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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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wies er auf die eigenen früheren Erlebnisse und Erfahrungen mit dem Prinzen,
wir wissen, es war Alba gewesen, der 1562 jene merkwürdige Mittheilung
über den Schwachsinn des Prinzen dem österreichischen Gesandten eröffnet hatte.

Alle diese Aeußerungen Philipp's vom Jahre 1668, über deren stellen¬
weise nicht zu leugnende Undeutlichkeit man bisher so oft geklagt hat, sie er¬
halten jetzt ihr volles Licht und Verständniß, seitdem wir jene ausdrückliche
und unumwundene Erklärung über den Schwachsinn als den Grund der ub-
!en Entwicklung des Prinzen kennen gelernt haben.

Ich gestehe, ich halte es für absolut undenkbar, daß wir alle diese Aus¬
sagen und Erklärungen als Lügen verwerfen sollen, -- etwa aus dem Grund, weil
^r Philipp's II. politisches und kirchliches System von unserem modernen
Standpunkt aus für schädlich und staatsverderblich ansehen? Ist es wirk¬
lich ein zu starkes Ansinnen an den Historiker, daß er die Thatsachen der Ge¬
richte so nehmen soll, wie die historischen Documente sie zeigen, ohne seinem
^gelten Urtheile über vergangene Menschen und vergangene Thaten Einfluß
gestatten auf die Feststellung des Thatbestandes selbst?

Nein, auch bei dem entschiedensten Gegensatz gegen das politische und
schliche System Philipp's II. wird es dem Historiker nicht erlaubt sein, diesen
spanischen König zu einem alles menschlichen Gefühles entkleideten Teufel zu
Zacher: "Gerechtigkeit auch dem Gegner" ist eine Losung, von der sich loszu-
^gen dem Historiker am wenigsten ansteht.


Wilhelm Maurenbrecher.


Im Heschichte des Septennats.
i.
Die Gründung.

^ Die Mehrheit der französischen Nationalversammlung befand sich nach
^ Veröffentlichung des Chambord'schen Schreibens vor einer offenbaren
^"ngslage. Wie große Opfer sie auch für die Wiederherstellung des König-
bringen bereit war. eine bedingungslose Unterwerfung unter sein
achtgebot gestattete ihr weder ihre Neigung noch die Stimmung der Nation,
'° wan nicht unberücksichtigt lassen durfte. Bei den gemäßigten Anhängern
°s Königthums -- und die überwogen entschieden in der Mehrheit der Ver-
l^Mutung -- hatte es von Anfang an festgestanden, daß der Graf nur unter
^ Bedingung und Voraussetzung einer verfassungsmäßigen von ihm unum-


wies er auf die eigenen früheren Erlebnisse und Erfahrungen mit dem Prinzen,
wir wissen, es war Alba gewesen, der 1562 jene merkwürdige Mittheilung
über den Schwachsinn des Prinzen dem österreichischen Gesandten eröffnet hatte.

Alle diese Aeußerungen Philipp's vom Jahre 1668, über deren stellen¬
weise nicht zu leugnende Undeutlichkeit man bisher so oft geklagt hat, sie er¬
halten jetzt ihr volles Licht und Verständniß, seitdem wir jene ausdrückliche
und unumwundene Erklärung über den Schwachsinn als den Grund der ub-
!en Entwicklung des Prinzen kennen gelernt haben.

Ich gestehe, ich halte es für absolut undenkbar, daß wir alle diese Aus¬
sagen und Erklärungen als Lügen verwerfen sollen, — etwa aus dem Grund, weil
^r Philipp's II. politisches und kirchliches System von unserem modernen
Standpunkt aus für schädlich und staatsverderblich ansehen? Ist es wirk¬
lich ein zu starkes Ansinnen an den Historiker, daß er die Thatsachen der Ge¬
richte so nehmen soll, wie die historischen Documente sie zeigen, ohne seinem
^gelten Urtheile über vergangene Menschen und vergangene Thaten Einfluß
gestatten auf die Feststellung des Thatbestandes selbst?

Nein, auch bei dem entschiedensten Gegensatz gegen das politische und
schliche System Philipp's II. wird es dem Historiker nicht erlaubt sein, diesen
spanischen König zu einem alles menschlichen Gefühles entkleideten Teufel zu
Zacher: „Gerechtigkeit auch dem Gegner" ist eine Losung, von der sich loszu-
^gen dem Historiker am wenigsten ansteht.


Wilhelm Maurenbrecher.


Im Heschichte des Septennats.
i.
Die Gründung.

^ Die Mehrheit der französischen Nationalversammlung befand sich nach
^ Veröffentlichung des Chambord'schen Schreibens vor einer offenbaren
^«ngslage. Wie große Opfer sie auch für die Wiederherstellung des König-
bringen bereit war. eine bedingungslose Unterwerfung unter sein
achtgebot gestattete ihr weder ihre Neigung noch die Stimmung der Nation,
'° wan nicht unberücksichtigt lassen durfte. Bei den gemäßigten Anhängern
°s Königthums — und die überwogen entschieden in der Mehrheit der Ver-
l^Mutung — hatte es von Anfang an festgestanden, daß der Graf nur unter
^ Bedingung und Voraussetzung einer verfassungsmäßigen von ihm unum-


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[0297] wies er auf die eigenen früheren Erlebnisse und Erfahrungen mit dem Prinzen, wir wissen, es war Alba gewesen, der 1562 jene merkwürdige Mittheilung über den Schwachsinn des Prinzen dem österreichischen Gesandten eröffnet hatte. Alle diese Aeußerungen Philipp's vom Jahre 1668, über deren stellen¬ weise nicht zu leugnende Undeutlichkeit man bisher so oft geklagt hat, sie er¬ halten jetzt ihr volles Licht und Verständniß, seitdem wir jene ausdrückliche und unumwundene Erklärung über den Schwachsinn als den Grund der ub- !en Entwicklung des Prinzen kennen gelernt haben. Ich gestehe, ich halte es für absolut undenkbar, daß wir alle diese Aus¬ sagen und Erklärungen als Lügen verwerfen sollen, — etwa aus dem Grund, weil ^r Philipp's II. politisches und kirchliches System von unserem modernen Standpunkt aus für schädlich und staatsverderblich ansehen? Ist es wirk¬ lich ein zu starkes Ansinnen an den Historiker, daß er die Thatsachen der Ge¬ richte so nehmen soll, wie die historischen Documente sie zeigen, ohne seinem ^gelten Urtheile über vergangene Menschen und vergangene Thaten Einfluß gestatten auf die Feststellung des Thatbestandes selbst? Nein, auch bei dem entschiedensten Gegensatz gegen das politische und schliche System Philipp's II. wird es dem Historiker nicht erlaubt sein, diesen spanischen König zu einem alles menschlichen Gefühles entkleideten Teufel zu Zacher: „Gerechtigkeit auch dem Gegner" ist eine Losung, von der sich loszu- ^gen dem Historiker am wenigsten ansteht. Wilhelm Maurenbrecher. Im Heschichte des Septennats. i. Die Gründung. ^ Die Mehrheit der französischen Nationalversammlung befand sich nach ^ Veröffentlichung des Chambord'schen Schreibens vor einer offenbaren ^«ngslage. Wie große Opfer sie auch für die Wiederherstellung des König- bringen bereit war. eine bedingungslose Unterwerfung unter sein achtgebot gestattete ihr weder ihre Neigung noch die Stimmung der Nation, '° wan nicht unberücksichtigt lassen durfte. Bei den gemäßigten Anhängern °s Königthums — und die überwogen entschieden in der Mehrheit der Ver- l^Mutung — hatte es von Anfang an festgestanden, daß der Graf nur unter ^ Bedingung und Voraussetzung einer verfassungsmäßigen von ihm unum-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/297>, abgerufen am 28.12.2024.