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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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wenigstens den Sturz des verhaßten Broglie herbeizuführen. Aber auch dieser
Versuch scheiterte. Allerdings reichte das Ministerium, wie sich unter den
obwaltenden Umständen von selbst verstand, seine Entlassung ein; aber Broglie
wurde mit der Reconstruction des neuen Septennatscabinets beauftragt.
Und in der That lag für Mac Mahon gar kein Grund vor, sich von einem
Minister zu trennen, der von seiner Kunst, jeder Sache zu dienen,
ohne sich und seinen Chef zu compromittiren, während der Fusionsperiode
die glänzendsten Beweise abgelegt, der nach Veröffentlichung des Chambord-
schen Briefes rasch sich in die neue Lage gesunden un)> sie beherrscht, der
durch seine Geschicklichkeit es durchgesetzt hatte, daß dem Marschall seine Voll¬
machten unter von ihm selbst geforderten Bedingungen d. h. so gut wie be¬
dingungslos, verlängert wurden. Dazu kam, daß am 24. November die
Versammlung Herrn von Broglie ein glänzendes Vertrauensvotum ertheilte,
indem sie mit 364 gegen 314 Stimmen über eine die Nichteinberufung der
Wahlcollegien behufs Vornahme der Ersatzwahlen betreffende Jnterpellation
Leon Say's, auf welche die Opposition große Hoffnungen gesetzt hatte, zur
Tagesordnung überging. So war also Broglie vorläufig durchaus der
Mann der Situation, er benutzte die Gelegenheit, um sich des ungeschickten
Beule' zu entledigen; außerdem schieden die Legitimisten de la Bouillerie,
Batbie, Ernoul aus. Broglie selbst übernahm mit der Vicepräsidentschaft des
Rathes das Innere, der Herzog von Decazes das Aeußere; die übrigen Mit¬
glieder der reconstruirten Cabinets waren: Fourtou: Unterricht; Desseilligny:
Handel; Larcy: öffentliche Arbeiten; Depeyre: Justiz; Magne: Finanzen;
du Barail: Krieg; Dampierre d'Hornoy: Marine. Die beiden bonapartistischen
Minister waren also geblieben und der Unterrichtsminister Fourtou stand
den Bonapartisten wenigstens sehr nahe. Charakteristisch für das neue
Cabinet war das Zurücktreten des entschieden legitimistischen 'Elements,
welches durch die unausgesetzten heftigen Angriffe der legitimistischen Blätter
gegen das Septennat vollkommen motivirt war. Daß Broglie das Porte¬
feuille des Innern übernommen hatte, konnte als Beweis gelten, daß die
Regierung entschlossen war, alle ihre Gegner mit Anwendung der äußersten,
ihr zu Gebote stehenden Mittel zu bekämpfen.

Der Grund zu einer siebenjährigen Dictatur war gelegt. Da sich in-
dessen der rechtmäßige Souverän, die Nationalversammlung, doch nicht ganz
bei Seite schieben ließ, so war man darauf angewiesen, die Diktatur unter
parlamentarischen Formen zu verstecken und zu diesem Zwecke die Wieder¬
herstellung der alten Mehrheit in Angriff zu nehmen. Wo es galt, den
Republikanern Widerstand zu leisten, hatte sich dieselbe auch bereits wieder
zusammengefunden; aber außer dem Haß gegen die Republikaner gab es kein
gemeinsames Band für die konservativen Gruppen. Dies zeigte sich bet den


wenigstens den Sturz des verhaßten Broglie herbeizuführen. Aber auch dieser
Versuch scheiterte. Allerdings reichte das Ministerium, wie sich unter den
obwaltenden Umständen von selbst verstand, seine Entlassung ein; aber Broglie
wurde mit der Reconstruction des neuen Septennatscabinets beauftragt.
Und in der That lag für Mac Mahon gar kein Grund vor, sich von einem
Minister zu trennen, der von seiner Kunst, jeder Sache zu dienen,
ohne sich und seinen Chef zu compromittiren, während der Fusionsperiode
die glänzendsten Beweise abgelegt, der nach Veröffentlichung des Chambord-
schen Briefes rasch sich in die neue Lage gesunden un)> sie beherrscht, der
durch seine Geschicklichkeit es durchgesetzt hatte, daß dem Marschall seine Voll¬
machten unter von ihm selbst geforderten Bedingungen d. h. so gut wie be¬
dingungslos, verlängert wurden. Dazu kam, daß am 24. November die
Versammlung Herrn von Broglie ein glänzendes Vertrauensvotum ertheilte,
indem sie mit 364 gegen 314 Stimmen über eine die Nichteinberufung der
Wahlcollegien behufs Vornahme der Ersatzwahlen betreffende Jnterpellation
Leon Say's, auf welche die Opposition große Hoffnungen gesetzt hatte, zur
Tagesordnung überging. So war also Broglie vorläufig durchaus der
Mann der Situation, er benutzte die Gelegenheit, um sich des ungeschickten
Beule' zu entledigen; außerdem schieden die Legitimisten de la Bouillerie,
Batbie, Ernoul aus. Broglie selbst übernahm mit der Vicepräsidentschaft des
Rathes das Innere, der Herzog von Decazes das Aeußere; die übrigen Mit¬
glieder der reconstruirten Cabinets waren: Fourtou: Unterricht; Desseilligny:
Handel; Larcy: öffentliche Arbeiten; Depeyre: Justiz; Magne: Finanzen;
du Barail: Krieg; Dampierre d'Hornoy: Marine. Die beiden bonapartistischen
Minister waren also geblieben und der Unterrichtsminister Fourtou stand
den Bonapartisten wenigstens sehr nahe. Charakteristisch für das neue
Cabinet war das Zurücktreten des entschieden legitimistischen 'Elements,
welches durch die unausgesetzten heftigen Angriffe der legitimistischen Blätter
gegen das Septennat vollkommen motivirt war. Daß Broglie das Porte¬
feuille des Innern übernommen hatte, konnte als Beweis gelten, daß die
Regierung entschlossen war, alle ihre Gegner mit Anwendung der äußersten,
ihr zu Gebote stehenden Mittel zu bekämpfen.

Der Grund zu einer siebenjährigen Dictatur war gelegt. Da sich in-
dessen der rechtmäßige Souverän, die Nationalversammlung, doch nicht ganz
bei Seite schieben ließ, so war man darauf angewiesen, die Diktatur unter
parlamentarischen Formen zu verstecken und zu diesem Zwecke die Wieder¬
herstellung der alten Mehrheit in Angriff zu nehmen. Wo es galt, den
Republikanern Widerstand zu leisten, hatte sich dieselbe auch bereits wieder
zusammengefunden; aber außer dem Haß gegen die Republikaner gab es kein
gemeinsames Band für die konservativen Gruppen. Dies zeigte sich bet den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/308>, abgerufen am 27.07.2024.