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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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dieser Untersuchung zu stützen hat: zunächst sind es Berichte diplomatischer
Agenten am Madrider Hofe, Depeschen der venetianischen, florentinischen.
päpstlichen, französischen und österreichischen Gesandten; sodann neben den¬
selben (theilweise auch in denselben überliefert) Erklärungen der spanischen
Regierung, schriftliche und mündliche Aeußerungen Philipp's und seiner Staats¬
männer über den Sohn, wie wir sie ebensowohl aus den der Katastrophe
vorhergehenden Jahren 1368--1368 kennen, als auch aus der Zeit nach
der Gefangensetzung des Don Carlos besitzen. Man kann sich nicht über
allzugroße Deutlichkeit dieser spanischen Erklärungen beklagen; ja gerade da¬
durch ist zum größten Theile die Unsicherheit unserer Ergebnisse hervorgeru¬
fen, daß jene Mittheilungen der Regierung mehr mit geheimnißvollen An¬
deutungen, mit Winken und halben Worten sich begnügen als ganz und
rund heraus die Sache selbst bezeichnen. So wie unser Material beschaffen,
mußte ein vorsichtiger und gewissenhafter Forscher sich hüten ein allzu deut¬
liches Resultat aufstellen zu wollen; das geheimnißvolle und räthselhafte der
Erklärungen in den ersten Quellenaussagen mußte nothwendiger Weise auch
in dem kritischen Endresultaltesich wiederspiegeln. Begreiflich mag es daher sein daß
mit einem Gefühle nicht voller Befriedigung man die Untersuchungsakten
schloß. Aber ohne neue Zeugnisse war nach meiner Meinung es wohl
nicht gestattet, weiter zu gehen in der Aufstellung positiver Resultate und An¬
sichten, als ich 1869 in dem gedruckten Vortrage gegangen.

Freilich wer nun glaubte den poetischen Don Carlos aus der Geschichte
gebannt zu haben, der sollte eine Enttäuschung erleben. Das mag ja wahr
sein, Gespenster weichen nicht vor halben und unentschiedenen Sprüchen zu¬
rück, -- nur ein festes, deutliches, nicht mißzuverstehehendes, nur ein, wenn
ich so sagen darf, hieb- und stichfestes Wort scheucht sie von fremdem Boden
fort. Ein solches zu sprechen waren wir aber bisher nicht in der Lage. Und
somit haben wir neuerdings einen Wiederbelebungsversuch des Schiller'schen
Don Carlos als des historischen gesehen. *) Wenn ich sage, daß derselbe
ausgegangen ist von einem unserer gewiegtesten und verdientesten Historiker,
von Adolf Schmidt in Jena, so wird Jeder wissen, in welchem Sinne
allein ich dies Wort von der Wiederbelebung des Schiller'schen Don Carlos
gebrauchen darf und gebraucht habe. Davon kann keine Rede sein, daß
Schmidt mit poetischen Voraussetzungen oder mit poetischen Tendenzen an
die Frage herangetreten ist, oder daß er auch nur die kleinste Anleihe bei
poetischen Motivirungen hätte machen wollen, -- nein sein Material ist ein¬
zig das historische Quellenmaterial, und zwar kein anderes als es im Buche
Gansart's zu Jedermanns Benutzung ausgebreitet liegt, mit selbstverständlicher



-) A. Schmidt, Epochen und Katastrophen. Berlin, A. Hofmann 1874. (3. Abhand¬
lung: "Don Carlos und Philipp II.") Vgl. meine Recension in der Jenaer Literaturzeitung.

dieser Untersuchung zu stützen hat: zunächst sind es Berichte diplomatischer
Agenten am Madrider Hofe, Depeschen der venetianischen, florentinischen.
päpstlichen, französischen und österreichischen Gesandten; sodann neben den¬
selben (theilweise auch in denselben überliefert) Erklärungen der spanischen
Regierung, schriftliche und mündliche Aeußerungen Philipp's und seiner Staats¬
männer über den Sohn, wie wir sie ebensowohl aus den der Katastrophe
vorhergehenden Jahren 1368—1368 kennen, als auch aus der Zeit nach
der Gefangensetzung des Don Carlos besitzen. Man kann sich nicht über
allzugroße Deutlichkeit dieser spanischen Erklärungen beklagen; ja gerade da¬
durch ist zum größten Theile die Unsicherheit unserer Ergebnisse hervorgeru¬
fen, daß jene Mittheilungen der Regierung mehr mit geheimnißvollen An¬
deutungen, mit Winken und halben Worten sich begnügen als ganz und
rund heraus die Sache selbst bezeichnen. So wie unser Material beschaffen,
mußte ein vorsichtiger und gewissenhafter Forscher sich hüten ein allzu deut¬
liches Resultat aufstellen zu wollen; das geheimnißvolle und räthselhafte der
Erklärungen in den ersten Quellenaussagen mußte nothwendiger Weise auch
in dem kritischen Endresultaltesich wiederspiegeln. Begreiflich mag es daher sein daß
mit einem Gefühle nicht voller Befriedigung man die Untersuchungsakten
schloß. Aber ohne neue Zeugnisse war nach meiner Meinung es wohl
nicht gestattet, weiter zu gehen in der Aufstellung positiver Resultate und An¬
sichten, als ich 1869 in dem gedruckten Vortrage gegangen.

Freilich wer nun glaubte den poetischen Don Carlos aus der Geschichte
gebannt zu haben, der sollte eine Enttäuschung erleben. Das mag ja wahr
sein, Gespenster weichen nicht vor halben und unentschiedenen Sprüchen zu¬
rück, — nur ein festes, deutliches, nicht mißzuverstehehendes, nur ein, wenn
ich so sagen darf, hieb- und stichfestes Wort scheucht sie von fremdem Boden
fort. Ein solches zu sprechen waren wir aber bisher nicht in der Lage. Und
somit haben wir neuerdings einen Wiederbelebungsversuch des Schiller'schen
Don Carlos als des historischen gesehen. *) Wenn ich sage, daß derselbe
ausgegangen ist von einem unserer gewiegtesten und verdientesten Historiker,
von Adolf Schmidt in Jena, so wird Jeder wissen, in welchem Sinne
allein ich dies Wort von der Wiederbelebung des Schiller'schen Don Carlos
gebrauchen darf und gebraucht habe. Davon kann keine Rede sein, daß
Schmidt mit poetischen Voraussetzungen oder mit poetischen Tendenzen an
die Frage herangetreten ist, oder daß er auch nur die kleinste Anleihe bei
poetischen Motivirungen hätte machen wollen, — nein sein Material ist ein¬
zig das historische Quellenmaterial, und zwar kein anderes als es im Buche
Gansart's zu Jedermanns Benutzung ausgebreitet liegt, mit selbstverständlicher



-) A. Schmidt, Epochen und Katastrophen. Berlin, A. Hofmann 1874. (3. Abhand¬
lung: „Don Carlos und Philipp II.") Vgl. meine Recension in der Jenaer Literaturzeitung.
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[0248] dieser Untersuchung zu stützen hat: zunächst sind es Berichte diplomatischer Agenten am Madrider Hofe, Depeschen der venetianischen, florentinischen. päpstlichen, französischen und österreichischen Gesandten; sodann neben den¬ selben (theilweise auch in denselben überliefert) Erklärungen der spanischen Regierung, schriftliche und mündliche Aeußerungen Philipp's und seiner Staats¬ männer über den Sohn, wie wir sie ebensowohl aus den der Katastrophe vorhergehenden Jahren 1368—1368 kennen, als auch aus der Zeit nach der Gefangensetzung des Don Carlos besitzen. Man kann sich nicht über allzugroße Deutlichkeit dieser spanischen Erklärungen beklagen; ja gerade da¬ durch ist zum größten Theile die Unsicherheit unserer Ergebnisse hervorgeru¬ fen, daß jene Mittheilungen der Regierung mehr mit geheimnißvollen An¬ deutungen, mit Winken und halben Worten sich begnügen als ganz und rund heraus die Sache selbst bezeichnen. So wie unser Material beschaffen, mußte ein vorsichtiger und gewissenhafter Forscher sich hüten ein allzu deut¬ liches Resultat aufstellen zu wollen; das geheimnißvolle und räthselhafte der Erklärungen in den ersten Quellenaussagen mußte nothwendiger Weise auch in dem kritischen Endresultaltesich wiederspiegeln. Begreiflich mag es daher sein daß mit einem Gefühle nicht voller Befriedigung man die Untersuchungsakten schloß. Aber ohne neue Zeugnisse war nach meiner Meinung es wohl nicht gestattet, weiter zu gehen in der Aufstellung positiver Resultate und An¬ sichten, als ich 1869 in dem gedruckten Vortrage gegangen. Freilich wer nun glaubte den poetischen Don Carlos aus der Geschichte gebannt zu haben, der sollte eine Enttäuschung erleben. Das mag ja wahr sein, Gespenster weichen nicht vor halben und unentschiedenen Sprüchen zu¬ rück, — nur ein festes, deutliches, nicht mißzuverstehehendes, nur ein, wenn ich so sagen darf, hieb- und stichfestes Wort scheucht sie von fremdem Boden fort. Ein solches zu sprechen waren wir aber bisher nicht in der Lage. Und somit haben wir neuerdings einen Wiederbelebungsversuch des Schiller'schen Don Carlos als des historischen gesehen. *) Wenn ich sage, daß derselbe ausgegangen ist von einem unserer gewiegtesten und verdientesten Historiker, von Adolf Schmidt in Jena, so wird Jeder wissen, in welchem Sinne allein ich dies Wort von der Wiederbelebung des Schiller'schen Don Carlos gebrauchen darf und gebraucht habe. Davon kann keine Rede sein, daß Schmidt mit poetischen Voraussetzungen oder mit poetischen Tendenzen an die Frage herangetreten ist, oder daß er auch nur die kleinste Anleihe bei poetischen Motivirungen hätte machen wollen, — nein sein Material ist ein¬ zig das historische Quellenmaterial, und zwar kein anderes als es im Buche Gansart's zu Jedermanns Benutzung ausgebreitet liegt, mit selbstverständlicher -) A. Schmidt, Epochen und Katastrophen. Berlin, A. Hofmann 1874. (3. Abhand¬ lung: „Don Carlos und Philipp II.") Vgl. meine Recension in der Jenaer Literaturzeitung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/248>, abgerufen am 27.07.2024.