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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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oder Republikaner sei. Dadurch wurde denn den Conservativen, die sich
überall von ihren Gegnern überflügelt sahen, die Deeentralisationsschwärmerei
gründlich verleidet. Die Commission, welche mit den Vorarbeiten für die
Reorganisation der lokalen Verwaltung beauftragt wurde, war mit dem viel¬
versprechenden Namen Decentralisationscommisfion beehrt; ihre Tendenz ent¬
sprach aber ihrem Namen in keiner Weise. Uebrigens theilte sie das Schicksal
aller Ausschüsse: sie kam mit ihren Arbeiten nicht von der Stelle. Dem
Herzog von Broglie blieb daher Nichts übrig, als selbst die Initiative zu
ergreifen, um wenigstens die Frage, welche für die Regierung augenblicklich
die größte Wichtigkeit hatte, die Mairesernennung, rasch zur Entscheidung zu
bringen.

Daß sein Entwurf von vielen Seiten Anfechtung fand, war begreiflich
genug. Im Grunde dachten zwar alle Parteien über diese Frage genau eben
so wie die Regierung, und es wäre lächerlich, zu glauben, daß Gambetta,
wenn er wieder einmal ans Ruder gelangen sollte, den Gemeinden die Wahl
ihrer Beamten überlassen würde. Aber er befand sich nicht am Ruder, und
deshalb hatte er, wie alle Republikaner nicht das Interesse der Regierung zu
stärken, sondern ihre Bewegungen zu hemmen und lahmen. Je klarer die Re¬
publikaner erkannten, daß sie nicht im Stande sein würden, den Kampf um
die Staatsreform durch einen Gewaltstreich zur Entscheidung zu bringen, um
so eifriger waren sie bemüht, die Machtmittel der Regierung im Einzelnen
zu schwächen, vor allem aber die einflußreiche Stellung, welche ihnen das
Mairesgesetz von 1870 in der örtlichen Verwaltung geschaffen hatte, gegen
jeden Angriff nach Kräften zu vertheidigen. Aehnlich stellten sich die Legiti-
misten zu dem neuen Gesetze. Sie übten in einigen Gegenden des Landes
im Verein mit ihren geistlichen Bundesgenossen in der That einen nicht un¬
bedeutenden Einfluß auf die ländliche Bevölkerung, jedenfalls einen größeren,
als ihre orleanistischen Nebenbuhler, denen es trotz aller Anstrengungen nicht
gelingen wollte, in irgend einer Volksschicht Boden zu gewinnen. Sie hatten
daher von Anfang an eine große Begeisterung für Selbstverwaltung und
Gemeindefreiheit zur Schau getragen, die allerdings, so lange sie Theil an der
Macht hatten, nicht über große Worte hinausging; jetzt aber, wo eine Re¬
gierung an der Spitze des Staates stand, die sie in Verdacht hatten, daß sie
ganz von orleanistischen Antrieben beherrscht werde, trieb sie die Eifersucht,
ihrer Schwärmerei für die wahre Freiheit in einer entschlossenen That Luft
zu machen. Die Urtheile der legitimistischen Blätter, denen sich, wie immer
in der damaligen Zeit die Organe der klerikalen Partei anschlössen, lauteten
daher so ungünstig wie möglich über das Gesetz des Herzogs von Broglie. Die
.,Union", das Hauptorgan des Frohsdorser Hofes, schüttete die volle Schale
ihres Zornes über die gemäßigte Rechte aus. Nichts, erklärte sie, ist so ge-


oder Republikaner sei. Dadurch wurde denn den Conservativen, die sich
überall von ihren Gegnern überflügelt sahen, die Deeentralisationsschwärmerei
gründlich verleidet. Die Commission, welche mit den Vorarbeiten für die
Reorganisation der lokalen Verwaltung beauftragt wurde, war mit dem viel¬
versprechenden Namen Decentralisationscommisfion beehrt; ihre Tendenz ent¬
sprach aber ihrem Namen in keiner Weise. Uebrigens theilte sie das Schicksal
aller Ausschüsse: sie kam mit ihren Arbeiten nicht von der Stelle. Dem
Herzog von Broglie blieb daher Nichts übrig, als selbst die Initiative zu
ergreifen, um wenigstens die Frage, welche für die Regierung augenblicklich
die größte Wichtigkeit hatte, die Mairesernennung, rasch zur Entscheidung zu
bringen.

Daß sein Entwurf von vielen Seiten Anfechtung fand, war begreiflich
genug. Im Grunde dachten zwar alle Parteien über diese Frage genau eben
so wie die Regierung, und es wäre lächerlich, zu glauben, daß Gambetta,
wenn er wieder einmal ans Ruder gelangen sollte, den Gemeinden die Wahl
ihrer Beamten überlassen würde. Aber er befand sich nicht am Ruder, und
deshalb hatte er, wie alle Republikaner nicht das Interesse der Regierung zu
stärken, sondern ihre Bewegungen zu hemmen und lahmen. Je klarer die Re¬
publikaner erkannten, daß sie nicht im Stande sein würden, den Kampf um
die Staatsreform durch einen Gewaltstreich zur Entscheidung zu bringen, um
so eifriger waren sie bemüht, die Machtmittel der Regierung im Einzelnen
zu schwächen, vor allem aber die einflußreiche Stellung, welche ihnen das
Mairesgesetz von 1870 in der örtlichen Verwaltung geschaffen hatte, gegen
jeden Angriff nach Kräften zu vertheidigen. Aehnlich stellten sich die Legiti-
misten zu dem neuen Gesetze. Sie übten in einigen Gegenden des Landes
im Verein mit ihren geistlichen Bundesgenossen in der That einen nicht un¬
bedeutenden Einfluß auf die ländliche Bevölkerung, jedenfalls einen größeren,
als ihre orleanistischen Nebenbuhler, denen es trotz aller Anstrengungen nicht
gelingen wollte, in irgend einer Volksschicht Boden zu gewinnen. Sie hatten
daher von Anfang an eine große Begeisterung für Selbstverwaltung und
Gemeindefreiheit zur Schau getragen, die allerdings, so lange sie Theil an der
Macht hatten, nicht über große Worte hinausging; jetzt aber, wo eine Re¬
gierung an der Spitze des Staates stand, die sie in Verdacht hatten, daß sie
ganz von orleanistischen Antrieben beherrscht werde, trieb sie die Eifersucht,
ihrer Schwärmerei für die wahre Freiheit in einer entschlossenen That Luft
zu machen. Die Urtheile der legitimistischen Blätter, denen sich, wie immer
in der damaligen Zeit die Organe der klerikalen Partei anschlössen, lauteten
daher so ungünstig wie möglich über das Gesetz des Herzogs von Broglie. Die
.,Union", das Hauptorgan des Frohsdorser Hofes, schüttete die volle Schale
ihres Zornes über die gemäßigte Rechte aus. Nichts, erklärte sie, ist so ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/329>, abgerufen am 28.07.2024.