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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Prinz sei dem Protestantismus zugeneigt gewesen. Es war außerdem
der äußere Verlauf des Lebens durch Gcichard sichergestellt, der Bestand
der Thatsachen bei der Verhaftung des Prinzen war klar gemacht und dazu
war noch alles zusammengetragen, was die spanischen Staatsmänner, der
spanische König selbst und die auswärtigen Diplomaten an seinem Hofe von
Urtheilen und Motivirungen und Ansichten über den Vorfall ausgesprochen
hatten. Auf die Frage, was denn eigentlich die Ursache zur Katastrophe des
Prinzen gewesen, war es jetzt erst möglich, mit einiger Aussicht auf Erfolg
eine Antwort zu versuchen. Ich bin durch archivalische Studien über das
Zeitalter Philipp's II. auch an dies Thema herangeführt worden und habe
schon früher den Versuch gemacht -- 1864 in einer Abhandlung über Don
Carlos in der Historischen Zeitschrift, und 1869 in einem Vortrage, der in
der Virchow-Holzendorf'schen Sammlung von populären Vorträgen gedruckt
ist (Heft 90) -- mit dem vorhandenen Materials Gansart's, das ich aus
meinen eigenen archivalischen Studien noch um einige nicht unwichtige Stücke
vermehren konnte, dies interessante Problem zu lösen. Mit möglichster Vor¬
sicht galt es sich nicht in Vermuthungen zu bewegen, die von Andern aufge¬
stellten Hypothesen vielmehr an den Aktenstücken zu prüfen und durch eine
Zergliederung ihres Inhaltes dem wirklichen Sachverhalt wenigstens möglichst
nahe zu kommen. In der ersten Abhandlung hatte ich ausführlicher den
Inhalt der Quellen dargelegt und in mehr zurückhaltender Weise die Frage
nach dem wirklichen Grunde der Katastrophe des Don Carlos behandelt.
Nach erneuerter Erwägung der einzelnen Zeugnisse hatte ich später geglaubt
bestimmter das Resultat formuliren zu dürfen. Ich wies sehr entschieden die
auch von Anderen schon widerlegte Annahme unerlaubter Beziehungen zu
seiner Stiefmutter als Grund seines Unglücks ab. Ich konnte mich auch
davon nicht überzeugt halten, daß der Prinz ein Anhänger freierer, humanerer,
liberalerer Tendenzen, ein Gegner der kirchlich-politischen Bestrebungen seines
Vaters gewesen oder daß er Hinneigung zu protestantischen Meinungen
irgendwie an den Tag gelegt habe. Dagegen glaubte ich als Motiv für die
Beseitigung des Prinzen die bei König Philipp zum Durchbruch gelangte
Ueberzeugung aufstellen zu dürfen, daß Don Carlos nicht ein geeigneter
Nachfolger für sein Werk sein werde, -- "sei es daß er mehr an dem Verstand
und Charakter seines Sohnes, sei es daß er mehr an dem Glauben und
Willen desselben gezweifelt." Mir hatte sich ergeben, daß der Prinz halb
für verrückt halb für kirchen- und staatsgefährlich angesehen wurde. -- "ich
denke, sein Wesen ist eine Mischung aus diesen unheilvollen Elementen ge¬
wesen," so schloß meine Erörterung.

Dies war das Resultat wiederholter Studien und Erwägungen. Das
Material aber war und ist überhaupt ein doppeltes, auf das man sich bei


Prinz sei dem Protestantismus zugeneigt gewesen. Es war außerdem
der äußere Verlauf des Lebens durch Gcichard sichergestellt, der Bestand
der Thatsachen bei der Verhaftung des Prinzen war klar gemacht und dazu
war noch alles zusammengetragen, was die spanischen Staatsmänner, der
spanische König selbst und die auswärtigen Diplomaten an seinem Hofe von
Urtheilen und Motivirungen und Ansichten über den Vorfall ausgesprochen
hatten. Auf die Frage, was denn eigentlich die Ursache zur Katastrophe des
Prinzen gewesen, war es jetzt erst möglich, mit einiger Aussicht auf Erfolg
eine Antwort zu versuchen. Ich bin durch archivalische Studien über das
Zeitalter Philipp's II. auch an dies Thema herangeführt worden und habe
schon früher den Versuch gemacht — 1864 in einer Abhandlung über Don
Carlos in der Historischen Zeitschrift, und 1869 in einem Vortrage, der in
der Virchow-Holzendorf'schen Sammlung von populären Vorträgen gedruckt
ist (Heft 90) — mit dem vorhandenen Materials Gansart's, das ich aus
meinen eigenen archivalischen Studien noch um einige nicht unwichtige Stücke
vermehren konnte, dies interessante Problem zu lösen. Mit möglichster Vor¬
sicht galt es sich nicht in Vermuthungen zu bewegen, die von Andern aufge¬
stellten Hypothesen vielmehr an den Aktenstücken zu prüfen und durch eine
Zergliederung ihres Inhaltes dem wirklichen Sachverhalt wenigstens möglichst
nahe zu kommen. In der ersten Abhandlung hatte ich ausführlicher den
Inhalt der Quellen dargelegt und in mehr zurückhaltender Weise die Frage
nach dem wirklichen Grunde der Katastrophe des Don Carlos behandelt.
Nach erneuerter Erwägung der einzelnen Zeugnisse hatte ich später geglaubt
bestimmter das Resultat formuliren zu dürfen. Ich wies sehr entschieden die
auch von Anderen schon widerlegte Annahme unerlaubter Beziehungen zu
seiner Stiefmutter als Grund seines Unglücks ab. Ich konnte mich auch
davon nicht überzeugt halten, daß der Prinz ein Anhänger freierer, humanerer,
liberalerer Tendenzen, ein Gegner der kirchlich-politischen Bestrebungen seines
Vaters gewesen oder daß er Hinneigung zu protestantischen Meinungen
irgendwie an den Tag gelegt habe. Dagegen glaubte ich als Motiv für die
Beseitigung des Prinzen die bei König Philipp zum Durchbruch gelangte
Ueberzeugung aufstellen zu dürfen, daß Don Carlos nicht ein geeigneter
Nachfolger für sein Werk sein werde, — „sei es daß er mehr an dem Verstand
und Charakter seines Sohnes, sei es daß er mehr an dem Glauben und
Willen desselben gezweifelt." Mir hatte sich ergeben, daß der Prinz halb
für verrückt halb für kirchen- und staatsgefährlich angesehen wurde. — „ich
denke, sein Wesen ist eine Mischung aus diesen unheilvollen Elementen ge¬
wesen," so schloß meine Erörterung.

Dies war das Resultat wiederholter Studien und Erwägungen. Das
Material aber war und ist überhaupt ein doppeltes, auf das man sich bei


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[0247] Prinz sei dem Protestantismus zugeneigt gewesen. Es war außerdem der äußere Verlauf des Lebens durch Gcichard sichergestellt, der Bestand der Thatsachen bei der Verhaftung des Prinzen war klar gemacht und dazu war noch alles zusammengetragen, was die spanischen Staatsmänner, der spanische König selbst und die auswärtigen Diplomaten an seinem Hofe von Urtheilen und Motivirungen und Ansichten über den Vorfall ausgesprochen hatten. Auf die Frage, was denn eigentlich die Ursache zur Katastrophe des Prinzen gewesen, war es jetzt erst möglich, mit einiger Aussicht auf Erfolg eine Antwort zu versuchen. Ich bin durch archivalische Studien über das Zeitalter Philipp's II. auch an dies Thema herangeführt worden und habe schon früher den Versuch gemacht — 1864 in einer Abhandlung über Don Carlos in der Historischen Zeitschrift, und 1869 in einem Vortrage, der in der Virchow-Holzendorf'schen Sammlung von populären Vorträgen gedruckt ist (Heft 90) — mit dem vorhandenen Materials Gansart's, das ich aus meinen eigenen archivalischen Studien noch um einige nicht unwichtige Stücke vermehren konnte, dies interessante Problem zu lösen. Mit möglichster Vor¬ sicht galt es sich nicht in Vermuthungen zu bewegen, die von Andern aufge¬ stellten Hypothesen vielmehr an den Aktenstücken zu prüfen und durch eine Zergliederung ihres Inhaltes dem wirklichen Sachverhalt wenigstens möglichst nahe zu kommen. In der ersten Abhandlung hatte ich ausführlicher den Inhalt der Quellen dargelegt und in mehr zurückhaltender Weise die Frage nach dem wirklichen Grunde der Katastrophe des Don Carlos behandelt. Nach erneuerter Erwägung der einzelnen Zeugnisse hatte ich später geglaubt bestimmter das Resultat formuliren zu dürfen. Ich wies sehr entschieden die auch von Anderen schon widerlegte Annahme unerlaubter Beziehungen zu seiner Stiefmutter als Grund seines Unglücks ab. Ich konnte mich auch davon nicht überzeugt halten, daß der Prinz ein Anhänger freierer, humanerer, liberalerer Tendenzen, ein Gegner der kirchlich-politischen Bestrebungen seines Vaters gewesen oder daß er Hinneigung zu protestantischen Meinungen irgendwie an den Tag gelegt habe. Dagegen glaubte ich als Motiv für die Beseitigung des Prinzen die bei König Philipp zum Durchbruch gelangte Ueberzeugung aufstellen zu dürfen, daß Don Carlos nicht ein geeigneter Nachfolger für sein Werk sein werde, — „sei es daß er mehr an dem Verstand und Charakter seines Sohnes, sei es daß er mehr an dem Glauben und Willen desselben gezweifelt." Mir hatte sich ergeben, daß der Prinz halb für verrückt halb für kirchen- und staatsgefährlich angesehen wurde. — „ich denke, sein Wesen ist eine Mischung aus diesen unheilvollen Elementen ge¬ wesen," so schloß meine Erörterung. Dies war das Resultat wiederholter Studien und Erwägungen. Das Material aber war und ist überhaupt ein doppeltes, auf das man sich bei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/247>, abgerufen am 27.07.2024.