunciationsgeschäft mit einer cynischen Unverschämt¬
heit. Man könnte es auffallend finden, daß sie einen Minister, der ihnen
doch so verdächtig war, wie Broglie, zu strengen Maßregeln in der Personen¬
frage drängten. Ihre Haltung erklärt sich indessen ganz einfach aus dem
Umstand, daß sie wußten, Broglie werde bei jeder größern „Präfecten-
bewegung" seine Zuflucht zu den alten kaiserlichen Beamten nehmen
müssen, weil in den übrigen konservativen Gruppen das tüchtig geschulte
Veamtenthum fast gänzlich fehlte. Hierin lag ja gerade ein Hauptgrund der
Unenrbehrlichkeir und Unfehlbarkeit der Bonapartisten, und diesem Umstand
verdanken sie es nicht am wenigsten, daß sie nach und nach immer entschiedener
als die Vorkämpfer der conservativen Parteien den Republicanern gegenüber
in den Vordergrund traten. Uebrigens bedürfte es für den Herzog von Broglie
nicht erst der Ermahnung zur strengen Handhabung der Beamtendiseiplin den
Präfecten gegenüber: noch im Laufe des Decembers wurden 18 neue Präfecten
und zahlreiche Unterpräfecten ernannt, wobei die Bonapartisten natürlich nicht
zu kurz kamen.

Daß das orleanistische rechte Centrum und die gemäßigte Rechte Nichts
einzuwenden hatten, war selbstverständlich. Die Orleanisten betrachteten sich
als die eigentliche Regierungspartei, oder benahmen sich doch wenigstens als
solche, und daher mußten sie einem Gesetze, welches darauf berechnet war,
die Macht der Regierung zu verstärken, freudig ihre Zustimmung geben. Be¬
denken grundsätzlicher Art lagen dieser Partei fern. Den absolutistischen Be¬
strebungen der reinen Legirimisten hatten sie allerdings während des Fusions¬
dramas Widerstand entgegengesetzt, weil sie von der Undurchführbarst der
Pläne des Grafen von Chambord überzeugt waren und nicht Lust hatten, sich
für eine Donquichotterie aufzuopfern; ganz abgesehen davon, daß für sie die
Aufrechterhaltung der parlamentarischen Regierung unter dem legitimen König
gradezu eine Lebensfrage war, da sie nur in einer einflußreichen Kammer
einen Schutz gegen die Fanatiker des anoien rSgime zu finden hoffen durfte,
die in den orleanistischen Verbündeten einen nothwendigen, aber lästigen An¬
hang sahen, dessen man sich sofort zu entledigen haben würde, sobald er
seinen Dienst geleistet. In der gegenwärtigen Lage aber gab es für sie durch¬
aus kein Bedenken, die Negierung in allen ihren Plänen zu unterstützen.
Hätten sie dabei den Schein des Liberalismus wahren können, desto
besser. Ließ sich der Liberalismus mit dem Macmahonismus nicht ver¬
einigen, so entschieden sie sich ohne allen Scrupel für den letzteren. Auf¬
richtige Anhänger Mac Mahon's waren sie natürlich nicht, und dafür wur¬
den sie auch von Mac Mahon nicht gehalten, der immer deutlicher zu erken¬
nen gab, daß er nicht die Absicht habe, sich als Werkzeug irgend einer Par¬
tei gebrauchen zu lassen. Dies entging auch den Orleanisten nicht; aber durch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0331" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132553"/>
          <p xml:id="ID_1006" prev="#ID_1005"> &#x201E;Pays" betrieb das Denunciationsgeschäft mit einer cynischen Unverschämt¬<lb/>
heit. Man könnte es auffallend finden, daß sie einen Minister, der ihnen<lb/>
doch so verdächtig war, wie Broglie, zu strengen Maßregeln in der Personen¬<lb/>
frage drängten. Ihre Haltung erklärt sich indessen ganz einfach aus dem<lb/>
Umstand, daß sie wußten, Broglie werde bei jeder größern &#x201E;Präfecten-<lb/>
bewegung" seine Zuflucht zu den alten kaiserlichen Beamten nehmen<lb/>
müssen, weil in den übrigen konservativen Gruppen das tüchtig geschulte<lb/>
Veamtenthum fast gänzlich fehlte. Hierin lag ja gerade ein Hauptgrund der<lb/>
Unenrbehrlichkeir und Unfehlbarkeit der Bonapartisten, und diesem Umstand<lb/>
verdanken sie es nicht am wenigsten, daß sie nach und nach immer entschiedener<lb/>
als die Vorkämpfer der conservativen Parteien den Republicanern gegenüber<lb/>
in den Vordergrund traten. Uebrigens bedürfte es für den Herzog von Broglie<lb/>
nicht erst der Ermahnung zur strengen Handhabung der Beamtendiseiplin den<lb/>
Präfecten gegenüber: noch im Laufe des Decembers wurden 18 neue Präfecten<lb/>
und zahlreiche Unterpräfecten ernannt, wobei die Bonapartisten natürlich nicht<lb/>
zu kurz kamen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1007" next="#ID_1008"> Daß das orleanistische rechte Centrum und die gemäßigte Rechte Nichts<lb/>
einzuwenden hatten, war selbstverständlich. Die Orleanisten betrachteten sich<lb/>
als die eigentliche Regierungspartei, oder benahmen sich doch wenigstens als<lb/>
solche, und daher mußten sie einem Gesetze, welches darauf berechnet war,<lb/>
die Macht der Regierung zu verstärken, freudig ihre Zustimmung geben. Be¬<lb/>
denken grundsätzlicher Art lagen dieser Partei fern. Den absolutistischen Be¬<lb/>
strebungen der reinen Legirimisten hatten sie allerdings während des Fusions¬<lb/>
dramas Widerstand entgegengesetzt, weil sie von der Undurchführbarst der<lb/>
Pläne des Grafen von Chambord überzeugt waren und nicht Lust hatten, sich<lb/>
für eine Donquichotterie aufzuopfern; ganz abgesehen davon, daß für sie die<lb/>
Aufrechterhaltung der parlamentarischen Regierung unter dem legitimen König<lb/>
gradezu eine Lebensfrage war, da sie nur in einer einflußreichen Kammer<lb/>
einen Schutz gegen die Fanatiker des anoien rSgime zu finden hoffen durfte,<lb/>
die in den orleanistischen Verbündeten einen nothwendigen, aber lästigen An¬<lb/>
hang sahen, dessen man sich sofort zu entledigen haben würde, sobald er<lb/>
seinen Dienst geleistet. In der gegenwärtigen Lage aber gab es für sie durch¬<lb/>
aus kein Bedenken, die Negierung in allen ihren Plänen zu unterstützen.<lb/>
Hätten sie dabei den Schein des Liberalismus wahren können, desto<lb/>
besser. Ließ sich der Liberalismus mit dem Macmahonismus nicht ver¬<lb/>
einigen, so entschieden sie sich ohne allen Scrupel für den letzteren. Auf¬<lb/>
richtige Anhänger Mac Mahon's waren sie natürlich nicht, und dafür wur¬<lb/>
den sie auch von Mac Mahon nicht gehalten, der immer deutlicher zu erken¬<lb/>
nen gab, daß er nicht die Absicht habe, sich als Werkzeug irgend einer Par¬<lb/>
tei gebrauchen zu lassen. Dies entging auch den Orleanisten nicht; aber durch</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0331] „Pays" betrieb das Denunciationsgeschäft mit einer cynischen Unverschämt¬ heit. Man könnte es auffallend finden, daß sie einen Minister, der ihnen doch so verdächtig war, wie Broglie, zu strengen Maßregeln in der Personen¬ frage drängten. Ihre Haltung erklärt sich indessen ganz einfach aus dem Umstand, daß sie wußten, Broglie werde bei jeder größern „Präfecten- bewegung" seine Zuflucht zu den alten kaiserlichen Beamten nehmen müssen, weil in den übrigen konservativen Gruppen das tüchtig geschulte Veamtenthum fast gänzlich fehlte. Hierin lag ja gerade ein Hauptgrund der Unenrbehrlichkeir und Unfehlbarkeit der Bonapartisten, und diesem Umstand verdanken sie es nicht am wenigsten, daß sie nach und nach immer entschiedener als die Vorkämpfer der conservativen Parteien den Republicanern gegenüber in den Vordergrund traten. Uebrigens bedürfte es für den Herzog von Broglie nicht erst der Ermahnung zur strengen Handhabung der Beamtendiseiplin den Präfecten gegenüber: noch im Laufe des Decembers wurden 18 neue Präfecten und zahlreiche Unterpräfecten ernannt, wobei die Bonapartisten natürlich nicht zu kurz kamen. Daß das orleanistische rechte Centrum und die gemäßigte Rechte Nichts einzuwenden hatten, war selbstverständlich. Die Orleanisten betrachteten sich als die eigentliche Regierungspartei, oder benahmen sich doch wenigstens als solche, und daher mußten sie einem Gesetze, welches darauf berechnet war, die Macht der Regierung zu verstärken, freudig ihre Zustimmung geben. Be¬ denken grundsätzlicher Art lagen dieser Partei fern. Den absolutistischen Be¬ strebungen der reinen Legirimisten hatten sie allerdings während des Fusions¬ dramas Widerstand entgegengesetzt, weil sie von der Undurchführbarst der Pläne des Grafen von Chambord überzeugt waren und nicht Lust hatten, sich für eine Donquichotterie aufzuopfern; ganz abgesehen davon, daß für sie die Aufrechterhaltung der parlamentarischen Regierung unter dem legitimen König gradezu eine Lebensfrage war, da sie nur in einer einflußreichen Kammer einen Schutz gegen die Fanatiker des anoien rSgime zu finden hoffen durfte, die in den orleanistischen Verbündeten einen nothwendigen, aber lästigen An¬ hang sahen, dessen man sich sofort zu entledigen haben würde, sobald er seinen Dienst geleistet. In der gegenwärtigen Lage aber gab es für sie durch¬ aus kein Bedenken, die Negierung in allen ihren Plänen zu unterstützen. Hätten sie dabei den Schein des Liberalismus wahren können, desto besser. Ließ sich der Liberalismus mit dem Macmahonismus nicht ver¬ einigen, so entschieden sie sich ohne allen Scrupel für den letzteren. Auf¬ richtige Anhänger Mac Mahon's waren sie natürlich nicht, und dafür wur¬ den sie auch von Mac Mahon nicht gehalten, der immer deutlicher zu erken¬ nen gab, daß er nicht die Absicht habe, sich als Werkzeug irgend einer Par¬ tei gebrauchen zu lassen. Dies entging auch den Orleanisten nicht; aber durch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/331
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/331>, abgerufen am 28.07.2024.