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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Wahlen für die Drcißigercommission. Alle Gruppen der Mehrheit waren
einverstanden, die Republikaner von der Theilnahme an der Commission wo¬
möglich ganz auszuschließen. Aber nachdem etwa die Hälfte der Mitglieder
ernannt war, gerieth die Wahl völlig ins Stocken, da die Mehrheit über die
Frage, nach welchem Verhältnisse die Zahl der Mitglieder unter die einzelnen
Gruppen zu vertheilen sei, völlig auseinanderfiel. Sitzung auf Sitzung folgte,
ohne daß es gelang das Wahlgeschäft zu Ende zu führen. Als man endlich
28 Mitglieder ernannt hatte, -- darunter einige wenige Republikaner --
drohte die ganze Wahloperation zu scheitern; die Linke und ein Theil der
Legitimisten enthielt sich der Abstimmung, und in Folge davon wurde nicht
mehr die zur Wahl nöthige Anzahl der Stimmen (die absolute Majorität der
Versammlung) abgegeben. Man mußte sich entschließen, mit der Linken zu
verhandeln, und derselben die letzten zwei Stimmen (Cazanne vom linken
Centrum und Vacherot von der Linken) zu bewilligen.

Eine feste Majorität gab es also in diesem Augenblick nicht. Die
äußerste Rechte schien zu systematischer Opposition entschlossen, die Bonapartisten
fanden ihren Vortheil dabei, sich in keiner Weise zu binden, sondern ganz
nach den Umständen zu handeln. Die Orleanisten waren die einzigen, die
steh dem Septennat ohne ausgesprochenen Vorbehalt anschlössen, aber auch
sie nicht ohne Hintergedanken. Ihr ganzes Trachten ging dahin, für den
Herzog von Aumale, der eben dabei wär. sich in dem Bazaine'schen Processe
Lorbeeren ganz eigenthümlicher Art zu pflücken, eine Stellung ausfindig zu
wachen, die ihm die Anwartschaft auf Mac Mahon's Stelle gäbe.

Die Aussichten für Bildung einer geschlossenen septennalistischen Partei
waren also von Anfang an sehr gering. Aber grade diese Zerrüttung der
Parteiverhältnisse konnte, geschickt benutzt, für Mac Mahon ein Machtmittel
werden. Vermochte er nicht, sich auf die Mehrheit zu stützen, so hörte auch
seine Verpflichtung gegen die Mehrheit auf. Je zielloser die Parteikämpfe
sich gestalteten, um so höher stieg in Frankreich das Bedürfniß nach einer
starken Regierung. Konnte Mac Mahon eine solche, sei es ohne die Ratio-
"^Versammlung, sei es selbst im Gegensatz zu ihr, begründen, so war er der
Herr der Situation. Dazu bedürfte es keiner hohen staatsmännischen Bega¬
bung, nur einer gewissen ausharrenden Zähigkeit in der Behauptung des ein¬
genommenen Platzes. Diese Zähigkeit schrieb man dem Marschall in Er¬
innerung an sein bekanntes Wort: "j'? suis et j'v rests" zu. Hatte er den
Wen Willen, aus seinem Posten zu beharren, so ließ sich für den Augenblick
"'He absehn Georg Zelle. , wer es wagen und vermögen sollte, ihn von demselben zu ver-
drängen.




Grenzvoten IV. 1871.

Wahlen für die Drcißigercommission. Alle Gruppen der Mehrheit waren
einverstanden, die Republikaner von der Theilnahme an der Commission wo¬
möglich ganz auszuschließen. Aber nachdem etwa die Hälfte der Mitglieder
ernannt war, gerieth die Wahl völlig ins Stocken, da die Mehrheit über die
Frage, nach welchem Verhältnisse die Zahl der Mitglieder unter die einzelnen
Gruppen zu vertheilen sei, völlig auseinanderfiel. Sitzung auf Sitzung folgte,
ohne daß es gelang das Wahlgeschäft zu Ende zu führen. Als man endlich
28 Mitglieder ernannt hatte, — darunter einige wenige Republikaner —
drohte die ganze Wahloperation zu scheitern; die Linke und ein Theil der
Legitimisten enthielt sich der Abstimmung, und in Folge davon wurde nicht
mehr die zur Wahl nöthige Anzahl der Stimmen (die absolute Majorität der
Versammlung) abgegeben. Man mußte sich entschließen, mit der Linken zu
verhandeln, und derselben die letzten zwei Stimmen (Cazanne vom linken
Centrum und Vacherot von der Linken) zu bewilligen.

Eine feste Majorität gab es also in diesem Augenblick nicht. Die
äußerste Rechte schien zu systematischer Opposition entschlossen, die Bonapartisten
fanden ihren Vortheil dabei, sich in keiner Weise zu binden, sondern ganz
nach den Umständen zu handeln. Die Orleanisten waren die einzigen, die
steh dem Septennat ohne ausgesprochenen Vorbehalt anschlössen, aber auch
sie nicht ohne Hintergedanken. Ihr ganzes Trachten ging dahin, für den
Herzog von Aumale, der eben dabei wär. sich in dem Bazaine'schen Processe
Lorbeeren ganz eigenthümlicher Art zu pflücken, eine Stellung ausfindig zu
wachen, die ihm die Anwartschaft auf Mac Mahon's Stelle gäbe.

Die Aussichten für Bildung einer geschlossenen septennalistischen Partei
waren also von Anfang an sehr gering. Aber grade diese Zerrüttung der
Parteiverhältnisse konnte, geschickt benutzt, für Mac Mahon ein Machtmittel
werden. Vermochte er nicht, sich auf die Mehrheit zu stützen, so hörte auch
seine Verpflichtung gegen die Mehrheit auf. Je zielloser die Parteikämpfe
sich gestalteten, um so höher stieg in Frankreich das Bedürfniß nach einer
starken Regierung. Konnte Mac Mahon eine solche, sei es ohne die Ratio-
"^Versammlung, sei es selbst im Gegensatz zu ihr, begründen, so war er der
Herr der Situation. Dazu bedürfte es keiner hohen staatsmännischen Bega¬
bung, nur einer gewissen ausharrenden Zähigkeit in der Behauptung des ein¬
genommenen Platzes. Diese Zähigkeit schrieb man dem Marschall in Er¬
innerung an sein bekanntes Wort: «j'? suis et j'v rests« zu. Hatte er den
Wen Willen, aus seinem Posten zu beharren, so ließ sich für den Augenblick
"'He absehn Georg Zelle. , wer es wagen und vermögen sollte, ihn von demselben zu ver-
drängen.




Grenzvoten IV. 1871.
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[0309] Wahlen für die Drcißigercommission. Alle Gruppen der Mehrheit waren einverstanden, die Republikaner von der Theilnahme an der Commission wo¬ möglich ganz auszuschließen. Aber nachdem etwa die Hälfte der Mitglieder ernannt war, gerieth die Wahl völlig ins Stocken, da die Mehrheit über die Frage, nach welchem Verhältnisse die Zahl der Mitglieder unter die einzelnen Gruppen zu vertheilen sei, völlig auseinanderfiel. Sitzung auf Sitzung folgte, ohne daß es gelang das Wahlgeschäft zu Ende zu führen. Als man endlich 28 Mitglieder ernannt hatte, — darunter einige wenige Republikaner — drohte die ganze Wahloperation zu scheitern; die Linke und ein Theil der Legitimisten enthielt sich der Abstimmung, und in Folge davon wurde nicht mehr die zur Wahl nöthige Anzahl der Stimmen (die absolute Majorität der Versammlung) abgegeben. Man mußte sich entschließen, mit der Linken zu verhandeln, und derselben die letzten zwei Stimmen (Cazanne vom linken Centrum und Vacherot von der Linken) zu bewilligen. Eine feste Majorität gab es also in diesem Augenblick nicht. Die äußerste Rechte schien zu systematischer Opposition entschlossen, die Bonapartisten fanden ihren Vortheil dabei, sich in keiner Weise zu binden, sondern ganz nach den Umständen zu handeln. Die Orleanisten waren die einzigen, die steh dem Septennat ohne ausgesprochenen Vorbehalt anschlössen, aber auch sie nicht ohne Hintergedanken. Ihr ganzes Trachten ging dahin, für den Herzog von Aumale, der eben dabei wär. sich in dem Bazaine'schen Processe Lorbeeren ganz eigenthümlicher Art zu pflücken, eine Stellung ausfindig zu wachen, die ihm die Anwartschaft auf Mac Mahon's Stelle gäbe. Die Aussichten für Bildung einer geschlossenen septennalistischen Partei waren also von Anfang an sehr gering. Aber grade diese Zerrüttung der Parteiverhältnisse konnte, geschickt benutzt, für Mac Mahon ein Machtmittel werden. Vermochte er nicht, sich auf die Mehrheit zu stützen, so hörte auch seine Verpflichtung gegen die Mehrheit auf. Je zielloser die Parteikämpfe sich gestalteten, um so höher stieg in Frankreich das Bedürfniß nach einer starken Regierung. Konnte Mac Mahon eine solche, sei es ohne die Ratio- "^Versammlung, sei es selbst im Gegensatz zu ihr, begründen, so war er der Herr der Situation. Dazu bedürfte es keiner hohen staatsmännischen Bega¬ bung, nur einer gewissen ausharrenden Zähigkeit in der Behauptung des ein¬ genommenen Platzes. Diese Zähigkeit schrieb man dem Marschall in Er¬ innerung an sein bekanntes Wort: «j'? suis et j'v rests« zu. Hatte er den Wen Willen, aus seinem Posten zu beharren, so ließ sich für den Augenblick "'He absehn Georg Zelle. , wer es wagen und vermögen sollte, ihn von demselben zu ver- drängen. Grenzvoten IV. 1871.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/309>, abgerufen am 28.12.2024.